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Frauenfriedensbewegung: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 23. September 2021, 14:42 Uhr

Memorandum von Margarethe Lenore Selenka an die Haager Friedenskonferenz, 1899. (aus: Die internationale Kundgebung der Frauen zur Friedens-Konferenz vom 15. Mai 1899, München 1900, 12)
Veranstaltungsplakat einer Münchner Frauenversammlung gegen den Burenkrieg, 15. Dezember 1901. (Staatsarchiv München, Plakatsammlung)
Plakat für die Frauenversammlung im Münchner Hotel Union am 13. Januar 1932. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Plakatsammlung)
Aufruf von Lida Gustava Heymann "Frauen Europas, wann erschallt euer Ruf?" (aus: Sabine Hering/Cornelia Wenzel [Hg.], Frauen riefen, aber man hörte sie nicht. Die Rolle der deutschen Frauen in der internationalen Frauenfriedensbewegung, Kassel 1986, 30)
"10 Gebote für die Neue Legislaturperiode", Forderungen des deutschen Zweigs der IFFF an den Reichstag, 1925. (aus: Die Frau im Staat, 7. Jg. [1925], Heft 1,3)
Anita Augspurg, nach einer Aufnahme der Photographischen Anstalt "Elvira" in München, ohne Datum. (Bayerische Staatsbibliothek)

von Hiltrud Häntzschel

Während der sozialistisch-proletarisch geprägte Pazifismus von Berlin ausging, war München von etwa 1900 bis 1933 Zentrum einer sowohl radikal-feministischen als auch einer bürgerlich-gemäßigten Frauenfriedensbewegung, die trotz heftigen politischen und gesellschaftlichen Gegenwinds auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen suchte, am Ende ohne sichtbare Erfolge. Prominenteste Vertreterinnen in Bayern waren Anita Augspurg (1857-1943), Lida Gustava Heymann (1868-1943) und Constanze Hallgarten (1881-1969).

Militär und Pazifismus als Geschlechterkategorien

Das nationale Selbstwertgefühl der Deutschen im spät gegründeten deutschen Kaiserreich basierte auf dem Sieg-Frieden von 1871. Damit erfuhr alles Militärische in Gesellschaft und Erziehung, im Geschichtsdenken und im Geschlechterverhältnis einen bis dahin nicht gekannten Prestigezuwachs, während Pazifismus zum Synonym für Landesverrat, für Mangel an Vaterlandsliebe, für Feigheit, für Unmännlichkeit wurde.

Gegen diese Zuschreibungen gingen von einigen wenigen Frauen aus München seit der Jahrhundertwende starke Gegenimpulse und –aktionen aus. Anita Augspurg (1857–1943), die auch das Münchner Fotoatelier Elvira mitbegründete, und Lida Gustava Heymann (1868-1943), beide schon aktiv in der Frauenstimmrechtsbewegung, entwickelten aus einer radikal-feministischen Position heraus einen theoretischen und praktischen Pazifismus, den sie aus der konstatierten Wesensungleichheit von Mann und Frau biologisch-psychologisch zu begründen suchten: Dem männlichen Prinzip, dem Grundsatz der Gewalt, des Kampfes aller gegen alle, stehe das weibliche Prinzip der gegenseitigen Solidarität, der Güte, des Verstehens gegenüber.

Friedenskonferenz in Den Haag 1899 und der Burenkrieg

Ebenfalls um die Jahrhundertwende nahm Margarethe Lenore Selenka (1860-1922), Gattin eines Münchner Zoologieprofessors, die von Zar Nikolaus II. (1868-1918) initiierte internationale Friedenskonferenz in Den Haag (18. Mai bis 29. Juli 1899) zum Anlass, Frauen aus der ganzen Welt für deren Ziele zu gewinnen, mit dem Erfolg, dass in 19 Ländern Europas, Asiens und Amerikas 565 Friedenskundgebungen stattfanden. In Deutschland hatte die Initiative allerdings nur geringe Resonanz. Die Grausamkeiten des Burenkriegs mobilisierten 1901/1902 breite bürgerliche Kreise in München und gaben der jungen Frauenfriedensbewegung Auftrieb.

Gründung der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit" (IFFF)

Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs zeigten sich nur wenige Frauen in Deutschland für den chauvinistischen Rausch des so genannten "Augusterlebnisses" nicht anfällig: In Berlin, dem Zentrum eines eher klassenkämpferischen weiblichen Pazifismus, repräsentierten vor allem Rosa Luxemburg und Clara Zetkin eine sozialistische Kriegsgegnerschaft; Helene Stöcker vertrat die weiblich-pazifistische Position im "Bund Neues Vaterland". In Bayern waren es neben nichtorganisierten Katholikinnen und Schriftstellerinnen wie Annette Kolb (1870-1967) und Claire Studer-Goll (die beide vor der Verfolgung durch die bayerische Polizei in die Schweiz emigrieren mussten) Frauen aus dem Kreis um Augspurg und Heymann, u. a. Gertrud Baer und Lucie Hoesch-Ernst (1864-1944).

