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Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (Weimarer Republik)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Friedrich Veit, Kirchenpräsident von 1920 bis 1933. (Landeskirchliches Archiv der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Fotosammlung Personen [Veit, Friedrich] P 6)
Wilhelm Freiherr von Pechmann (aus: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. 2. Band, Berlin 1931, 1389)

von Hartmut Böttcher

Nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments und der Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Kirche durch die Weimarer Reichsverfassung von 1919 gab sich die evangelische Kirche im rechtsrheinischen Bayern 1920 eine neue Verfassung. 1921 trat ihr die bisher selbständige Coburger Landeskirche bei. Der Kirchenvertrag von 1924/25 regelte die Beziehungen zum Freistaat Bayern neu. Die Jahre der Weimarer Republik erlebten einen Ausbau der inneren Organisation (Predigerseminar, Landeskirchenstelle, Archiv, Innere Mission). Gleichzeitig schärfte die bayerische Landeskirche ihr lutherisches Profil. Im Verhältnis zur katholischen Kirche war besonders die Problematik der Mischehen von Belang. Den Nationalsozialismus begrüßten 1933 weite Teile der Pfarrerschaft und der Gemeinden.

Ende des landesherrlichen Kirchenregiments

Mit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 und dem darin enthaltenen Trennungsgrundsatz in Art. 137 Abs. 1 ("Es besteht keine Staatskirche") sowie der Garantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Art. 137 Abs. 3 endete das landesherrliche Kirchenregiment. Anfang 1920 wurden das Oberkonsistorium in München und die Konsistorien in Ansbach und Bayreuth als staatliche Behörden aufgelöst. Durch Beschluss der Generalsynode vom 31. Juli 1919 waren in einer Notverfassung die Befugnisse des Landesherrn als "summus episcopus" bereits auf das Oberkonsistorium übertragen worden.

Eigene Kirchenverfassung

Sehr schnell wurde kirchlicherseits die Vorbereitung für eine eigene Kirchenverfassung in Angriff genommen. Im Juli 1919 beschloss die Generalsynode Bestimmungen über die Wahl der Mitglieder der Landessynode. Die auf der verfassunggebenden Synode (17. August - 12. September 1920) am 10. September 1920 einstimmig verabschiedete neue Kirchenverfassung trat am 1. Januar 1921 in Kraft und galt mit etlichen späteren Änderungen und Ergänzungen bis zum Inkrafttreten der neuen Kirchenverfassung am 1. Januar 1972.

Leitungsorgane waren nunmehr - und sind es bis heute - vier einander gleichgestellte Organe: Landessynode, Landessynodalausschuss, Landeskirchenrat und Kirchenpräsident (ab 1933: Landesbischof). Die Gliederung in Kirchengemeinden und Dekanatsbezirke blieb bestehen; beiden wurde nun auch innerkirchlich eigene Rechtspersönlichkeit zuerkannt. Die Dekanatsbezirke - bisher reine Verwaltungssprengel - erhielten die Qualität einer Selbstverwaltungskörperschaft und entwickelten sich allmählich zur "Mittleren Ebene" der Landeskirche. Neu war die Einteilung in Kirchenkreise, die an die früheren Konsistorialbezirke anknüpften. Den Kirchenkreisen kam - wie heute - keine eigene Rechtspersönlichkeit zu. An ihrer Spitze stand ein Kreisdekan (seit 2000: Oberkirchenrat im Kirchenkreis bzw. Regionalbischof). Zu den ursprünglich drei Kirchenkreisen (Ansbach, Bayreuth, München) kamen später drei weitere hinzu (1934 Nürnberg, 1951 Regensburg, 1971 Augsburg). Der offizielle Name der Kirche lautete "Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins."

Erster und einziger Kirchenpräsident war der bisherige Oberkonsistorialpräsident Friedrich Veit (1861-1948). Sein Nachfolger wurde 1933 der erste Landesbischof Hans Meiser (1881-1956; seit 1928 Mitglied des Landeskirchenrates). Erster Präsident der Landessynode war Wilhelm Freiherr von Pechmann (1859-1948, Synodalpräsident bis 1922). Auf ihn folgte 1922 der Erlanger Theologieprofessor Philipp Bachmann (1864-1931).

Beitritt der Coburger Landeskirche 1921

Nachdem mit Wirkung vom 1. April 1921 der Anschluss der ehemals selbständigen "Evangelischen Kirche Koburg" an die bayerische Landeskirche vollzogen worden war - dem Volksentscheid vom 30. November 1919 folgend, der die Eingliederung des ehemaligen Herzogtums Sachsen-Coburg-Gotha in den Freistaat Bayern zum 1. Juli 1920 bewirkt hatte -, war das Gebiet der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern deckungsgleich mit dem rechtsrheinischen Gebiet des Freistaats Bayern. Nach dem Verlust der linksrheinischen Pfalz ist die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern die einzige Gliedkirche der EKD, die deckungsgleich mit dem entsprechenden Land ist.

