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Deutscher Hochschulring (DHR)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Flugblatt des "Hochschulrings deutscher Art zu München" (Mai 1921).

von Uwe Rohwedder

Der "Deutsche Hochschulring" (DHR) - örtlich auch "Hochschulring deutscher Art" (HDA) - war eine völkisch-nationalistische Sammlungsbewegung innerhalb der Studentenschaft der Weimarer Republik. Er erlangte vor allem in der ersten Hälfte der 1920er Jahre zeitweise eine beherrschende Stellung in zahlreichen Allgemeinen Studentenausschüssen (AStA) und deren Dachverband "Deutsche Studentenschaft". Die Organisation gilt als Wegbereiter des Nationalsozialismus in der Studentenschaft. Der Deutsche Hochschulring, der in Bayern insbesondere an der Universität Erlangen zahlreiche Anhänger fand, wurde zum Ende des Jahrzehnts zunehmend vom "Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund" (NSDStB) verdrängt.

Anfänge

Der Deutsche Hochschulring entstand als Reaktion auf die von vielen Studenten als traumatisch empfundene Kriegsniederlage und die anschließenden Revolutionsereignisse. Zum Zwecke der "Hebung des nationalen Gedankens" in der Studentenschaft bildeten sich um die Jahreswende 1918/19 vielerorts Gruppierungen wie z. B. die "Fichte-Hochschulgemeinde" in Berlin, die sich unter Berufung auf Johann Gottlieb Fichtes (1762-1814) "Reden an die deutsche Nation" (1808) als "Erziehungsgemeinschaft zur geistigen Erneuerung des deutschen Volkes auf völkischer Grundlage" verstand. Im Sommer 1919 schloss sich die "Fichte-Hochschulgemeinde" mit mehreren Studentenverbindungen zum ersten "Hochschulring deutscher Art" zusammen. Von Berlin aus verbreitete sich die Hochschulringidee schnell auf andere Universitäten des Reichs. Am 22. Juli 1920 erfolgte in Göttingen auf Initiative von 19 örtlichen Hochschulringen und anderen studentischen Gruppierungen die Gründung des Deutschen Hochschulrings.

Programm, Organisation und erste Erfolge

In seinem Programm bezeichnete sich der Deutsche Hochschulring als "völkisches Gewissen" der Studentenschaft und wollte "allen Deutschen ein Vorbild völkischer Einheit" sein. Seine Mitglieder bekannten sich zum "deutschen Volkstum", erstrebten die Ausbildung einer "deutschen Volksgemeinschaft" und vertraten einen zunehmend aggressiven Antisemitismus. Obwohl offiziell "überparteilich", stand der Deutsche Hochschulring den Parteien des rechten bis rechtsextremen Spektrums nahe und genoss die Unterstützung insbesondere der DNVP Alfred Hugenbergs (1865-1951). Auf regionaler Ebene, insbesondere in Bayern, kooperierte er zudem mit völkisch-nationalistischen Gruppierungen wie der NSDAP Adolf Hitlers (1889-1945). Aufgrund seiner offen nationalistischen und republikfeindlichen Einstellung war der Deutsche Hochschulring an einigen Hochschulen (in Breslau, Jena sowie im besetzten Rheinland) zeitweise verboten.

Die örtlichen Hochschulringe waren verbindungsübergreifend organisiert und umfassten außerdem einen großen Teil der nichtkorporierten Studenten, die überwiegend dem nationalen Flügel der einstigen Freistudenten- und freideutschen Bewegung entstammten. Neben den traditionell "national" gesinnten Burschenschaften und Vereinen Deutscher Studenten (VDSt) gehörten vielfach die Waffenringe der schlagenden Corps, Turnerschaften und Landsmannschaften geschlossen dem DHR an. In Bayern und Österreich arbeiteten zudem einige der hier zum Teil besonders rechtsstehenden katholischen Verbindungen zeitweise im DHR mit, distanzierten sich aber seit dessen Beteiligung am Hitlerputsch 1923 allmählich wieder. Zur Zeit seines größten Einflusses (1923) umfasste der DHR 42 Hochschulgruppen. Genaue Mitgliederzahlen sind aufgrund der korporativen Struktur nicht zu ermitteln; in der Forschung wird aber angenommen, dass dem DHR zeitweise zwischen 75 und 90% der immatrikulierten Studenten angehörten (Fließ/John, Deutscher Hochschulring, 118; Schwarz, Studenten in der Weimarer Republik, 173).

