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Flüchtlingslager

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Flüchtlingslager im Theater Harmonie in Bamberg, Foto von Emil Bauer nach 1945. (Stadtarchiv Bamberg, BS (B) + 28763-3 - H005 B001)

von Martin Renghart

Auch auf der Plassenburg in Kulmbach wurden Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht. Das Foto zeigt den sog. Schönen Hof mit seinen Arkaden, in denen die Bewohner ihre Wäsche zum Trocknen aufgehängt haben. Foto 1947. (Stadtarchiv Kulmbach)

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs erreichten immer mehr Flüchtlinge und Vertriebene Bayern. Die hierfür notwendigen Unterkünfte waren kaum gegeben, zumal unzählige Gebäude durch Kriegseinwirkung zerstört worden waren. Die dadurch hervorgerufene Wohnungsnot führte zur Einrichtung sog. Flüchtlingslager. In Bayern lebten im Oktober 1946 rund 150.000 Menschen in 1.375 Lagern in meist prekären Wohnverhältnissen. Die Organisation der Lager, die schon bald wie kleine Dörfer funktionierten, übernahm in Bayern ab 1946 die staatliche Flüchtlingsverwaltung. Erst Mitte 1963 konnte als letztes Lager in Bayern das in Dürrenzimmern-Heuberg (Lkr. Donau-Ries) aufgelöst werden. Noch 1965 wohnten allerdings rund 60.000 Flüchtlinge in sog. Barackenwohnungen.

Flüchtlingszustrom und Wohnungsnot

Ankommende Flüchtlinge und Vertriebene am Bahnhof Furth im Wald, 1946. (Sudetendeutsches Archiv, Bildersammlung 21380, mit Genehmigung des Stadtarchives Furth im Wald)

Die Ankunft von insgesamt über zwei Millionen deutscher Flüchtlinge und Vertriebene als Folge des Zweiten Weltkriegs führte in Bayern zusammen mit den Kriegszerstörungen zu einer noch nie dagewesenen Wohnungsnot. Die durch staatliche Evakuierungen oder auf eigene Faust 1945 nach Bayern gekommenen Schlesier und Südostdeutschen konnten noch überwiegend in Privatquartieren unterkommen, obwohl sich damals noch Hunderttausende evakuierte und ehemalige ausländische KZ-Häftlinge sowie Zwangsarbeiter im Land befanden. Aber bereits kurz nach Kriegsende mussten auch erste Behelfsquartiere eingerichtet werden. Als ab März 1946 die ersten Züge aus der Tschechoslowakei mit ausgewiesenen Sudetendeutschen eintrafen, schnellte die Zahl der Flüchtlingslager bis Oktober auf 1.375 in die Höhe. Sie beherbergten etwa 150.000 Personen. Nach dem Ende der Massentransporte sank die Zahl der Lager zwar wieder, blieb aber wegen der zahlreichen weiterhin ankommenden Einzelflüchtlinge aus Mittel- und Südosteuropa und zunehmend auch aus der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bis 1949 auf recht hohem Niveau (Insassen Januar 1947: 107.000; November 1947: 64.000; Januar 1949: 96.000; Oktober 1949: 102.000). Insgesamt fehlten in Bayern 1947/48 etwa 700.000 Wohnungen. Seitdem allerdings konnten die Notunterkünfte bis zur Schließung des letzten Lagers 1963 stetig abgebaut werden.

Lagertypen und Lagerstandorte

Die Entlausung der angekommenden Flüchtlinge und Vertriebenen gehörte zur Standartprozedur im Durchschleusungsverfahren. (Sudetendeutsches Archiv, Bildersammlung 21406, mit Genehmigung des Stadtarchives Furth im Wald)

Die 1945/46 errichteten Flüchtlingslager waren zunächst als Durchschleusungslager angelegt. In ihnen sollten die Flüchtlinge und Vertriebenen nur wenige Tage oder Wochen bis zu ihrer Einweisung in Privatquartiere bleiben. Als sog. Durchgangs- bzw. Massenlager, die mühsam winterfest gemacht wurden, beherbergten sie viele Menschen auf engstem Raum, meist wahrten lediglich Vorhänge den Anschein von Privatsphäre. Während diese provisorisch eingerichteten Massenlager bis 1950 allmählich wieder verschwanden, wurden andere zu Wohnlagern ausgebaut, die für einen längeren Aufenthalt gedacht waren. Hier boten Holzwände in den Baracken etwas mehr Privatsphäre und zusätzliche sanitäre Anlagen auch eine erheblich bessere hygienische Versorgung.

