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Frankenführer

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Ankündigung einer Kundgebung des "Frankenführers" in Rothenburg o.T. am 25. März 1936. Anzeige in: Fränkischer Anzeiger Nr. 21 (24.3.1936), 1. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Eph.pol. 0 bt-70/71,1-6)

von Matthias Klaus Braun

Seit Mitte der 1920er Jahre etablierte sich der Beiname "Frankenführer" als inoffizieller Titel für die wichtigste Figur des Nationalsozialismus in Nordbayern, Julius Streicher (NSDAP, 1885–1946). Der Begriff war allein an dessen Person gebunden. Die Bezeichnung rührte aus der vor 1933 eingenommenen Position Streichers innerhalb der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) her. Danach blieb sie bis 1945 zwar gebräuchlich, verschleierte aber die tatsächliche Reduzierung von Streichers Einflussgebiet auf Mittelfranken. Unter den führenden Nationalsozialisten war der Beiname "Frankenführer" eine Ausnahme neben der Titulatur Adolf Hitlers (NSDAP, 1889-1945, Reichskanzler 1933-1945) als "Führer".

"Frankenführer" als Widerspruch

Der später als "Frankenführer" bezeichnete Julius Streicher (NSDAP, 1885–1946) wurde am 14. Februar 1885 in Fleinhausen (Lkr. Augsburg) geboren und entstammte damit keinem der drei fränkischen Regierungsbezirke. Lebenslang blieb Streichers Herkunft in seiner schwäbischen Mundart deutlich hörbar. Nach Franken, genauer Mittelfranken, kam Streicher erst im Jahr 1909, als er auf Grund seines Berufs als Volksschullehrer nach Nürnberg versetzt wurde. Dem Ortswechsel waren verschiedene Konflikte mit der lokalen Schulaufsicht vorausgegangen. Unterbrochen durch seinen Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg sollte Nürnberg künftig sein beruflicher und politischer Lebensmittelpunkt sein. Bis zu seiner Absetzung als Gauleiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im Jahr 1940 änderte sich an der Zentrierung auf Nürnberg nichts. Der Parteigau "Franken" umfasste jedoch lediglich von seiner Gründung im Jahr 1925 bis zu seiner Aufteilung 1928 alle drei Regierungsbezirke Unter-, Mittel- und Oberfranken. Während dieses Zeitraums war die Bezeichnung Streichers als "Frankenführer" zumindest innerhalb der NSDAP angemessen. Ab dem 1. März 1929 war Streichers Machtbereich auf den Gau Mittelfranken der NSDAP reduziert, was den damaligen Verwaltungsgrenzen des gleichnamigen Regierungsbezirks entsprach. Trotzdem verfügte Adolf Hitler (NSDAP, 1889-1945, Reichskanzler 1933-1945) am 21. April 1933, den Namen in "Gau Franken" zu ändern. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs blieb die Bezeichnung "Frankenführer" für Streicher zwar ebenso gebräuchlich wie die verallgemeinernde Titulatur "Gau Franken", entsprach aber nicht der politischen Realität. Noch weniger gaben die Parteibezeichnungen die historische Dimension des Begriffs Franken wieder, da die Gebiete des frühneuzeitlichen Fränkischen Reichskreises, die außerhalb des Freistaats Bayern lagen, keine Rolle spielten.

"Frankenführer" als Parteigründer und -anführer

Julius Streicher und Adolf Hitler auf dem Deutschen Tag der NSDAP in Nürnberg am 1. und 2. September 1923. (Bayerischer Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6560)

