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Ganerbschaft

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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von Andreas Flurschütz da Cruz

Das Phänomen der Ganerbschaft trat seit dem Ende des 12. Jahrhunderts auf. Dabei handelte es sich um eine (zumeist adelige) Eigentümergesellschaft, die gemeinschaftlich ein Objekt wie eine Ganerbenburg oder ein Ganerbendorf besaß. Auf dem Gebiet des heutigen Bayerns finden sich diese vor allem in Franken. Im Laufe der Frühen Neuzeit verloren Ganerbschaften zwar an Bedeutung, blieben aber zumeist bis zur Mediatisierung 1803 bestehen.

Allgemeine Definition

Als Ganerbschaft (lat. condominium) wird eine Gesellschaft von Eigentümern bezeichnet, die ein Objekt wie eine Burg, eine Stadt, ein Dorf oder ein ganzes Territorium gemeinschaftlich unterhielt bzw. innehatte. Eine Ganerbschaft bildete sowohl eine politische als auch eine juristische, soziale, wirtschaftliche und unter Umständen auch militärische Gemeinschaft. Die einzelnen, prinzipiell gleichberechtigten Teil- bzw. Anteilsinhaber, die miteinander verwandt sein konnten, aber nicht zwangsläufig mussten, waren nur in ihrer Gesamtheit vollgültig handlungsfähig. Demnach hatten mehrere Personen ein wirtschaftliches Gut gemeinsam im Besitz, wobei die zwischen ihnen herrschenden vertraglichen Regelungen auch für ihre Nachkommen gültig waren.

Erste Belege des Wortes stammen aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Als coheres, consors ist es u. a. in den germanischen Volksrechten und im Sachsenspiegel (ganerven) bezeugt. Weitere Belege finden sich in den Volksrechten der Alemannen, Angelsachsen, Baiern, Franken (geanervan), Friesen, Langobarden, Ostgermanen und Skandinavier (canerven). Darunter werden "gleichnahe" und daher prinzipiell gleichberechtigte Erben bzw. Anteilsinhaber eines Herrschafts- und Eigentumskonsortiums verstanden. Der Ganerbe ist somit Angehöriger einer "rechtlich ungeteilten Erbengemeinschaft" (Köbler). Die Vorstellung, der Begriff 'Ganerbe' leite sich dem Wortsinn nach zwangsläufig von einer gemeinsam angetretenen Erbschaft ab, greift jedoch zu kurz.

In der Frühphase tritt der Begriff der Ganerben fast ausschließlich im Plural auf, bezeichnet er doch "die stets als Mehrzahl auftretende Gruppe" (Naumann). Das Kollektiv wird als Ganerbschaft bezeichnet, was aber nicht nur die besitzende Personengruppe, sondern auch die durch sie besessenen Güter (condominium) meinen kann. Im Prinzip verbirgt sich hinter dem Institut der Ganerbschaft eine Entsprechung zu Besitz- und Rechtsverhältnissen, die aus dem bäuerlichen Anerbenrecht resultieren, eine gleiche Versorgung aller (männlichen) Nachkommen vorsahen und den adeligen Gemeinschaften vermutlich – auch begriffsgeschichtlich – sogar als Vorbild dienten. Eine Ganerbschaft war demnach eine genossenschafts- oder familienrechtlich begründete Gruppe, die diejenigen Anrechte geltend machte, die der Einzelne im Geltungsbereich des Anerbenrechtes an das ungeteilte landwirtschaftliche Eigentum hatte. Die rechtliche Nähe von An- und Ganerbschaft ist auch in der sprachhistorischen Wortbildung nachvollziehbar: In der Kombination ge-anerben verschmolz der Vokal des Präfixes mit dem Anlaut des Grundwortes und verschleierte in der Folge die Wortherkunft.

Nicht zuletzt diese begrifflichen, aber auch die inhaltlichen Unsicherheiten führten dazu, dass die Bezeichnungen "Ganerbschaft" und "Ganerben" als "schiefer Ausdruck für ein eigenartiges Rechtsgebilde" (Kirchheim), der Gegenstand an sich des Öfteren gar als umständlicher und unverständlicher Sonderfall disqualifiziert wurde.