An den Grenzübertrittsstellen in Hof-Moschendorf, Wiesau (Lkr. Tirschenreuth), Furth im Wald (Lkr. Cham), Passau-Schalding, Piding (Lkr. Berchtesgadener Land) und Neu-Ulm entstanden spezielle Grenzdurchgangslager. Deren Aufgabe war vor allem die Registrierung, die Entlausung und die gesundheitliche Überprüfung der Neuankömmlinge. Mehrere dieser Grenzdurchgangslager waren, wie manch andere Flüchtlingslager auch, aus Holz errichtete Baracken auf der "grünen Wiese". Die meisten Lager wurden aber auf dem Gelände ehemaliger Kasernen sowie von Arbeitsdienst- und Zwangsarbeiterlagern der NS-Zeit errichtet. Auch das des ehemaligen Konzentrationslagers (KZ) Dachau wurde als Lagerstandort genutzt (Lager Dachau-Ost). In Großstädten wie München und Nürnberg wurden auch Schulen und ehemalige Bunker, in Touristenregionen und Kurorten Hotels und Kureinrichtungen zu Lagern umfunktioniert (Beschlagnahmungen). Bei der Zahl der Lager gab es bayernweit zunächst ein Ost-West-Gefälle: die meisten befanden sich in den ländlichen Regionen Ost- und Südostbayerns, weniger gab es in Schwaben und Unterfranken. Unter den kreisfreien Städten hatte neben München besonders Amberg viele Flüchtlingslager. 1949 konzentrierte sich die Lager mit den meisten Bewohnern aber, entsprechend der allgemeinen Wanderungstendenz der Flüchtlinge, bereits um die Metropolen München, Nürnberg und Augsburg.

Herkunft der Lagerbewohner

Ankommende Flüchtlinge und Vertriebene am Bahnhof Furth im Wald, 1946. (Sudetendeutsches Archiv, Bildersammlung 21390, mit Genehmigung des Stadtarchives Furth im Wald)

Die überwiegende Zahl der Lagerinsassen bestand aus Flüchtlingen und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, der Tschechoslowakei (Sudetenland) und Südosteuropa. Von dort stammten 1955 zusammen immer noch 77 % der Personen. Der übrige Anteil setzte sich vor allem aus Aussiedlern und DDR-Flüchtlingen zusammen. Letztere wurden ab November 1952 in zunächst sieben "Notunterkünften Ost" untergebracht, darunter die Flüchtlingslager Furth im Wald und Hammelburg und die Kasernen in Dillingen und Kempten 1958 gab es für sie bereits 20 Notunterkünfte. Zwischenzeitlich waren in einigen Lagern auch nichtdeutsche Flüchtlinge und Vertriebene aus den kommunistisch gewordenen Staaten Mitteleuropas untergebracht. Anfang 1950 lebten etwa 7.000 von ihnen meist in besonderen Ausländerlagern.

Die noch im Land lebenden Displaced Persons (DPs), ehemalige, in der Kriegswirtschaft beschäftigte Zwangsarbeiter meist mittel- und osteuropäischer Herkunft, hatten dagegen eigene Lager zur Verfügung. Diese wurden bis 1950 von der Flüchtlingsorganisation der UNO, der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) bzw. International Refugee Organization (IRO), betreut. Ab diesem Jahr übernahm die bayerische Flüchtlingsverwaltung die damals noch bestehenden zwölf Lager mit etwa 10.000 DPs.