Parteiamtliche Führungspositionen übernahm Streicher erstmals im April 1920 als Vorstandsmitglied der Reichsleitung der neugegründeten völkisch-antisemitischen Deutschsozialistischen Partei (DSP) und nach seinem Übertritt in die Splitterpartei Deutsche Werkgemeinschaft (DW) 1921, in der er zweiter Vorsitzender der Nürnberger Ortsgruppe war. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte er es durch Redeauftritte und Zeitungsartikel im rechtsextremen Spektrum der Stadt geschafft, Gefolgsleute an sich zu binden. In beiden Parteien war Streicher mit seinem vulgär-radikalen Antisemitismus in Konflikt mit gemäßigteren Führungspersonen geraten. Außerdem zeichnete sich im völkischen Parteienspektrum Nordbayerns ein Konzentrationsprozess zugunsten der NSDAP ab. Streicher nahm diesen Trend und die Streitigkeiten zum Anlass, sich am 8. Oktober 1922 Hitler zu unterstellen. Bis zur Mitte des Jahrzehnts spielten DSP und DW politisch keine Rolle mehr. Am 11. Oktober 1922 gründete Streicher eine Ortsgruppe der NSDAP in Hersbruck (Lkr. Nürnberger Land). Neun Tage später wurde auf seine Initiative hin eine nationalsozialistische Ortsgruppe in Nürnberg ins Leben gerufen. Streicher übernahm deren Vorsitz. An zahlreichen weiteren Ortsgruppengründungen der folgenden Jahre beispielsweise in Erlangen oder im oberfränkischen Forchheim war er aktiv beteiligt.

Julius Streicher (Mitte) beim Umzug am Gedenktag des Hitlerputsches am 8./9. November 1938. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-38993)

Streicher hatte eine große Zahl an neuen Mitgliedern in die NSDAP mitgebracht und es damit der Partei erleichtert, auch im Norden Bayerns organisatorisch Fuß zu fassen und von hier aus weiter über die Landesgrenzen auszugreifen. Der Aufbau eines breiten Netzes an Ortsgruppen ab 1922 unter Streichers Anleitung trug wesentlich dazu bei und sicherte ihm Hitlers dauerhaftes Wohlwollen. In die weiterhin vom Münchner Führungszirkel dominierte Parteiprominenz der NSDAP rückte Streicher erst im Zuge des gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsches vom 8./9. November 1923 auf. Aus seiner aktiven Teilnahme an dem Umsturzversuch entstand ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Hitler, was sich auch in den nach 1933 jährlich abgehaltenen Gedenkfeiern widerspiegelte und Streicher in der öffentlichen Inszenierung eine besondere Rolle zuwies. Seitdem genoss er bis zu seiner Absetzung 1940 sowohl Hitlers Schutz vor innerparteilichen Konkurrenten als auch dessen Gunst trotz zahlreicher sittlicher und finanzieller Skandale, die der Außenwirkung der NSDAP schadeten. Während der 1920er Jahre hatte dies immer wieder zu Diskussionen in der Partei geführt, ob man Streicher als "Führer" anerkennen könne. Die verstärkte Propagierung als "Frankenführer" durch seine Anhänger diente damit auch der Überspielung der innerparteilichen Kritik.

"Frankenführer" als stilisierter politischer Vorkämpfer

Unmittelbar nach dem Scheitern des Umsturzversuchs 1923 übertrug Hitler Streicher die politische Leitung der NSDAP für Nordbayern. Noch während der Münchner Vorgänge hatte er ihn in einem Telegramm als "Führer der fränkischen Bewegung" bezeichnet. Zu Jahresanfang 1924 musste Streicher für seine Beteiligung am Putsch eine mehrwöchige Festungshaft in Landsberg am Lech antreten. In den kommenden Jahren folgten weitere Gerichtsprozesse und Verurteilungen zu Geld- und Haftstrafen vor allem wegen Verleumdungen und Beleidigungen. Streicher nutzte die Verfahren für propagandistische Auftritte und berichtete ausführlich darüber in dem 1923 von ihm gegründeten Hetzblatt "Der Stürmer". Seinen Anhängern gegenüber stellte er sich als Märtyrer für die nationalsozialistische Sache dar, der angeblich persönliche Nachteile nicht scheute. Tatsächlich war Streicher im Dezember 1923 vom Schuldienst lediglich suspendiert und 1928 endgültig in den vorzeitigen Ruhestand mit unvermindertem Pensionsanspruch versetzt worden. Seine politische Agitation verursachte abgesehen von Geldstrafen keinen persönlichen wirtschaftlichen Schaden, sondern erbrachte ihm durch Redehonorare und vor allem die Erlöse aus seiner Privatzeitschrift "Der Stürmer" sogar zusätzliche Einnahmen.