Dank dieser breiten Verankerung in der Studentenschaft feierte der Deutsche Hochschulring vor allem in der ersten Hälfte der 1920er Jahre große Erfolge bei den Wahlen zu den Allgemeinen Studentenausschüssen und erreichte vielerorts absolute Mehrheiten. In Bayern galt vor allem das protestantische Erlangen als Hochburg des DHR, der hier 1921 und 1922 jeweils 22 von 25 AStA-Sitzen eroberte, 1923 aber bereits Konkurrenz von einer NS-Hochschulgruppe unter Ludwig Franz Gengler (geb. 1902) bekam und zeitweise mit dieser kooperierte (Franze, Die Erlanger Studentenschaft, 398; Faust, Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, 28). In München kandidierten Waffenring und völkische Freistudenten zwar auf getrennten Listen, erreichten aber zwischen 1920 und 1924 rund 50% der AStA-Sitze (Kalischer 140, 157). Lediglich in Würzburg konnte sich eine relativ stabile katholische Mehrheit gegen die völkisch orientierte Rechte behaupten (Spitznagel, Studentenschaft und Nationalsozialismus, 350-361).

Aufgrund der örtlichen Wahlerfolge besaß der DHR in dieser Zeit einen dominierenden Einfluss in der AStA-Dachorganisation "Deutsche Studentenschaft" und profilierte sich hier vor allem durch seinen Einsatz für das so genannte Arierprinzip, das jüdische und ausländische Studierende von der Mitgliedschaft ausschließen sollte. Der hierum entbrennende Konflikt führte schließlich 1927 gar zur Auflösung der verfassten Studentenschaften in Preußen, ohne dass jedoch der Einfluss der Radikalen dadurch eingedämmt werden konnte.

Wegbereiter des Nationalsozialismus

Ernst Rüdiger von Starhemberg (Politiker 1899-1956). Fotografie von Franz Xaver Setzer. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-41870)

Gemäß seiner völkischen Programmatik war der Deutsche Hochschulring an zahlreichen republikfeindlichen und antisemitischen Aktionen an deutschen Hochschulen maßgeblich beteiligt: Deren Opfer waren z. B. die beiden politisch-publizistisch aktiven Wissenschaftler Theodor Lessing (Philosoph, 1872-1933) in Hannover oder Emil Gumbel (Mathematiker, 1891-1966) in Heidelberg. Auch außerhalb der Hochschulen verfügte der Hochschulring über enge Verbindungen zur Szene der rechtsradikalen Organisationen (z. B. Bund Oberland, Organisation Consul). Die Unterstützung des "Abwehrkampfs" gegen die französische Besatzung im Rheinland gehörte über Jahre hinweg zu den Schwerpunkten der Hochschulringaktivitäten (Herbert, Best-Biographische Studien, 69 ff.). In München war der dortige Hochschulring unter Vorsitz des österreichischen Freikorpsführers und Hitlervertrauten Ernst-Rüdiger von Starhemberg (1899-1956) im November 1923 aktiv am Hitlerputsch beteiligt. So spielte das Haus des Corps Palatia eine prominente Rolle bei der Planung des Aufstandes. Am Abend des Putsches wurden Waffen an Studenten ausgegeben, und auch unter den Toten befanden sich mehrere Studenten. In den Folgetagen kam es zu Studentenversammlungen, die mehrheitlich für Hitler und gegen den amtierenden bayerischen Staatskommissar Gustav Ritter von Kahr (BVP, 1862-1934) votierten. Infolge der Unruhen musste die Münchner Universität für einige Tage geschlossen werden (Faust, Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, 26).