Zwar existieren kaum Statistiken über die Herkunft der deutschen Lagerinsassen. Es ist aber anzunehmen, dass es sich bei den meisten von ihnen um Sudetendeutsche handelte. Dagegen fanden die etwas früher hierher gekommenen Schlesier noch weitgehend in Privatquartieren Unterkunft. Wie auch auf vielen Fotos erkennbar, waren die Lagerinsassen überproportional häufig unselbständige Familienangehörige, viele von ihnen Kinder. Während Männer in den städtischen Lagern bald wieder einer Arbeit nachgingen, blieb in den ländlichen Lagern die Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger wegen fehlender Arbeitsplätze dauerhaft hoch, was sich hemmend auf die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen auswirkte.

Organisation und Betreuung der Lager

In einer zentralen Lagerküche wurde das Essen für die Lagerbewohner gekocht. Bei der Essensausgabe bildeten sich oft lange Schlangen. (Sudetendeutsches Archiv, Bildersammlung 21404, mit Genehmigung des Stadtarchives Furth im Wald)

Die ersten Flüchtlingslager waren bald nach Kriegsende von Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz, das seit Juni 1945 wieder eine eigenständige Organisation in Bayern (BRK) hatte, oder in kommunaler Regie eingerichtet worden. Nach der Errichtung einer staatlichen Flüchtlingsverwaltung in Bayern im Herbst 1945 übernahm diese während der Jahre 1946 und 1947 schrittweise die Betreuung und Finanzierung der meisten Lager und zusätzlich noch die zahlreicher weiterer Notunterkünfte. Die Grenze zwischen Flüchtlingslagern und anderen Notunterkünften war in der Realität fließend. Vereinzelt gab es auch weiterhin lager-ähnliche Unterkünfte in nicht staatlicher Trägerschaft. Nach einer Statistik von Anfang 1953 gab es in Bayern noch etwa 200 Flüchtlingslager mit 63.045 Insassen (Zahlen nach: Kornrumpf 1980; ohne "Notunterkünfte Ost")  sowie 509 lagerähnliche Notunterkünfte mit 35.000 Flüchtlingen und Vertriebenen. Außerdem lebten damals noch 73.000 Personen, darunter 31.000 Flüchtlinge und Vertriebene, in "Notwohnungen".

Einige der großen Flüchtlingslager (bspw. München-Allach) unterstanden den bei den Bezirksregierungen angesiedelten "Regierungskommissaren" bzw. später den Regierungsflüchtlingsämtern, die Grenzdurchgangslager zunächst besonderen "Grenzkommissaren", die meisten übrigen Lager den "Kreisflüchtlingskommissaren" bzw. den Flüchtlingsämtern der Landkreise und kreisfreien Städte. Die Oberaufsicht über alle Lager lag seit November 1945 beim Staatskommissar für das Flüchtlingswesen (ab 1948 Staatssekretär) und ab 1954 beim Arbeits- und Sozialministerium, die nicht nur regelmäßige Kontrollen durchführten, sondern auch die Finanzierung sicherten (ab 1950 weitgehend aus Bundesmitteln). Allerdings mussten die Flüchtlinge und Vertriebenen in den Wohnlagern meistens - soweit sie dazu in der Lage waren - Miete zahlen und erhielten dort häufig bis Anfang der 1950er Jahre gegen eine Pauschalgebühr auch regelmäßig Verpflegung, die staatlicherseits von der Bayerischen Lagerversorgung (BLV) bereitgestellt wurde. Nach 1953 wurde die BLV privatisiert und in ein Handelsunternehmen umgewandelt (ab 1996: Metro AG). 1949 wurden von Bayern 65 Mio. DM für die Flüchtlingslager und 19 Mio. DM für die Gemeinschaftsverpflegung aufgewendet.