Verhältnis zur Reformierten Kirche und zur Pfälzer Kirche sowie zum Freistaat Bayern

Die evangelisch-reformierten Gemeinden hatten seit 1853 ihre innerkirchlichen Angelegenheiten selbständig verwaltet, unterstanden aber weiterhin dem - das königliche Summepiskopat ausübenden - Oberkonsistorium. Im Juni 1919 erklärten sich die bayerischen Reformierten zur selbständigen Kirche; sie wurden jedoch in Kirchensteuersachen und Angelegenheiten der Pfarrbesoldung nach wie vor durch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern vertreten (Abkommen vom 14. August 1922, Kirchl. Amtsblatt 1922, S. 205).

Bereits 1849 war auf Antrag der Speyerer Generalsynode der Konsistorialbezirk Speyer vom Wirkungskreis des Oberkonsistoriums getrennt und dem damals neu gebildeten Kultusministerium als "Vereinigte Protestantische Kirche der Pfalz" direkt unterstellt worden. Mit dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments wurde sie selbständig.

Das Verhältnis zum Staat regelte der Kirchenvertrag von 1924/25, der - inhaltlich weitgehend dem Konkordat mit der katholischen Kirche von 1924/25 folgend - in entsprechender Weise auch mit der Pfälzischen Landeskirche abgeschlossen wurde.

Weiterer Ausbau der inneren Organisation

Dem inneren Ausbau der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern dienten die Errichtung des Predigerseminars Nürnberg (1922) zur Ausbildung der Vikare (erster Rektor: Hans Meiser) sowie der Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenstelle Ansbach (1930) als "Unterbehörde" des Landeskirchenrates (zuständig vor allem für den Vollzug der Kirchengemeindeordnung). 1930 entstand das Landeskirchliche Archiv in Nürnberg. Es folgten das Amt des Jugendpfarrers (1934, später Amt für Jugendarbeit) und die Gründung des Pfründestiftungsverbandes (1935) zur Entlastung der Pfarrer in der Verwaltung der Pfründestiftungen.

Kirchliches Leben

Schon bei der verfassunggebenden Generalsynode 1920 spielte die konfessionelle Bindung als lutherische Kirche eine bedeutende Rolle. Dies stand auch in den folgenden Jahren im Vordergrund, wobei der Erlanger Universitätstheologie v. a. mit Paul Althaus (1888-1966) und Werner Elert (1885-1954) maßgeblicher Einfluss zukam. Nicht zuletzt schärfte auch die Auseinandersetzung mit der Dogmatik Karl Barths (1886-1968) das lutherische Profil (vgl. auch den Beitrag über "Zwischen den Zeiten").

Zunehmend engagierte sich die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern in der Kindergarten-, Kindergottesdienst- und Jugendarbeit, im Religionsunterricht (an höheren Schulen wurde dieser ausschließlich von ordinierten Pfarrern erteilt) und in der Sonderseelsorge (Militär- und Studierendenseelsorge). Die Jahre nach dem Kriegsende 1918, besonders Inflation und Währungsreform 1923 brachten weite Schichten der Bevölkerung in Not. Hieraus erwuchs eine besondere diakonische Verantwortung im Bereich der Landeskirche, die sich auch organisatorisch mit der Bildung des Landesausschusses für Innere Mission in Bayern (1924) auswirkte.

Eine Herausforderung stellte ferner die Integration vieler kleinerer, zum Teil aus der Erweckungsbewegung heraus entstandener Gemeinschaftskreise dar. Diese hatten sich zunächst zum "Landeskirchlichen Gemeinschaftsverband in Bayern" und 1919 zum "Bayerischen Gemeinschaftsbund" zusammengeschlossen und verblieben so unter dem Dach der Landeskirche.

Eine schwierige Frage dieser Zeit war die Mischehenproblematik, die auf katholischer Seite durch die Bestimmungen des Codex iuris canonici (CIC) von 1917 eine neue Regelung erfahren hatte. Die von der Landessynode 1922 beschlossene Kirchliche Lebensordnung legte hierzu u. a. fest, dass ein Gemeindemitglied, welches die religiöse Erziehung der Kinder in einem anderen Bekenntnis zuließ, sein Wahl- und Patenrecht verlieren würde. Auf katholischer Seite war bei Mischehen die Verpflichtung der Brautleute verlangt worden, für eine katholische Taufe und Erziehung der Kinder zu sorgen. Die Kirchliche Lebensordnung von 1922 sollte Maßnahmen der so genannten Kirchenzucht auch in Stadtgemeinden wieder stärker in das Blickfeld rücken, nachdem solche Bestrebungen in den Städten - im Gegensatz z. B. zu den fränkischen Landgemeinden - mehr oder weniger vernachlässigt worden waren.