Aufkommen, Verbreitung und Entwicklung des Phänomens der Ganerbschaft seit dem Frühmittelalter

Als Vorgängerin der Ganerbschaften kann die Belehnung zur Gesamten Hand betrachtet werden, im Zuge derer die Vasallen bei der Übergabe ihre vereinigten Hände in die ihres Herrn zu legen hatten. Dies bildete die rechtliche Voraussetzung für die späteren Ganerbschaften, die in auffälliger Zahl seit Ende des 12. Jahrhunderts auftraten.

In Gebieten, in denen das Rechtsinstitut der Gesamten Hand nicht existierte (v. a. in Norddeutschland), finden sich auch keine echten Ganerbschaften. Häufig traten sie hingegen im Süden und Westen des Reiches in sich vielfach überschneidenden Territorialverbänden bzw. herrschaftlich fragmentierten Gebieten wie Hessen, Franken, Schwaben und im Rheintal auf, aber auch in Württemberg, Baden und im Elsass.

Die Verbreitung des Kondominats als Herrschaftstypus beschränkte sich indes nicht auf das Heilige Römische Reich. Auch im hochmittelalterlichen Frankreich finden sich coseigneuries; in Italien existierten Burgganerbschaften (consorzi).

Die Ganerbschaften im Reich entstanden in der Regel auf einem der beiden folgenden Wege: Auf den Reichsburgen v. a. der Stauferzeit dienten Ministerialen als ortsfeste Burgmannen (castellani). Je nach Größe und Bedarf der Anlage bestand diese Besatzung (von Anfang an) aus mehreren Männern. Ihre als Teil des Lehens empfangenen Burghäuser, aber auch umliegende Güter und weitere Rechte und Privilegien besaßen sie in erblicher Form.

Die andere häufige Entstehungsvariante war die Vererbung eines vormals in einer Hand liegenden Objektes an mehrere Erben aus der gleichen (adligen) Familie, meistens die eigenen Söhne, die ihre Anteile wiederum weitervererben und dabei erneut teilen konnten. Im engeren Sinne versteht man unter Ganerben daher oft auch lediglich die Mitglieder einer ritterschaftlichen Besitzgemeinschaft, die meist Brüder, Vettern oder sonstige enge Verwandte einer niederadligen Familie waren.

Seltener kam es vor, dass mehrere Adlige aus eigenem Antrieb Güter erwarben und eine Ganerbschaft gründeten (z. B. Rothenberg, Lkr. Nürnberger Land). Häufig wurden hingegen einzelne Teile ursprünglich in der eigenen Familie organisierter Ganerbschaften im Laufe der Zeit durch Erbteilung immer weiter zerstückelt, aber auch an Dritte veräußert, wodurch ein wichtiger Aspekt dieser originär verwandtschaftlich organisierten und den Familienverband betonenden Herrschafts- und Besitzgemeinschaften verlorenging. Um eine solche Entwicklung möglichst zu vermeiden, genossen bereits mitbegüterte Ganerben für gewöhnlich ein Vorkaufsrecht an feilgebotenen Anteilen. Wenn sie nicht in der eigenen Familie oder Verwandtschaft weitergegeben werden konnten, fielen solche Anteile an die Gemeinschaft zurück.

Die im Hochmittelalter entstandene Ganerbenburg Rothenberg (Lkr. Nürnberger Land) um 1600. (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, S. P. 9703 Kapsel 1125)

Verschiedene Typen von Ganerbschaften

Ganerbenburgen

Die bekannteste Erscheinungsform der Ganerbschaft ist die Ganerbenburg. Hierunter ist kein Bautyp zu verstehen, sondern ein spezieller Funktionstyp mit politischen und gesellschaftlichen Implikationen. Burgen galten in der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Gesellschaft als zentrales adeliges Statussymbol, hatte sich ihre Bedeutung als rein funktionaler Bau doch bereits im Verlauf des 12. Jahrhunderts zugunsten eines repräsentativen Charakters gewandelt. Nicht zuletzt deshalb stellen sie die bekannteste Form ganerbschaftlich verfasster Besitz- und Herrschaftsgemeinschaften dar. Zunächst waren ganerbschaftliche Burggemeinschaften tatsächlich so konzipiert, dass mehrere adlige Familien bzw. Linien der gleichen Familie auf derselben Burg zusammenlebten. Um sicherzustellen, dass dies in geregelten Bahnen verlief – durch das Zusammenleben auf engem Raum mussten sich zwangsläufig Konflikte ergeben –, wurden Verträge, sog. Burgfrieden, errichtet (pacta ganerbica), die von allen Mitgliedern der Gemeinschaft sowie deren Gästen zu beschwören waren. Darin waren neben den Pflichten zu Unterhalt, Ausrüstung und Verteidigung der Burg auch weitere Aspekte geregelt, v. a. wirtschaftliche Aufgaben sowie Fragen der Erbfolge und Gerichtsbarkeit; sie definierten daneben aber auch eine gewaltfreie Zone des Zusammenlebens. Darüber hinaus beschränkten sie die Möglichkeiten des Besitzerwechsels.