Lagerpersonal und  Lagereinrichtungen

Jedes Flüchtlingslager wurde von einem Lagerleiter geführt und verfügte über eine Lagerordnung und einen Lagerrat. Die Lagerordnung regelte das Zusammenleben der Lagerbewohner sowie die Ruhezeiten und verpflichtete die Lagerbewohner zu gemeinschaftlichen Arbeiten im Lager. Bereits 1946 wurde von der Landesflüchtlingsverwaltung eine einheitliche Lagerordnung herausgegeben, die auch allgemeine Rechte und Pflichten der Insassen und die Befugnisse des Lagerleiters und des Lagerrats regelte. Sie wurde nach der sog. Dachauer Lagerrevolte 1948 noch einmal revidiert.

Der aus Lagerinsassen bestehende Lagerrat unterstützte den Lagerleiter bei der Überwachung der gerechten Verteilung von Raum und Essen, der Schlichtung von Streitigkeiten und der Ahndung von Verstößen. Faktisch hatte der Lagerleiter aber weitreichendere Kompetenzen im Lager. Das Lagerpersonal bestand in den meisten Fällen aus einem Lagerarzt und mehreren Reinigungs-, Küchen- und  Schreibkräften. Ende 1950 waren 2.261 und im Juni 1953 noch 756 Bedienstete in Lagern tätig. In größeren Flüchtlingslagern fungierten sog. Blockleiter als Mittelsmänner zwischen Lagerleitung und Insassen. Dort gab es oft auch eigene Handwerksbetriebe, eine Schule, einen Laden und eine (Not-)Kirche, zum Teil auch mit eigener Musikkapelle. Die seelsorgerische Betreuung geschah meist durch Geistliche der umliegenden Pfarreien, in einigen Fällen auch durch spezielle Flüchtlingsseelsorger. Diese umfangreiche Infrastruktur führte aber auch dazu, dass der Kontakt der Lagerinsassen zu den nächstgelegenen Gemeinden geringer war als bei anderen Flüchtlingen und Vertriebenen. Allerdings waren zahlreiche Bewohner und Lagerleiter in den örtlichen Gemeinderäten aktiv oder vertraten als Flüchtlingsvertrauensleute die Belange der Vertriebenen auf Kreisebene.

Lebensbedingungen

Marionettentheateraufführung für Kinder im Flüchtlingslager Waldfriedhof an der Fürstenrieder Straße 287 in München. Foto von Ludwig Ebnet 1947. (Stadtarchiv München, DE-1992-FS-NK-STL-0203)

Die Lebensbedingungen in den Lagern waren geprägt vom Mangel, wenngleich sich die Verhältnisse mit der Zeit besserten. Das Essen bestand zunächst häufig nur aus Brot, Sauerkraut und schwarzem Kaffee. Später kamen häufig Bäcker, Metzger und Lebensmittelhändler aus der Umgebung und boten ihre Waren feil. Ebenso knapp waren zunächst Kohle und Brennholz. Auch Wasch- und Kochgelegenheiten waren äußerst begrenzt. Durch den Mangel waren Streitigkeiten und Diebstähle an der Tagesordnung. Außerdem fehlte zunächst fast jede Privatsphäre, was nachträglich vor allem von bürgerlichen Familien als entwürdigend empfunden wurde.

Das tägliche Miteinander von Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus wurde für viele zur Herausforderung. Infolge unzureichender Hygiene waren neben einzelnen Fällen von Typhus und Ruhr besonders Geschlechtskrankheiten verbreitet. Der monotone Tagesablauf und der mangelnde Raum für körperliche Entfaltung machte manche Insassen aggressiv, viele andere litten zunehmend an Apathie.

Obwohl seitens der Flüchtlingsverwaltung auch die kulturelle Betreuung der Lagerbewohner gefördert wurde, blieb diese meist unzureichend. Seitens der Einheimischen wurden die Lagerbewohner dagegen häufig pauschal als faul und - noch ganz im Vokabular der NS-Zeit verhaftet - "arbeitsscheu" angesehen. Dabei gingen viele Flüchtlinge und Vertriebene auch im Lager handwerklichen Tätigkeiten nach und manche begannen dort mit dem Aufbau ihrer neuen gewerblichen Existenz.