Nach dem gescheiterten Putsch kam es jedoch innerhalb der Organisation zu Kursstreitigkeiten und vermehrt auch zu Austritten einzelner Verbände. Vor allem die katholischen Verbände, aber auch einige Corps zogen sich aus Protest gegen dessen einseitige Parteinahme aus dem DHR zurück. Dieser spezialisierte sich in der Folge auf politische Schulungs- und Propagandaveranstaltungen z. B. gegen den Versailler Vertrag, auf die so genannte Grenzland-Arbeit oder die Durchführung von Wehrsportlagern. Politisch orientierte er sich nun stärker an der DNVP und jungkonservativen Intellektuellenzirkeln wie dem Berliner "Juniklub" um Arthur Moeller van den Bruck (1876-1925). Zeitweise versuchte sich der DHR als Bindeglied zwischen der deutschnationalen und der völkisch-nationalsozialistischen Szene zu etablieren. Allerdings erhielt er in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zunehmend Konkurrenz durch neue Organisationen wie den Stahlhelm-Studentenring "Langemarck" (gegr. 1927) oder den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (gegr. 1926). Insbesondere letzterem gelang es in den letzten Jahren der Weimarer Republik, die in sich zerstrittenen Hochschulring-Listen zu überflügeln und schließlich die Mehrheit in den lokalen AStA sowie in der Deutschen Studentenschaft zu erringen.

Selbstauflösung 1933

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten löste sich der Deutsche Hochschulring am 15. Juli 1933 freiwillig auf, da er seine politischen Ziele nun als erfüllt ansah.

Die Vorsitzenden des Deutschen Hochschulrings

Name Lebensdaten Amtszeit Bemerkung
Otto de la Chevallerie 1920/21 evtl. Otto August Theodor de la Chevallerie; geboren 1894; Beruf Volkswirt
Edgar Stelzner geb. 1892 1921 Mitglied der "Bubenruthia Erlangen" und der DNVP; 1924-28 Landtagsabgeordneter des "Völkischen Blocks"
Wilhelm Zietz 1921-1923
Erich Müller 1923-1924
Walter Kolbe 1924-1925
Helmut Jochmann 1925-1926
Tidemann Ulrich Lemberg 1926-1927
Martin Nebe 1927
Heinrich Sachs 1927-1929
Hans Schwartz 1929-1930 evtl. identisch mit Hans Schwarz van Berg
Johannes (Hans) Schwarz van Berg geb. 1902 1930-? Journalist, NSDAP-Propagandist, Leiter der "Sonderredaktion" der NS-Auslandspresseabteilung

Dokumente

Literatur

  • Wolfgang Kalischer, Die Universität und ihre Studentenschaft. Universitas magistrorum et scholarium. Versuch einer Dokumentation aus Gesetzen, Erlassen, Beschlüssen, Reden, Schriften Briefen. Essen 1967.
  • Anselm Faust, Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund. Studenten und Nationalsozialismus in der Weimarer Republik (Bochumer historische Studien 1). 2 Bände, Düsseldorf 1973, hier Band 1, 22-32.
  • Gerhard Fließ/Jürgen John, Deutscher Hochschulring (DHR) 1920-1933, in: Dieter Fricke u. a. (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789-1945). Band 2, Leipzig 1984, 116-127. (Darstellung aus SED-parteilicher Sicht)
  • Manfred Franze, Die Erlanger Studentenschaft 1918-1945 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte IX/30), Würzburg 1972.
  • Ulrich Herbert, Best-Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, Bonn 2. Auflage 1996, 52-87.
  • Walther Schulz, Der deutsche Hochschulring. Grundlagen, Geschichte und Ziele (Hochschul-Hefte C 1/2), Halle an der Saale 1921.
  • Friedrich Schulze/Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, München 4. Auflage 1932, 481-483 (ND Schernfeld 1991).
  • Jürgen Schwarz, Studenten in der Weimarer Republik. Die deutsche Studentenschaft in der Zeit von 1918 bis 1923 und ihre Stellung zur Politik (Ordo politicus 12), Berlin 1971, 168-174.
  • Peter Spitznagel, Studentenschaft und Nationalsozialismus in Würzburg 1927-1933, Diss. phil. Univ. Würzburg 1974.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Uwe Rohwedder, Deutscher Hochschulring (DHR), publiziert am 18.03.2008; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Deutscher_Hochschulring_(DHR)> (28.03.2024)