Neben dem "Burggrafen", der die Gemeinschaft v. a. nach außen hin vertrat, hatten die in der Regel für die Dauer eines Jahres gewählten "Baumeister", meist zwei an der Zahl, die eigentliche, aber eben zeitlich beschränkte Leitungsposition der Ganerbschaft inne. Sie kümmerten sich neben der Verwaltung der gemeinsamen Mittel und der Versorgung mit Vorräten auch um die Instandhaltung, Ausrüstung und Bewaffnung der Anlage.

Ganerbendörfer und -städte

Ganerben und Lehen im oberfränkischen Bischberg (Lkr. Bamberg) um 1700. (Gestaltung Stefan Schnupp, Angaben nach Arneth, Bischberg. Ein fränkisches Ganerbendorf, Hallstadt 1965; Ortsblatt von Bischberg von 1822)
Darstellung der Zerstörung der Ganerbenburg Altguttenberg (Lkr. Kulmbach) durch Truppen des Schwäbischen Bundes 1523. Holzschnitt von Hans Wandereisen, 1523. (Staatsbibliothek Bamberg, RB.H.bell.f.1, fol. 19r/Foto: Gerald Raab)
Die Burg Salzburg befindet sich am Rand einer Hochebene über Bad Neustadt an der Saale (Lkr. Rhön-Grabfeld). Seit dem Spätmittelalter entwickelte sie sich zu einer der größten Ganerbenburgen Mitteleuropas. (Zeichnung von 1833 aus: Voit von Salzburg/Friedrich August Valentin, Die uralte Kaiserburg Salzburg bei Neustadt an der Saale, 8. Bayerische Staatsbibliothek, 037/K-K 645)
Die Herrschaftsverhältnisse in Fürth 1717. Plan von Johann Georg Vetter (1681-1745). Legende: Gelb: Hochfürstlich Brandenburg-Ansbachische Häuser, rot: Dompröbstliche Häuser, grün: Nürnbergische Häuser. (Staatsarchiv Nürnberg, Fürstentum Ansbach, Karten und Pläne 106)

Kondominate oder Kondominien bezeichnen auch die gemeinsame Territorialgewalt und Herrschaftsausübung mehrerer, oft benachbarter, reichsunmittelbarer oder gar souveräner Hoheitsträger über eine Stadt, ein Dorf oder eine Landschaft (Cordes). Im Gegensatz zu Burg- und Schlossanlagen, die zunächst auch tatsächlich vom Adel bewohnt wurden, waren Dörfer und Städte mehr oder weniger lukrative Besitzobjekte, die selten Residenz, sondern in erster Linie Einnahmequelle bzw. Prestige- und Herrschaftsobjekte waren. Die Burgfrieden- und Ganerbenverträge des Mittelalters dienten zweifellos als Vorbilder der frühneuzeitlichen Besitzkondominate des Adels.

Bekannte Städte im heutigen Bayern, die ganerbschaftlich organisiert waren, sind die "Dreiherrschaft" Fürth und Ostheim vor der Rhön (Lkr. Rhön-Grabfeld), wo die Zersplitterung so weit fortgeschritten war, dass die ursprünglichen Besitzverhältnisse kaum mehr rekonstruiert werden können. Die große Mehrheit der Ganerbschaften stellen allerdings Dörfer dar. Auf dem Land, gerade in stark fragmentierten Regionen wie Franken, konnte die Herrschaftsstruktur und -zusammensetzung von Ort zu Ort variieren. Für gewöhnlich unterhielt jede Herrschaft ihren eigenen Schultheißen in Dörfern wie Bischberg (Lkr. Bamberg), Sylbach, Ober- und Unterhohenried, Uchenhofen oder Unfinden (alle Lkr. Haßberge); auf den meist jährlich stattfindenden Ganerbentagen rotierte der Vorsitz. Unabhängig davon, wie viele Untertanen ein Herrschaftsträger auf sich vereinte, bestand stets die Notwendigkeit, sich miteinander zu arrangieren und die Ganherrschaft im Verbund auszuüben, hatte doch jedes Mitglied auf dem Konvent die gleichen Rechte.