Kritik und Protest

Besonders groß waren die Missstände zeitweise in den Durchgangslagern Hof-Moschendorf und Allach II, eingerichtet in den Baracken eines ehemaligen, für das ausgelagerte BMW-Werk Allach angelegten Dachauer KZ-Außenlagers. Dieses Durchgangslager wurde auch als "Lager Dachau" bezeichnet und befand sich bei dem Karlsfelder Ortsteil Rothschwaige). Während ansonsten Proteste oder Tumulte unter den Lagerinsassen weitgehend ausblieben, nutzte im Durchgangslager Allach II der den Kommunisten nahestehende Lagerbewohner Egon Herrmann nutzte diese Situation, um im August 1948 die dortigen Bewohner zu einem Hungerstreik aufzurufen und wiederholt scharf gegen die bayerische Flüchtlingsverwaltung zu polemisieren. Bei der sog. Dachauer Lagerrevolte erklärte er sich im September 1948 selbst zum Oberaufseher über alle bayerischen Flüchtlingslager. Diese Ereignisse erregten die Aufmerksamkeit der bayerischen Presse und beschäftigten auch Landtag und Ministerrat.

Als Reaktion auf die Ereignisse wurden die meisten Insassen von Allach II in andere Lager verlegt. Mithilfe einer neuen landesweiten Lagerordnung sollten die Verhältnisse auch in anderen Flüchtlingslagern verbessert werden. Letztendlich führte die Aktion zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen in den Lagern. Ansonsten bewahrheitete sich die verbreitete Befürchtung nicht, wonach sich die Flüchtlinge und insbesondere die Lagerbewohner politisch radikalisieren könnten. Bei politischen Wahlen lag der Stimmenanteil von Flüchtlingslisten bzw. der Flüchtlingspartei BHE unter den Lagerbewohnern besonders hoch (häufig bei 50 % und darüber).

Die Auflösung der Lager

Die relativ zügige Auflösung der Lager und die anderweitige Unterbringung der Bewohner gelang einerseits durch Umsiedlung der Flüchtlinge und Vertriebenen in andere deutsche Länder, andererseits durch den sozialen Wohnungsbau im eigenen Land (Sonderbauprogramm). Die Umsiedlung wurde durch ein Bundesgesetz von 1951 (Gesetz zur Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, in: BGBl. I, 23.5.1951, 350) sowie mehrere Verordnungen geregelt. Im Rahmen von vier Umsiedlungsplänen führte das u. a. zur Verteilung von über 250.000 Flüchtlingen und Vertriebenen aus Bayern vor allem nach Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Da diese beiden Länder jedoch ausgebildete Fachkräfte unter den Flüchtlingen und Vertriebenen gegenüber den häufig arbeitslosen Lagerinsassen bevorzugten, wurde die gesetzliche Vorgabe, Lagerbewohner seien bevorzugt umzusiedeln, nicht immer eingehalten. Auch innerhalb Bayerns gab es ein Umsiedlungsprogramm. Daneben entstanden in den Jahren 1949 bis 1952 mit staatlicher Förderung etwa 12.000 Wohnungen für Lagerbewohner. In den folgenden Jahren legte der Bund, hauptsächlich aus Mitteln aus dem Lastenausgleich, mehrere Programme zur Lagerräumung auf, mit denen die bayerischen Kommunen als Siedlungsträger im Ländervergleich aber eher zögerlich umgingen. Zusammen mit einem 1955 gestarteten landesweiten Sonderbauprogramm wurden damit bis 1958 weitere 15.000 Wohnungen gebaut. Manche Lagerbewohner versuchten auch selbst, sich anderswo Wohnraum zu beschaffen oder im Treck in ein anderes Land innerhalb der Bundesrepublik zu gelangen.