Darstellung des "Frankenführers" Julius Streicher in Karl Holz, Freiheitskampf in Franken, Nürnberg 1933, 2f. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 49323 k)

Der Beiname "Frankenführer" für Streicher kam wahrscheinlich Mitte der 1920er Jahre auf. Eine zunehmende Zahl an Anhängern war damals weniger der NSDAP, sondern Streicher persönlich verbunden. Daraus resultierte der bandenmäßige Charakter seiner Gefolgschaft, der sich aus der persönlichen Nähe und teilweise der wirtschaftlichen Abhängigkeit als Mitarbeiter von Streichers Zeitschrift "Der Stürmer" ergab. Dieses direkte Umfeld zeichnete sich durch eine hohe personelle Kontinuität über fast zwei Jahrzehnte aus, während die mittelfränkische NSDAP insgesamt nicht zuletzt durch Streichers Eskapaden und herrischen Führungsstil vor 1933 eine hohe personelle Fluktuation in Form von Austritten und Abspaltungen aufwies. Das generelle Desinteresse Streichers an einer straffen Parteiorganisation in Mittelfranken gab seinen engen Gefolgsleuten Freiraum zu eigener Machtausübung und förderte damit die direkte Bindung an ihn. Wie der Historiker Herbert Schott herausgearbeitet hat, war der Begriff "Frankenführer" keine Eigenzuschreibung des so Titulierten, sondern ging auf diesen Kreis loyaler Anhänger zurück.

Dass sich der Beiname als Alleinstellungsmerkmal in der NSDAP allgemein erst mit der Zeit durchsetzte, zeigt eine im Mai 1927 abgehaltene Versammlung der NSDAP-Ortsgruppe Kulmbach, die ihrerseits den oberfränkischen Parteiredner Hans Schemm (NSDAP, 1891-1935) zum "Frankenführer" kürte.

In der Bezeichnung für Streicher mit eingeschlossen war nicht nur die Anerkennung für die Ausbreitung der Parteiorganisation, sondern auch die offensive Verbreitung antisemitischen Gedankenguts. Zunächst ab 1923 über Hetzartikel im „Stürmer“ und öffentliche Redeauftritte ideologisch vorbereitet, wurden Streichers Vorstellungen nach 1933 insbesondere in seinem Gaugebiet aktiv umgesetzt. Beispielsweise ordnete die Nürnberger Stadtverwaltung am Jahresanfang 1938 antisemitische Diskriminierungs- und Verfolgungsmaßnahmen mit dem Hinweis an, dass in der "Hauptstadt des Gaues Franken der NSDAP und dem Sitze des Gauleiters und Frankenführers Julius Streicher" andere Maßstäbe gelten würden. Einwände staatlicher Stellen wurden damit zurückgewiesen. Mehrere an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen zwischen 1937 und 1939 entstandene Doktorarbeiten mit antisemitischen Themen waren dem "Frankenführer Julius Streicher in Dankbarkeit und Verehrung" gewidmet. Einer der Promovierten fungierte sogar offiziell als "Forschungsbeauftragter des Frankenführers Julius Streicher". Der Aspekt der antisemitischen Hetze war neben der geographischen Einordnung unmittelbarer Bestandteil des Beinamens. Das bedeutete, dass in Streichers Machtbereich viele Diskriminierungsmaßnahmen zuerst und radikaler durchgeführt wurden als in anderen Gebieten in Deutschland. Beispiele hierfür sind regional begrenzte Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte in den Jahren 1934 und 1937 sowie der Abriss der Nürnberger Hauptsynagoge am Hans-Sachs-Platz ab dem 10. August 1938 noch vor dem reichsweiten Pogrom drei Monate später. Ferner sind die ungefähr zeitgleich stattfindenden wirtschaftlichen Enteignungsmaßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung zugunsten Streichers und seiner Gefolgsleute im Herbst 1938 anzuführen, was auf Grund der ausschließlich persönlichen Bereicherungen sogar der nationalsozialistischen Gesetzgebung widersprach. Letzteres, in der Rückschau als "Arisierungsskandal" bekannt, führte am 16. Februar 1940 zu Streichers Entmachtung durch einen geheimtagenden Sonderausschuss der NSDAP mit der seinem Beinamen hohnsprechenden Begründung: "Zur Menschenführung ungeeignet".