Exemplarische Darstellung des Aufkommens der Ganerbschaft im Bereich des heutigen Bayerns

In Altbayern mit seinen seit dem Spätmittelalter relativ klaren territorialen und herrschaftlichen Strukturen stellten Ganerbschaften, wie beispielsweise auch in Österreich, ein weitgehend unbekanntes Phänomen dar. Territorial stark zersplitterte Gebiete wie Hessen, das Rheintal, Schwaben und Franken mit der ihnen eigenen Gemengelage unterschiedlicher Herrschaftsträger mit sich häufig überschneidenden Kompetenzen boten hingegen die besten Voraussetzungen für ganerblich verfasste Objekte. Auch in (Nord-)Württemberg und Thüringen, Baden und im Elsaß traten sie auf. Für Franken sind als Beispiele für Ganerbenburgen die Anlagen Alt-Guttenberg (Lkr. Kulmbach) (seit 1367) und Thüngen (Lkr. Main-Spessart) sowie der im 11. und 12. Jahrhundert entstandene Rothenberg zu nennen, der sich zwischen 1478 und 1698 unter ganherrschaftlicher Verwaltung und Herrschaft befand, aber sowohl davor als auch danach als wittelsbachische Anlage fungierte. 1478 hatte Pfalzgraf Otto II. von Pfalz-Mosbach (reg. 1461-1499) das Schloss an 44 fränkische Ritter verkauft; 1698 erwarb es der bayerische Kurfürst Max Emanuel (reg. 1679-1726).

Bei der Salzburg (Lkr. Rhön-Grabfeld) handelt es sich mit einer Fläche von 10.700 Quadratmetern um eine der größten Burgen Frankens. Erbaut vom Würzburger Bischof auf früherem Königsgut, wurde die Burganlage zwischen dessen niederadligen Lehnsmannen aufgeteilt, um Konkurrenz zu vermeiden. Als eingesetzte Burgherren kontrollierten sie sich gegenseitig. Die einzelnen Ministerialenfamilien errichteten ab der Mitte des 13. Jahrhunderts jeweils eigene Kleinburgen auf dem Areal, sodass eine Ganerbenburg entstand. Ferner sind die Burgganerbschaften Aufseß, Freienfels (Stadt Hollfeld) (beide Lkr. Bayreuth), Henfenfeld (Lkr. Nürnberger Land), Schwanberg (Lkr. Kitzingen) sowie Streitberg und Wüstenstein (beide Lkr. Forchheim) zu nennen. Etliche Städte und zahlreiche Dörfer v. a. in Franken, aber auch in Schwaben runden das Bild dieser in weiten Teilen ganerbschaftlich strukturierten Regionen ab. Im heutigen Bayerisch-Schwaben zählen dazu Ortschaften wie Bad Grönenbach und Rothenstein (beide Lkr. Unterallgäu). Die ganerbschaftliche Verfasstheit stellt daher in den ländlichen Gebieten v. a. des frühneuzeitlichen Franken keinen Sonderfall, sondern eher den Normalzustand dar. Gut untersucht ist die ehemals sächsische Exklave des Amtes Königsberg in Unterfranken (Lkr. Haßberge) mit seinen elf Ganerbendörfern, in denen u. a. sowohl sächsische als auch würzburgische Untertanen lebten. In dem in sieben Gane aufgeteilten Dorf Westheim bei Haßfurt lebten neben Bamberger und Würzburger sowie klösterlichen und reichsritterschaftlichen Hintersassen auch Königsberger Amtsuntertanen. Den kleinen Ort Trappstadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) teilten sich zeitweise sogar elf Ganerben.

Ende der Ganerbschaften

Die Absicherung und Integration des niederen Adels in den reichsritterschaftlichen Institutionen im Laufe der Frühen Neuzeit ließ die ursprüngliche existentielle Schutz- und Rechtfertigungsfunktion der Ganerbschaften in den Hintergrund treten. Die meisten von ihnen überdauerten dennoch bis ans Ende des Alten Reiches und wurden erst ab 1803 im Zuge der Mediatisierung aufgelöst. Viele Ganerbschaften gingen (auch schon früher) in Fideikommisse über, die sich seit dem 17. Jahrhundert durchzusetzen begannen und erst durch Reichsgesetz vom 6. Juli 1938 (RGBl. I 1938, 825) aufgelöst wurden.