Trotz Polizeiverfolgung, Postüberwachung und Bespitzelung, trotz Reiseverboten und Inhaftierung verstärkten die Pazifistinnen ihre Aktivitäten gegen den Krieg und für eine völkerversöhnende Politik. Unter dem emphatischen Aufruf Lida Gustava Heymanns zu gemeinsamem Handeln "Frauen Europas, wann erschallt Euer Ruf?" (erschienen in der englischen Zeitschrift Jus Suffragii, 1. Februar 1915 und als - umgehend beschlagnahmtes - Anti-Kriegsflugblatt in Bayern) gründeten auf dem 1. Internationalen Frauenkongress vom 28. April bis zum 1. Mai 1915 Frauen der kriegführenden Länder den "Frauenausschuss für dauernden Frieden".

Auf dem 2. Frauenfriedenskongress in Zürich vom 12. bis 19. Mai 1919 wurde er in "Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit" (IFFF) umbenannt. Die Zentrale wurde in Genf angesiedelt. Die IFFF arbeitet noch heute mit nationalen Ausschüssen in zahlreichen Ländern und besitzt als Nicht-Regierungsorganisation (NGO) Beraterstatus in der UNO. Der deutsche Zweig hatte seit 1919 seinen Sitz im Münchner Leuchtenbergpalais unter der Leitung von Anita Augspurg. Um 1928 gehörten ihm etwa 2.000 Mitglieder in 80 weitgehend selbständig arbeitenden Ortsgruppen an.

„Die Frau im Staat“

Verbindendes Organ der dezentral organisierten Ortsgruppen war die seit 1919 von Augspurg und Heymann herausgegebene Monatsschrift "Die Frau im Staat", die bis zu ihrer erzwungenen Einstellung im März 1933 von den Aktivitäten in den Sektionen, von Petitionen an Reichstag und Länderregierungen berichtete, sich in Krisenfällen für gewaltfreie Konfliktlösungen einsetzte, sich gegen Giftgasforschung, Rüstungsgeschäfte und Waffentransporte richtete. Sie prangerte den wieder laut werdenden Ruf nach deutschen Kolonien ebenso an wie Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus sowie die Todes- und Prügelstrafe. Von Anfang an bekämpfte die Zeitschrift den Nationalsozialismus und forderte eine generelle Durchsetzung von Reformen im Sinne einer pazifistischen Erziehung der noch immer unter dem wilhelminischen, kriegsverherrlichenden Geist stehenden deutschen Schule.

Constanze Hallgarten: Bürgerlicher Pazifismus

Die Leiterin der Münchner Ortsgruppe der IFFF, Constanze Hallgarten (1881-1969), machte durch ihre großbürgerliche Herkunft, ihre Verbindung zu Universitätsprofessoren, zur Kulturprominenz und zum bayerischen Adel (besonders Maria de la Paz, Prinzessin Ludwig Ferdinand von Bayern [1862-1946]) einen gemäßigten Pazifismus, eine eher wohlmeinend-friedfertige Solidarität der Frauen und Mütter, bis weit ins bürgerlich-konservative Lager salonfähig, indem sie den intellektuellen, radikal-feministischen Pazifismus um den Preis seiner politischen Stoßkraft entschärfte. Dennoch brachte ihr ihr mutiges Engagement in eben diesen Kreisen (etwa bei dem einstigen Freunden Ludwig Thoma [1867-1921] und Hans Pfitzner [1869-1949] scharfe Kritik ein, bald auch bei den völkisch-rechtsextremen Gruppierungen. Beim Hitlerputsch vom 8./9. November 1923 standen die Münchner Pazifistinnen auf den schwarzen Listen der zu Liquidierenden.

Hallgarten arbeitete eng mit der "Deutschen Friedensgesellschaft" (DFG) unter ihrem langjährigen Vorsitzenden Ludwig Quidde (1858-1941) zusammen. 1927 zeigte die Friedensgesellschaft im Münchner Asamsaal (Sendlingerstr. 61) eine große, von Hallgarten und der engagierten katholischen Gymnasiallehrerin Marie Zehetmaier (1881-1980) erarbeitete Ausstellung mit dem Titel "Friedensbewegung und Friedensarbeit in allen Ländern", die in mehreren deutschen Städten Station machte.

Im Frühjahr 1931 gründete Constanze Hallgarten eine deutsche Gruppe der französischen "Ligue internationale des Mères et des Educatrices pour la Paix", den "Weltfriedensbund der Mütter und Erzieherinnen", und konnte "die führenden Frauen Deutschlands" als Erstunterzeichnerinnen gewinnen, darunter Anita Augspurg, Gertrud Bäumer (1873-1954), Vicki Baum (1888-1960), Prinzessin Ludwig Ferdinand, Helene Böhlau (1856-1940), Katharina v. Kardorff Oheimb (1879-1962), "Frau Gerhart Hauptmann und Frau Thomas Mann" (Margarete Marschalk [1875-1957] und Katharina Mann [1883-1980]), Marie Elisabeth Lüders (1876-1966), Ina Seidel (1885-1974), Anna Siemssen (1882-1951), Helene Stöcker (1869-1943), Käte Stresemann (1883-1970), Regina Ullmann (1884-1961), Marianne Weber (1870-1954).