"Frankenführer" als politische Anmaßung

Titelblatt der Zeitschrift "Der Anti-Stümer. Kampfblatt für die Wahrheit" vom 18.9.1925. (Bayerische Staatsbibliothek 2. Eph.pol. 71 m-1)

Die Bezeichnung "Frankenführer" intendiert eine stark exponierte Stellung im NS-Staat. Dabei handelte es sich um keinen offiziellen Titel, der etwa durch eine Parteistelle oder durch Hitler an Streicher verliehen worden wäre. Im Gegenteil stand eine solche Titulierung für Streicher sogar im Widerspruch zum strikt hierarchischen "Führerprinzip" der nationalsozialistischen Ideologie. Der Begriff des "Führers" war mit hierarchischen Abstufungen vor allem in der paramilitärischen Struktur von "Sturmabteilung" (SA) und "Schutzstaffel" (SS) gebräuchlich. In der Politischen Organisation der NSDAP blieb die Bezeichnung "Führer" ohne einen einschränkenden Zusatz Hitler vorbehalten. Die nachgeordneten Parteiränge von der Reichs- über die Gauebene bis zu den Ortsgruppen, Sektionen und Blöcken wurden von den jeweiligen "Leitern" verantwortet.

Hitler und andere hochrangige Nationalsozialisten akzeptierten dennoch Streichers Beinamen, auch wenn sie diesen in der Regel nicht selbst gebrauchten. Gegen eine Verwendung in parteioffiziellen Publikationen gab es keinen Einspruch. Bei der anerkennend gemeinten Verwendung des Beinamens "Frankenführer" spielte es keine Rolle, dass die ersten schriftlichen Belege aus dem Kreis der Gegner Streichers stammten. Seit Mitte der 1920er Jahre wurde der Begriff als Spottname verwendet, um den offensichtlichen Widerspruch zwischen dem großsprecherischen Auftreten Streichers und seinem politischen Einfluss aufzuzeigen. Diese Facette, meistens noch hervorgehoben durch Anführungszeichen, trat jedoch zunehmend hinter der als Auszeichnung für Streicher gedachten Verwendung zurück.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 wurde die Verwendung des Beinamens in Kombination mit weiteren Funktionsbezeichnungen sogar noch gesteigert. In offiziellen Schreiben, beispielsweise des Nürnberger Oberbürgermeisters, an Partei- und Staatsstellen findet sich die Wendung "Gauleiter und Frankenführer Julius Streicher". Semantisch erinnert sie stark an die seit Sommer 1934 gebräuchliche Anrede "Führer und Reichskanzler Adolf Hitler". Die offiziellen, in Buchform verbreiteten Berichte über das Geschehen an den Reichsparteitagen der NSDAP 1933 und 1934 wurden formal "herausgegeben im Auftrage des Frankenführers Julius Streicher". Erst mit der Gründung des Zweckverbandes Reichsparteitag Nürnberg 1935 ersetzte dessen Leiter Hanns Kerrl (NSDAP, 1887-1941) Streicher als Herausgeber. Auch wenn Streicher als Gauleiter von Franken quasi Gastgeber in Nürnberg war, spielte er auf den Reichsparteitagen eine zunehmend untergeordnete Rolle.

"Frankenführer" als idealisierter Landesvater

Der geographisch-kulturelle Zusatz "Franken" machte die Zuständigkeit für diese bestimmte Region deutlich. Darin inbegriffen spiegelten sich in der Betonung Frankens anhaltende antibayerische Ressentiments der Bevölkerung in den zu Beginn des 19. Jahrhunderts unfreiwillig eingegliederten, bis dahin weitestgehend selbständigen Herrschaftsgebieten wider. Die Wortschöpfung "Frankenführer" erinnert begrifflich eher an romantisch verklärte Vorstellungen altgermanischer Stammesführer. Sie besetzt eine historisch-politische Leerstelle. Als "Frankenführer" ließen sich am ehesten noch die frühmittelalterlichen Frankenkönige verstehen, obwohl das später als "Franken" bezeichnete Gebiet nur ein kleiner Grenzbereich im Osten ihres Herrschaftsraums darstellte. Der im Spätmittelalter aufkommende Titel "Herzog von Franken" war dagegen kein Ausdruck politischer Macht, sondern dekorativer Beiname vor allem der Fürstbischöfe von Würzburg, den später im 19. Jahrhundert die wittelsbachischen Könige von Bayern bis zum Ende der Monarchie übernahmen. Als "Frankenführer" politisch-ideologischer Natur, wie Streicher von seinen Anhängern gesehen wurde, gab es keine historischen Vorläufer.