Durch diese Maßnahmen konnte die Zahl der (staatlichen) Flüchtlingslager von 514 Anfang 1949 auf 24 im Jahr 1958 gesenkt werden (Anfang 1954: 175); die Zahl der Insassen sank entsprechend von 95.993 auf 4.868 1958 (Anfang 1954: 35.009; Zahlen nach Kornrumpf 1980; ohne "Notunterkünfte Ost"). Als letzte staatliche Lager wurden Mitte 1962 das Grenzdurchgangslager Piding (Lkr. Berchtesgadener Land) und Mitte 1963 das Lager von Dürrenzimmern-Heuberg (Lkr. Donau-Ries) aufgelöst. Dennoch wurden in einigen Fällen nicht alle Baracken abgerissen und einzelne Bewohner blieben dort auch über die Auflösung hinaus wohnen. So wurden etwa in Dachau-Ost die letzten Bewohner, zum Teil gegen ihren Willen, erst 1965 aus dem früheren Lager abgesiedelt. Außerdem lebten damals in Bayern immer noch etwa 60.000 Menschen in Barackenwohnungen.

Bayerische Besonderheiten im bundesweiten Vergleich

Bayern hatte nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen den höchsten Flüchtlingsanteil unter den westdeutschen Ländern und deshalb nach diesen Ländern auch die meisten Flüchtlingslager. Allerdings gab es während der 1950er Jahre in Bayern im Vergleich zur Flüchtlingszahl wesentlich weniger Lager als in Norddeutschland. So existierten nach einer Zählung des Statistischen Bundesamtes von 1955 im Bundesgebiet insgesamt noch 1.907 Lager, davon mehr als die Hälfte (997) allein in Niedersachsen, 513 (26,9%) in Schleswig-Holstein und 195 (10,2%) in Bayern. Dies dürfte einerseits statistische Gründe haben, da in Bayern kommunale Notunterkünfte nicht in der staatlichen Lagerstatistik erfasst wurden. Aber auch die unterschiedliche durchschnittliche Lagergröße, die in Bayern damals bei 161, in Schleswig-Holstein bei 130 und in Niedersachsen bei 93 Insassen lag, trug wohl ebenso dazu bei wie die zügigere Lagerräumung in Bayern. In Norddeutschland wurden die letzten Lager erst in den 1970er Jahren aufgelöst; das frühere Grenzdurchgangslager Friedland (Niedersachsen) existiert als Aufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler und Asylbewerber bis heute (2019). Schließlich musste Bayern nur relativ wenige DDR-Flüchtlinge aufnehmen. An den bundesweit etwa 1.000 Notunterkünften für diese Gruppe hatte Nordrhein-Westfalen den größten Anteil. Eine bayerische Besonderheit war, dass auch die Masse der kleinen Lager auf dem Land nicht kommunal, sondern von der staatlichen Flüchtlingsverwaltung betreut wurde.


Heutige Beurteilung und Erinnerungskultur

Das Lager Moschendorf wurde 1957 aufgelöst und die Baracken 1962 abgerissen. Heute erinnert an das Lager ein Denkmal. Es wurde 1980 vom Künstler Fritz Theilmann (1902-1991) geschaffen. ([Foto von PeterBraun74 lizensiert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)
Inschriftentafel des Denkmals für das Lager Moschendorf bei Hof. ([Foto von PeterBraun74 lizensiert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Wie bereits in zeitgenössischen Presseberichten und Veröffentlichungen wurden die Lager auch von der späteren Flüchtlings- und Integrationsforschung kritisch gesehen. Abgesehen von den unmittelbaren Gefahren für Körper und Seele der Bewohner galten sie vor allem als Hemmschuh für deren Eingliederung in die Gesellschaft. Bilder aus Flüchtlingslagern spielen in Dokumentationen und Publikationen über Flucht und Vertreibung oft eine wichtige Rolle. Mit Blick auf die Lagerbewohner erscheint die These von der "kalten Heimat“ (Andreas Kossert) besonders plausibel.