1932: Abrüstungskonferenz in Genf und Pazifistinnenskandal in München

Zum Auftakt der internationalen Abrüstungskonferenz in Genf im Februar 1932 sammelte die IFFF weltweit sieben bis neun Mio. Unterschriften für eine Abrüstungspetition. Eine "große öffentliche Frauenversammlung" zur Abbrüstungskonferenz unter dem Motto "Weltabrüstung oder Weltuntergang" am 13. Januar 1932 im Hotel Union in der Münchner Barerstraße zog eine schmutzige Kampagne der NS-Presse gegen die Veranstalterinnen und Rednerinnen, darunter Erika Mann (1905-1969), nach sich. Der Geist von 1933 kündigte sich an und damit das Ende einer Frauenfriedensbewegung.

Ausblick: Verfolgung nach 1933, Arbeit nach 1945

Mit der "Machtübernahme" der Nationalsozialisten waren gerade die Pazifistinnen im höchsten Grade gefährdet. Augspurg und Heymann befanden sich bereits seit Januar 1933 im Ausland und kehrten nicht mehr nach Deutschland zurück. Sie engagierten sich weiter in der IFFF von ihrem Hauptsitz Genf aus, zusammen mit Getrud Baer, welche die IFFF seit 1929 als Choint Chairwoman leitete. C. Hallgarten floh im März 1933 über die österreichische Grenze ins Exil. Im Reich folgten Hausdurchsuchungen und Schutzhaft für zurückgebliebene Mitglieder. Marie Zehtmaier wurde während des Krieges bis zu ihrer Befreiung bis Mai 1945 in der Heil- und Pflegeanstalt Gabersee als "unheilbare Pazifistin" (Kanzleinotiz auf ihrem abgelehnten Befreiungsgesuch vom 20.8.1942; BayHStA MK 17134) interniert.

Da die IFFF während des Krieges in Genf und New York als Organisation aktiv weiter bestanden hatte, konnte schon 1946 eine kleine Gruppe die Arbeit für den Frieden in München wieder aufnehmen (1948 waren es bereits 100 Mitglieder). Zu ihnen gehörten bald zurückgekehrte Emigrantinnen wie Constanze Hallgarten und Überlebende wie Marie Zehetmaier. Die entschiedene Positionierung der deutschen IFFF gegen die Wiederbewaffnung in den frühen 1950er Jahren hatte erhebliche Repressionen für die dem verfassungsfeindlichen Spektrum zugerechneten Pazifistinnen und das zeitweilige Verbot der Organisation in Bayern zur Folge. Eine der wichtigsten Persönlichkeiten für die Friedensarbeit in München (und darüber weit hinaus) war die Soziologin Eleonore Romberg (1923-2004), Vorsitzende der Münchner Ortsgruppe der IFFF, Vorstandsmitglied der Deutschen Sektion und für mehrere Jahre Präsidentin der Weltorganisation.

Literatur

  • Gisela Brinker-Gabler (Hg.), Frauen gegen den Krieg, Frankfurt am Main 1980.
  • Helmut Donat/Karl Holl (Hg.), Die Friedensbewegung. Organisierter Pazifismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Düsseldorf 1983.
  • Hiltrud Häntzschel, „Nur wer feige ist, nimmt die Waffe in die Hand“. München - Zentrum der Frauenfriedensbewegung 1899-1933, in: Sybille Krafft (Hg.), Zwischen den Fronten. Münchner Frauen in Krieg und Frieden 1900-1950, München 1995, 18-40.

Quellen

  • Wolfgang Benz (Hg.), Pazifismus in Deutschland. Dokumente zur Friedensbewegung 1890-1939, Frankfurt am Main 1988.
  • Constanze Hallgarten, Als Pazifistin in Deutschland. Biographische Skizze, Stuttgart 1956.
  • Lida Gustava Heymann/Anita Augspurg, Erlebtes - Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940, hg. von Margrit Twellmann, Frankfurt am Main 1992.
  • Sabine Hering/Cornelia Wenzel (Hg.), Frauen riefen, aber man hörte sie nicht. Die Rolle der deutschen Frauen in der internationalen Frauenfriedensbewegung zwischen 1892 und 1933 (Schriftenreihe des Archivs der deutschen Frauenbewegung 2), Kassel 1986.
  • Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit/Deutscher Zweig (Hg.), Völkerversöhnende Frauenarbeit während des Weltkrieges Juli 1914 - November 1918. 6 Bände, München u. a. 1920-1932.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Hiltrud Häntzschel, Frauenfriedensbewegung, publiziert am 21.05.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Frauenfriedensbewegung> (28.03.2024)