Julius Streicher bei einer Rede auf dem Bauerntag der NSDAP im Juli 1928 auf dem Hesselberg. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6836)

Eine im Zuge der nationalsozialistischen Machtübernahme in Bayern kurzzeitig erwogene staatliche Sonderfunktion für Streicher als "Oberkommissar für Franken" kam wegen Bedenken anderer Führungspersonen in der NSDAP nicht zustande. Streicher blieb mit Ausnahme der nur wenige Monate im Jahr 1934 andauernden Ernennung zum Politischen Beauftragten bei der Regierung von Mittelfranken-Oberfranken dauerhaft ohne Staatsamt. Trotzdem entwickelte sich innerhalb seines auf Mittelfranken beschränkten Machtbereichs der noch nach 1945 bestehende Eindruck, dass gegen Streichers Willen politisch nicht anzukommen war. Faktisch bestanden jedoch neben der Gauleitung weitere autonome Machtfaktoren wie die Staatspolizeidirektion Nürnberg-Fürth oder große Kommunalverwaltungen wie die der Stadt Nürnberg, die miteinander wechselseitig kooperierten, aber auch gegeneinander arbeiteten. Überdeckt wurden diese polykratischen Verhältnisse durch die gezielte Stilisierung Streichers als Landesvater. Insbesondere die Zusammenkünfte auf dem Hesselberg in den Jahren 1933 bis 1939 sollten den Personenkult um den Gauleiter stärken. Der Veranstaltungstitel als "Frankentag" gab dem Ganzen einen offiziösen Charakter ähnlich dem jährlichen Reichsparteitag in Nürnberg. Zahlreiche Ehrenbürgerwürden kleinerer und größerer Gemeinden in ganz Mittelfranken unterstrichen Streichers öffentliche Wahrnehmung nach 1933 ebenso wie Straßen-, Platz-, Siedlungs- oder Gebäudebenennungen. In diesem Kontext sind auch öffentlich inszenierte Amnestien für sozialdemokratische und kommunistische KZ-Häftlinge durch Streicher in den Jahren 1935 und 1938 zu sehen. Das Begnadigungsrecht war üblicherweise allein dem Staatsoberhaupt vorbehalten.

Julius Streicher mit Kindern bei einem Ausflug auf das Land 1935. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-11327)

Selbst als Streicher im Zuge des "Arisierungsskandals" im Februar 1940 entmachtet wurde, Nürnberg verlassen und sich auf seinen Bauernhof nahe Cadolzburg (Lkr. Fürth) zurückziehen musste, behielt er neben seinem Parteirang als Gauleiter sein Attribut als "Frankenführer". Der Begriff blieb an seine Person gebunden und ging auf keinen Nachfolger über. Beleg für diese Selbstverständlichkeit ist beispielsweise ein Stimmungsbericht des Regierungspräsidenten von Mittelfranken-Oberfranken vom April 1940, dass in der Bevölkerung aufgefallen sei, "daß die Zeitungen gar nichts mehr vom Frankenführer brachten." Wie die "Frankentage" auf dem Hesselberg blieb der Beiname Teil des auf Streicher zugeschnittenen Personenkultes.

Alternativbezeichnungen zum "Frankenführer"

Für Streicher sind zeitgenössisch weitere Beinamen belegt wie "blutiger Zar von Franken" oder "des Reiches führender Judenfresser". Verwendet wurden sie vor allem durch die ausländische Presse. "Frankenführer" war aber die am weitesten verbreitete Bezeichnung und gewann spätestens nach 1933 einen offiziösen Charakter. Für die Miterlebenden wurde dieser Beiname zum Synonym für Streicher.

Es ist anzunehmen, dass Streicher selbst auf negativ gemeinte Bezeichnungen in gewisser Weise stolz war. Allgemein wertete er Angriffe auf seine Person sowohl als Anerkennung und Beleg für seine Bedeutung in der NSDAP als auch als Furcht seiner Gegner vor ihm. Auch bei "Frankenführer" ist eine Bedeutungsverschiebung von einer anfänglichen Ambivalenz zwischen Häme und Bewunderung zur eindeutigen Überhöhung feststellbar. Gemeinsam war allen Beinamen, dass sie Streichers herausgehobene Stellung in den Reihen der NSDAP verdeutlichen sollten. Damit einher ging eine Unverwechselbarkeit, wer mit dem jeweiligen Begriff gemeint war. Auf andere Personen wurden diese nicht angewandt.