Alexander Jendorff (geb. 1970) ordnet den Kondominien drei Phasen zu: Nachdem sie in einer ersten Phase bis etwa 1500 in recht großer Zahl als Instrument der Herrschaftsgewinnung, -stabilisierung und des regionalen Interessenausgleichs entstanden, folgte im 16. und 17. Jahrhundert eine Phase der Konsolidierung bestehender Gemeinschaften, während anschließend bis 1800 "eindeutige Abstoßungstendenzen" konstatiert werden können, die Kondominien zu "Liquidations- und Verhandlungsobjekten" degenerieren ließen. Grundsätzlich war die Auflösung einer Ganerbengemeinschaft nur mit Zustimmung aller Mitglieder in Form eines Aufhebungsvertrages möglich. Andere Ursachen des Erlöschens einer Ganerbschaft war deren Konsolidierung in einer Hand, der Tod all ihrer Mitglieder oder aber die Zerstörung des ganerblich organisierten Besitzobjektes. Ein großer Teil der Ganerbenschlösser bzw. -burgen wurde im Dreißigjährigen Krieg zerstört.

Ganerbschaften und ihre Herausforderungen

Verwaltung

Kondominal verfasster Besitz musste früher oder später nahezu zwangsläufig zu Konflikten zwischen den Anteilshaltern führen. Auf Burgen, die gleich mehrere adlige Familien beherbergten, konnte sich bereits das gemeinsame Wohnen und Wirtschaften problematisch gestalten. Viele Niederadlige indes lagerten ihre Mitgliedschaft (häufig sogar in mehreren Gemeinschaften) aus der bisher gemeinschaftlich bewohnten Burg aus und betrachteten sie lediglich als Nebenoption. Freilich musste aber auch ganerblicher Besitz, der nicht von den Eigentümern bewohnt war, einvernehmlich verwaltet und regiert werden. Je mehr Ganerben an einem solchen Rechts-, Besitz- und Verwaltungsgefüge teilhatten, desto komplexer gestaltete sich dieser Vorgang. Jendorff bezeichnet die Probleme, die im Bereich der alltäglichen Verwaltung, Rechtsprechung oder Religionspraxis entstehen konnten, als enorm. Den Untertanen hingegen bot die herrschaftliche Diversität die Möglichkeit, zwischen einzelnen Herrschaftsträgern zu lavieren (bis hin zum Umzug innerhalb des gleichen Ortes auf das Lehen eines anderen Ganerben), sich neue Handlungsspielräume zu eröffnen und auf diese Weise eigene Interessen umzusetzen, gerade wenn sich die Mitherren in der Durchsetzung ihrer konkurrierenden Forderungen, Verordnungen und Rechtssprüche gegenseitig zu blockieren trachteten.

Dennoch büßten Kondominate bis weit in die Neuzeit hinein an ihrer (gewandelten) Attraktivität nichts ein. Das Interesse an solchen Gütern lag - auch für Neu- oder Wiedereinsteiger - nicht primär und ausschließlich in den oft nur sehr begrenzten, da untereinander zu teilenden materiellen Einnahmen, die sich ihren Inhabern boten. Vielmehr lag das Interesse in der Zugehörigkeit zu der Gesamtheit der Besitzergruppe, über die der eigene soziale Status, etwa als reichsfreier Adliger und Angehöriger der Reichsritterschaft, symbolträchtig reproduziert werden konnte. Das Objekt (besonders im Fall von Burgen) diente – sogar im verfallenen Zustand – als "Fundamentaldenkmal, aus dessen Besitz jeder Ganerbe seinen Anspruch auf Herrschafts- und Entscheidungspartizipation ableiten konnte. Rechtlich stellte sie die Legitimationsbasis dar, um standes- oder regionalpolitische Ansprüche vertreten zu können" (Jendorff). Volker Rödel (geb. 1945) spricht bei Ganerbenburgen gar von einer "Arena der Selbstorganisation und der ständischen Selbstvergewisserung des Niederadels", selbst wenn dieser weiterhin der landesherrlichen Oberhoheit unterworfen blieb. Gegen die Expansions- und Arrondierungsbestrebungen der Territorialherren auf Kosten auch des reichsfreien Adels und seiner Besitzungen versprachen Kondominate in jedem Fall wirksamen Schutz. So wurden letztlich gerade sie zur Zielscheibe landesfürstlicher Erwerbsstrategien. Im Laufe der Frühen Neuzeit drangen verschiedene Landesherren durch Aufkauf und Einbehalt bei Heimfall in zahlreiche, ursprünglich dem Niederadel vorbehaltene Kondominate vor.