Das bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene rege Vereinsleben, v. a. im Bereich von Mission und Diakonie, wurde insoweit etwas gestrafft, als auf landeskirchlicher Ebene zentrale Verbände geschaffen wurden, nämlich: Landesausschuss für Innere Mission, Landesverband der evangelischen Kindergottesdienste, Landesverband evangelischer Kirchenchöre, Evangelischer Bund, Verband Evangelischer Gemeindevereine Bayerns und u. a.

Ambivalentes Verhältnis zum Nationalsozialismus

Gegenüber dem aufkommenden Nationalsozialismus war die Pfarrerschaft gespalten. Überwiegend wurde hierin eine nationale Bewegung zur sittlichen Erneuerung des Volkes und ein "Bollwerk vor der tödlichen Gefahr des gottlosen Bolschewismus" gesehen (Maser). Es gab aber auch Stimmen, die vor der Gefährlichkeit der Rassenlehre und der Selbstpreisgabe des Protestantismus an eine politische Partei warnten. Noch 1932 mahnte der Landeskirchenrat die parteipolitische Neutralität der Pfarrerschaft an. Gleichwohl entstand schon 1931 mit dem Nationalsozialistischen Evangelischen Pfarrerbund (NSEP) eine eigene Organisation NSDAP-naher Pfarrer. Die NSDAP erzielte in den mehrheitlich protestantischen Regionen Bayern, vor allem in Ober- und Mittelfranken, überdurchschnittliche Ergebnisse. Den Regierungsantritt Adolf Hitlers (1889-1945) am 30. Januar 1933 begrüßte die Mehrheit der Pfarrer und Gemeinden.

Der Zwiespalt zwischen Zustimmung und Ablehnung lässt sich exemplarisch an der Person des 1933 - bewusst als Integrationsfigur - zum Landesbischof gewählten Hans Meiser deutlich machen. Meiser war national und konservativ gesinnt und bemühte sich einerseits um die Erhaltung der bayerischen Landeskirche als "intakte Kirche", worin er erfolgreich war. Andererseits wird ihm aber ein zu geringer Widerstand gegen die neuen Machthaber vorgeworfen.

Literatur

  • Hannelore Braun, Innere Mission und evangelisches Vereinswesen, in: Gerhard Müller/Horst Weigelt/Wolfgang Zorn (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. 2. Band, Sankt Ottilien 2000, 281-289.
  • Reinhold Friedrich, Kirchliches Leben und Frömmigkeit, in: Gerhard Müller/Horst Weigelt/Wolfgang Zorn (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. 2. Band, Sankt Ottilien 2000, 233-247.
  • Friedrich Wilhelm Graf, Theologische Strömungen, in: Gerhard Müller/Horst Weigelt/Wolfgang Zorn (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. 2. Band, Sankt Ottilien 2000, 249-269.
  • Gerhard Herold/Carsten Nicolaisen (Hg.), Hans Meiser (1881-1956). Ein lutherischer Bischof im Wandel der politischen Systeme, München 2006.
  • Hans-Peter Hübner, Neuordnung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche und ihres Verhältnisses zum Staat, in: Gerhard Müller/Horst Weigelt/Wolfgang Zorn (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. 2. Band, Sankt Ottilien 2000, 211-232.
  • Hans-Peter Hübner, Das Wirken von Friedrich Veit aus kirchenrechtlicher Perspektive, in:Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 80 (2011), 183-228.
  • Christoph Link, Zwischen königlichem Summepiskopat und Weltanschauungsdiktatur - die bayerische evangelische Landeskirche im Spiegel ihrer Verfassungsentwicklung 1800-1945 (Arbeiten zur Kirchengeschichte Bayerns 93), Nürnberg 2013.
  • Hugo Maser, Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins zur Zeit der Weimarer Republik 1918-1933, München 1990.
  • Carsten Nicolaisen, Nationalsozialistische Herrschaft, in: Gerhard Müller/Horst Weigelt/Wolfgang Zorn (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. 2. Band, Sankt Ottilien 2000, 297-330.
  • Ulrich Schwab, Evangelische Jugendarbeit, in: Gerhard Müller/Horst Weigelt/Wolfgang Zorn (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. 2. Band, Sankt Ottilien 2000, 291-296.
  • Wolfgang Sommer, Friedrich Veit - Kirchenleitung zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus (Arbeiten zur Kirchengeschichte Bayerns 90), Nürnberg 2011.
  • Wolfgang Zorn, Kirche, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, in: Gerhard Müller/Horst Weigelt/Wolfgang Zorn (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern. 2. Band, Sankt Ottilien 2000, 271-280.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Hartmut Böttcher, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (Weimarer Republik), publiziert am 10.09.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Evangelisch-Lutherische_Kirche_in_Bayern_(Weimarer_Republik)> (28.03.2024)