"Frankenführer" als Problem der Forschung

Mithilfe seiner Zeitschrift "Der Stürmer" mit radikalantisemitischen Inhalten und Enthüllungsgeschichten über angebliche Skandale, mit zahlreichen öffentlichen Redeauftritten und medienwirksam inszenierten Gerichtsprozessen erreichte Streicher vor 1933 eine deutschlandweite Aufmerksamkeit. In Mittelfranken, speziell in Nürnberg, entstand geradezu der Eindruck einer Omnipräsenz. Dies ist ein Grund, der es bislang erschwert hat, eine wissenschaftliche Gesamtbetrachtung Streichers vorzunehmen. Bisherige Arbeiten konzentrierten sich entweder auf seinen Radikalantisemitismus, psychologische Erklärungen dafür, seine publizistische Tätigkeit mit Schwerpunkt auf den "Stürmer" oder die politischen Umstände seiner Absetzung 1939/40. Die schnell entstandene Popularität Streichers nicht nur unter seinen langjährigen Anhängern, wofür der synonym und spätestens nach 1933 unreflektiert verwendete Begriff "Frankenführer" der bekannteste Ausdruck ist, lässt sich dadurch nicht erklären. Zu abstoßend und skandalbehaftet wäre eigentlich der Typus Streicher für eine Massengefolgschaft gewesen.

Eine weitere Deutungsnuance kam nach 1945 hinzu. Der Beiname "Frankenführer" half nun dabei, unter den Miterlebenden der NS-Zeit besonders in Nürnberg – der "Stadt im Schatten Streichers" (Fritz Nadler) – eine biographische Exkulpationsstrategie zu verfestigen: demnach hatte man sich entweder der absoluten Machtfülle Streichers beugen und gehorsam mitarbeiten müssen oder zumindest keinen aktiven Widerstand hatte wagen können. Damit einher ging paradoxerweise die fortdauernde Kontinuität des Begriffs "Frankenführer" als Synonym für Streicher über seinen Tod durch Hinrichtung als Hauptkriegsverbrecher am 16. Oktober 1946 hinaus. Die mentalitätsgeschichtlichen Nachwirkungen der NS-Zeit, die sich in solchen weiterhin allgemein verständlichen Begriffskontinuitäten ausdrückte, ist auf der regionalen und lokalen Ebene bisher höchstens im Ansatz erforscht. Gleiches gilt für die Weitergabe oder Veränderung im Erkennen und im Verständnis solcher Chiffren, je weiter die Jahre der NS-Diktatur zurückliegen und die Zeitzeugenschaft daran endgültig endet.

Literatur

  • Randall L. Bytwerk, Julius Streicher. The Man Who Persuaded a Nation to Hate Jews, New York 1983.
  • Thomas Greif, Frankens braune Wallfahrt. Der Hesselberg im Dritten Reich (Mittelfränkische Studien 18), Ansbach 2007.
  • Thomas Greif, Julius Streicher (1885–1946), in: Erich Schneider (Hg.), Fränkische Lebensbilder, Bd. 21, Würzburg 2006, 327–348.
  • Rainer Hambrecht, Die Braune Bastion. Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken (1922-1933), Nürnberg 2. Auflage 2017.
  • Daniel Roos, Julius Streicher und "Der Stürmer" 1923-1945, Paderborn 2014.
  • William P. Varga, The Number One Nazi Jew-Baiter. A Political Biography of Julius Streicher, Hitler's Chief Anti-Semitic Propagandist, New York 1981.

Quellen

  • Karl Holz, Der Freiheitskampf in Franken, Nürnberg 1933.
  • Fritz Nadler, Eine Stadt im Schatten Streichers, Nürnberg 1969.
  • Heinz Preiß, Die Anfänge der völkischen Bewegung in Franken, Diss. Universität Erlangen 1937.
  • Staatsarchiv Nürnberg, Mischbestand Rep. 503 ("Sammlung Streicher").

Weiterführende Recherche

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blutiger Zar von Franken; des Reiches führender Judenfresser

Empfohlene Zitierweise

Matthias Klaus Braun, Frankenführer, publiziert am 12.05.2021; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Frankenführer> (28.03.2024)