Konfession

Neben dem voranschreitenden Staatsbildungsprozess spielten dabei auch konfessionstaktische Erwägungen eine Rolle. Gerade in konfessionell gemischten Gebieten konnte das Bekenntnis bereits eines einzelnen Ganerben ausschlaggebend für oder gegen die Einführung, Beibehaltung oder Abschaffung der Reformation bzw. des evangelischen Glaubens in einem Ort sein. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 hatte zu den konfessionellen Verhältnissen in den Kondominien bezeichnenderweise keine Aussage getroffen.

Besonders in den Zeiten der einsetzenden Gegenreformation um 1600 machten sich v. a. die geistlichen Landesherren wie die Bischöfe von Bamberg und Würzburg diesen Umstand zunutze und favorisierten in den zahlreichen Ganerbendörfern ihrer Hochstiftsgebiete die Vergabe von Lehen an katholische Vasallen, die protestantische Vorbesitzer verdrängen und eine katholische Mehrheit (an Ganerben und Untertanen) in den betreffenden Orten herstellen sollten. Diese Taktik gewann insbesondere nach 1648 an Bedeutung, als die Konfession der Untertanen eines Gebietes auf den Stand des Normaljahres 1624 festgelegt wurde und eine Veränderung der kirchlichen Verhältnisse nur noch auf Umwegen zu erreichen war. Minimalziel waren Einrichtung und Ausbau von Simultaneen in Orten, in denen katholische Minderheiten nachgewiesen oder aber (etwa durch Schlosspersonal katholischer Adliger oder die Peuplierung von im Krieg entvölkerten Dörfern) neu angesiedelt werden konnten. So wurden Kondominien zum "Schlachtfeld des Konfessionsgedankens" (Jendorff). Nach 1582 konnten in ein und demselben Ort sogar verschiedene Kalender herrschen, was das Zusammenleben der Untertanen und insbesondere die Abstimmung der Nutzung gemeinsamer Einrichtungen wie der Kirche zusätzlich verkomplizierte.

Juden im Kondominat

Besonders die Reichsritterschaft, die den größten Anteil frühneuzeitlicher Ganerben ausmachte, bediente sich der Aufnahme von Schutzjuden auf ihren Gütern zum Ausbau der Herrschaft und um die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. In vielen Dörfern entstanden auf diese Weise sog. Judenhöfe. Etliche fränkische Siedlungen, in denen ganerbschaftlich organisierte Mischherrschaften verbreitet waren, wurden nach der Vertreibung der Juden aus den Reichsstädten und aus anderen Territorien im 15. Jahrhundert zu "Konsolidierungsorten jüdischen Lebens" (Stretz). Dabei ging es allerdings nicht ausschließlich um finanzielle Aspekte, sondern auch um die generelle Behauptung und Durchsetzung von Herrschaftsrechten, war doch gerade das Judenregal ein Herrschaftstitel, der praktiziert werden wollte. Nach Stretz stellten Kondominate eine "örtliche bzw. herrschaftliche Rahmenbedingung" dar, welche jüdischen Gemeinden "spezifische Handlungsstrategien bieten" konnte. So ermöglichten die konkurrierenden rechtlichen wie standespolitischen Interessen den Untertanen - generell und speziell auch Juden - zahlreiche Gelegenheiten, die verschiedenen Herrschaftsträger gegeneinander auszuspielen bzw. mit dem Wechsel des Schutzherrn bessere Bedingungen auszuhandeln und den Wohnort dennoch beizubehalten. Im unterfränkischen Untersuchungsraum zählt Stretz rund ein Dutzend Kondominate, in denen sich zwischen ca. 1550 und 1650 jüdische Niederlassungen belegen lassen. Als langfristige Siedlungen wertet er Aub (Lkr. Würzburg), Burghaslach (Lkr. Neustadt a.d. Aisch - Bad Windsheim), Eibelstadt (Lkr. Würzburg), Rödelsee (Lkr. Kitzingen) und Wenkheim (Baden-Württemberg). Die Fürsten, die im Laufe der Frühen Neuzeit Einzug in die Ganerbschaften hielten, setzten oft gerade hier den Hebel an, indem sie die Ausweisung von Juden betrieben und ihren mindermächtigen Mitganherren auf diese Weise sowohl Herrschaftskompetenzen streitig machten als auch wirtschaftliche Ressourcen entzogen.