Allerdings mussten in Bayern nur verhältnismäßig wenige Flüchtlinge und Vertriebene jahrelang in Lagern leben, während gleichzeitig auch die übrigen Vertriebenen und viele Bombengeschädigte zunächst in sehr beengten Verhältnissen untergebracht waren. Zudem bedeuteten die Lager für manche Flüchtlinge und Vertriebene im Rückblick auch Eingangspforten in die neue Heimat und wichtige Durchgangsstationen auf dem Weg in eine gesicherte neue Existenz (Mathias Beer). Besonders symbolträchtig in dieser Hinsicht ist das Flüchtlingslager Friedland. Zwar gibt es im Gegensatz zu anderen Ländern in Bayern bisher keine eigenen Denkmäler an früheren Lagerstandorten. Doch in Hof-Moschendorf und in der KZ-Gedenkstätte Dachau wird nicht nur an die ehemaligen KZ-Häftlinge, sondern auch an das spätere Flüchtlingslager erinnert.

Literatur

Allgemein

  • Volker Ackermann, Homo Barackensis. Westdeutsche Flüchtlingslager in den 1950er Jahren, in: Ders./Bernd A. Rusinek/Falk Wiesemann, Anknüpfungen. Kulturgeschichte – Landesgeschichte – Zeitgeschichte. Gedenkschrift für Peter Hüttenberger, Essen 1995, 302–315.
  • Franz J. Bauer, Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Bayern 1945–1950 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 3), Stuttgart 1982, 182–201.
  • Mathias Beer, Lager als Lebensform in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Zur Bewertung der Funktion der Flüchtlingswohnlager im Eingliederungsprozeß, in: Ders./Anne von Oswald/Rainer Ohlinger (Hg.), 50 Jahre Bundesrepublik – 50 Jahre Einwanderung. Nachkriegsgeschichte als Migrationsgeschichte, Frankfurt am Main/New York 1999, 56–75.
  • Mathias Beer, "Ich möchte die Zeit nicht missen". Flüchtlingslager nach 1945 als totale Institutionen?, in: Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis 29 (2000) Heft 3, 186–193.
  • Mathias Beer, Die deutsche Nachkriegszeit als Lagergeschichte – Zur Funktion von Flüchtlingslagern im Prozess der Eingliederung, in: Henrik Bispinck (Hg.), Flüchtlingslager im Nachkriegsdeutschland. Migration, Politik, Erinnerung, Berlin 2014, 47–72.
  • Werner Fuhrmann, Die Geschichte der Bayerischen Lagerversorgung (1945-1974). Ein Zeitspiegel der Ernährungswirtschaft, Beteiligungen- und Liegenschaften-Verwaltungs-GmbH, München 1974.
  • Wolfgang Hasiweder, Geschichte der staatlichen Wohnungsbauförderung in Bayern. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 1, Wien 1993, 146–151.
  • Wolfgang Hasiweder, Geschichte der staatlichen Wohnungsbauförderung in Bayern. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 2, Wien 1993, 380–388.
  • Martin Kornrumpf, In Bayern angekommen. Die Eingliederung der Vertriebenen. Zahlen – Daten – Namen (Dokumente unserer Zeit 3), München 1980, 19–49 und 262–269.
  • Andreas Kossert, Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945, Bonn 2008, 66–70.
  • Georg Müller/Heinz Simon, Aufnahme und Unterbringung, in: Eugen Lemberg/Friedrich Edding (Hg.), Die Vertriebenen in Westdeutschland. Ihre Eingliederung und ihr Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Geistesleben, Bd. 1, Kiel 1959, 300–446, insbes. 414–420.
  • Gerald Neumann, Die Medien und die Flüchtlingsfrage in Bayern von 1945 bis 1953 (Die Entwicklung Bayerns durch die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen 3), München 1994, 101–116.
  • Bernhard Piegsa, Die Umsiedlung der Heimatvertriebenen und der Freistaat Bayern. Mit einem Exkurs zur Vertriebenenumsiedlung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (Die Entwicklung Bayerns durch die Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge 11), Bayreuth 2004.
  • Edgar Pscheidt, Die Flüchtlingslager, in: Friedrich Prinz (Hg.), Integration und Neubeginn. Dokumentation über die Leistung des Freistaates Bayern und des Bundes zur Eingliederung der Wirtschaftsbetriebe der Vertriebenen und Flüchtlinge und deren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, Bd. 1: Texte und Anmerkungen, München 1984, 197–270.
  • Sascha Schießl, "Das Tor zur Freiheit". Kriegsfolgen, Erinnerungspolitik und humanitärer Anspruch im Lager Friedland (1945–1970) (Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsen 31), Göttingen 2016.
  • Daniel Schönwald, Integration durch eine Interessenpartei. Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten in Bayern 1950–1981 (Münchener historische Studien. Abteilung Bayerische Geschichte 24), Kallmünz in der Oberpfalz 2014, insbes. 578–587.