Entwicklung und Stand der Forschung

Dietmar Willoweit (geb. 1936) bezeichnete die gesamte Materie noch 2009 als "bisher wenig erforscht". Die rechtswissenschaftliche Bearbeitung des Themas setzte indessen bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts durch Autoren wie Ulrich Zasius (1461–1535) und Johann Fichard (1512–1581) ein. Den Burgfriedensgemeindschaften widmete sich der Altdorfer Professor Konrad von Rittershausen (1560–1630) erstmals 1603 im Rahmen des Feudalrechts systematisch und sprach dabei von Ganerbschaften als confraternitates, communniones, societates oder confoederationes; die Ganerben bezeichnete er als condomini. Seine Arbeit sowie die 1620 in Tübingen erschienene Abhandlung von Jacob Werner Kyllinger (1598-1620) avancierten schnell zu Standardwerken. Durch Publizisten wie sie erfolgte bereits eine systematische Analyse, Interpretation und Kontextualisierung in lehens- und territorialrechtlichen Zusammenhängen. Weitere Bearbeitung fand das Thema durch Johann Georg Estor (1699-1773) und Johann Stephan Pütter (1725-1807). Die negative Konnotation von Kondominien (communio mater discordiarum) setzte mit Johann Jacob Moser (1701-1785) Ende des 18. Jahrhunderts ein, der damit gewissermaßen die Basis für die Sichtweise späterer Generationen schuf. Der frühneuzeitlichen Rechtswissenschaft, die einen einheitlichen Herrschaftsbegriff favorisierte, widerstrebte das undurchsichtige Geflecht der vielfach verwobenen und sich überschneidenden grundherrlichen, vogteilichen und hochgerichtlichen Territorialrechte. Für die Vorstellung bzw. die frühneuzeitliche Realität verschiedener Territorialherren am gleichen Ort war im monokratisch ausgerichteten Jurisdiktionsschema bereits bei den zeitgenössischen Kommentatoren kein Platz, was zwangsläufig und noch einmal verstärkt ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Stigmatisierung des Kondominats als "eines der absurdesten Faszinosa des alten Reichsmonstrums" (Jendorff) führen musste, was freilich eine Vielzahl seiner durchaus positiv zu bewertenden Facetten ausklammert. Friedrich Karl Alsdorf ordnete das Phänomen 1980 juristisch systematisch ein und bearbeitete es überregional, während die neueste umfassende Arbeit zum Thema von Alexander Jendorff, die auch einen ausführlichen Forschungsüberblick zum Phänomen der Ganerbschaften bietet, sich v. a. auf hessische Beispiele konzentriert.

Literatur

  • Friedrich Karl Alsdorf, Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen (Rechtshistorische Reihe 9), Frankfurt am Main u. a. 1980.
  • Konrad Arneth, Bischberg. Ein fränkisches Ganerbendorf, Hallstadt 1965.
  • Christoph Bachmann, Funktion, Typologie und Geschichte früher Adelsburgen in Altbayern, in: Ferdinand Kramer/Wilhelm Strömer (Hg.), Hochmittelalterliche Adelsfamilien in Altbayern, Franken und Schwaben (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 20), München 2005, 729–748.
  • Christoph Bachmann, [Art.] Ganerbenburgen, in: Deutsche Burgenvereinigung e. V. (Hg.), Burgen in Mitteleuropa. Ein Handbuch, Stuttgart 1999, 39–41.
  • Hans-Peter Baum, [Art.] Burg, in: Lexikon des Mittelalters. 2. Band: Bettlerwesen bis Codex von Valencia, Stuttgart 1999, 958f.
  • Albrecht Cordes, [Art.] Kondominat, in: Lexikon des Mittelalters. 5. Band: Hiera-Mittel bis Lukanien, Stuttgart 1999, 1296.
  • Alain Coret, Le Condominium (Bibliothèque de Droit International XIII), Paris 1960.
  • Hélène Débax, La Seigneurie collective. Pairs, pariers, partage les coseigneurs du XIe au XIIIe siècle, Rennes 2012.
  • Helmut Flachenecker, Die Ganerbenburg Salzburg bei Neustadt an der Saale. Zwischen bischöflichem Machtanspruch und niederadeliger Selbstbehauptung, in: Gisela Drossbach/Andreas Otto Weber/Wolfgang Wüst (Hg.), Adelssitze – Adelsherrschaft – Adelsrepräsentation in Altbayern, Franken und Schwaben (Neuburger Kollektaneenblatt 160 [2012] / Schwäbische Geschichtsquellen und Forschungen 27), Augsburg 2012, 347–359.
  • Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, [Art.] Ganerbe, in: Deutsches Wörterbuch. 4. Band, Leipzig 1878, 1216–1218.
  • Alexander Jendorff, Condominium. Typen, Funktionsweisen und Entwicklungspotentiale von Herrschaftsgemeinschaften in Alteuropa anhand hessischer und thüringischer Beispiele (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 72), Marburg 2010.
  • Alexander Jendorff, Die Ganerbenburg. Zur politischen-sozialen Funktion eines Burgtyps für Herrschaftsgemeinschaften, in: G. Ulrich Großmann/Hans Ottomeyer (Hg.), Die Burg. Wissenschaftlicher Begleitband zu den Ausstellungen "Burg und Herrschaft" und "Mythos Burg", Dresden 2010, 102–109.
  • Alexander Jendorff, Gemeinsam herrschen. Das alteuropäische Kondominat und das Herrschaftsverständnis in der Moderne, in: Zeitschrift für Historische Forschung 34 (2007), 215–242.
  • N. von Kirchheim, [Art.] Kondominat, in: Wörterbuch des Völkerrecht. 1. Band: Aachener Kongreß bis Hussar-Fall, Berlin 2. Auflage 1960, 654–655.
  • Gerhard Köbler, [Art.] Ganerbe, in: Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, München 1997, 174.
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  • Eberhard Freiherr von Küntzberg, [Art.] Ganerbe, in: Deutsches Rechtswörterbuch. 3. Band: entschuldigen bis Geleitleute, Weimar 1935–1938, 1150–1151.
  • Eberhard Freiherr von Küntzberg, [Art.] Ganerbschaft, in: Deutsches Rechtswörterbuch. 3. Band: entschuldigen bis Geleitleute, Weimar 1935–1938, 1152.
  • Robert Meier, Souverän und doch geteilt. Kondominate. Eine Annäherung an eine typische Sonderform des Alten Reichs am Beispiel der Grafschaft Wertheim, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 24 (2002), 253–272.
  • Helmut Naumann, Das Rechtswort Ganerbe, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 71 (1974), 59–153.
  • Werner Ogris, [Art.] Ganerben, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 1. Band, Berlin 2. Auflage 2009, 1928–1930.
  • Volker Rödel, Die Burg als Gemeinschaft. Burgmannen und Ganerben, in: Lukas Clemens/Sigrid Schmitt (Hg.), Zur Sozial- und Kulturgeschichte der mittelalterlichen Burg. Archäologie und Geschichte (Interdisziplinärer Dialog zwischen Archäologie und Geschichte 1), Trier 2009, 109–139.
  • Martin Schütz, Die Ganerbschaft Rothenberg in ihrer politischen, juristischen und wirtschaftlichen Bedeutung, Nürnberg 1924.
  • Torben Stretz, Juden in Franken zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. Die Grafschaften Castell und Wertheim im regionalen Kontext (Forschungen zur Geschichte der Juden A 26), Wiesbaden 2016.
  • Dietmar Willoweit, [Art.] Kondominat, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 2. Band, Berlin 2. Auflage 2009, 2012–2014.
  • Dietmar Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt. Landesobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit (Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte 11), Köln/Wien 1975.
  • Joachim Zeune, [Art.] Bayern, in: Deutsche Burgenvereinigung (Hg.), Burgen in Mitteleuropa. Ein Handbuch. 2. Band: Geschichte und Burgenlandschaften, Darmstadt 1999, 181–188.

Quellen

Weiterführende Recherche


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Empfohlene Zitierweise

Andreas Flurschütz da Cruz, Ganerbschaft, publiziert am 1.8.2018; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ganerbschaft> (29.3.2024)