Lokale Studien

  • Hermann Beckstein, Vertriebene im Landkreis Roth. Flucht - Vertreibung - Aufbau. Schicksale heutiger Landkreisbürgerinnen und -bürger, Roth 1994, 12-39.
  • Elisabeth Brantl, Das Flüchtlingslager Michaelsbuch, in: Deggendorfer Geschichtsblätter 7 (1986), 103–128.
  • Gesa Büchert, Notunterkünfte für Neubürger. Das Flüchtlingslager Kipfenberg, in: Angelika Fox (Hg.), Heimat verlieren – Heimat gewinnen. Kontakte, Konflikte, Kooperation. Eichstätt in der Nachkriegszeit, Eichstätt 2003, 62–75.
  • Stefan Ellenrieder, Wohnverhältnisse von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen in München in der Nachkriegszeit, in: Oberbayerisches Archiv 120 (1996), 317–390, insbes. 348–360.
  • Dieter Heller, Das Flüchtlingslager Vogelherd/Schwabach. Station auf dem Weg der Vertreibung, Schwabach o.J.
  • Helmut Jung, "Seit März 1946 treffen Transporte laufend ein…". Zur Geschichte des ehemaligen Flüchtlingslagers Heuberg (Schriftenreihe des Heimatvereins Oettingen e.V. 7), Oettingen 1991.
  • Walter König, Flüchtlingslager Wülzburg. Ankunft und Integration der Heimatvertriebenen in Weißenburg, Weißenburg i. Bay. 1990, 68–108.
  • Susanne Maier, Das Grenzdurchgangslager Furth im Wald (1946-1957), Stamsried 2006.
  • Roland Mayer, Vom Reichsarbeitsdienst-Lager zum Flüchtlingslager, in: Ders. (Hg.), 1200 Jahre Ebelsbach: Ebalihbechin – Ebilbah. Ein Dorf als Heimat und seine Entwicklung als Spiegel der Geschichte, Bd. 2, Ebelsbach 2004, 445–472.
  • Esther Neblich, Das Flüchtlingslager in Hof-Moschendorf in der Nachkriegszeit und die Integration der Heimatvertriebenen im Raum Hof, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 64 (2004), 217–236.
  • Edgar Pscheidt, Als Flüchtling in Bayern. Zwischen Integration, Auswanderung und Rückkehr, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 53 (1990), 103-132.
  • Petra Röhrle, "Displaced Persons" und Flüchtlinge in Karlsfeld und Umgebung, in: Norbert Göttler (Hg.), Nach der "Stunde Null". Stadt und Landkreis Dachau 1945 bis 1949, München 2008, 120-132.
  • Sandra Seider, Das Flüchtlingslager auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau, Magisterarbeit, Univ. München 2007.
  • Uta Titze-Stecher/Peter Stecher, Das "Wohnlager Dachau-Ost" – ein Ort der Zuflucht, in: Hans-Günter Richardi (Hg.), Vom Lager zum Stadtteil. Die Entstehung von Dachau-Ost (Dachauer Dokumente 7), Dachau 2006, 41–71.

Quellen

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Empfohlene Zitierweise

Martin Renghart, Flüchtlingslager, publiziert am 08.07.2019 (aktualisierte Version 28.08.2019); in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Flüchtlingslager> (29.03.2024)