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DP-Lager Föhrenwald

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Foto einer Frau unter dem Ortsschild des DP-Lagers Föhrenwald, 1945. (Bürger fürs BADEHAUS Waldram-Föhrenwald e.V.)

von Rhiannon Moutafis

Das Lager Föhrenwald, etwa 30 Kilometer südlich von München gelegen, war das am längsten bestehende Lager für jüdische Displaced Persons (DP) in Europa. Von Oktober 1945 bis Februar 1957 lebten jüdische Holocaust-Überlebende in einer kleinen Enklave mit dem Charakter eines osteuropäischen Shtetls (jiddisch: jüdisches Dorf, Kleinstadt). Zwar waren die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), später die International Refugee Organisation (IRO) und ab 1951 die bayerischen Behörden für das Lager verantwortlich, doch verwalteten die Bewohner das Lager zu einem großen Teil selbst.

NS-Zeit

1939/40 wurden in einem Waldgebiet südlich von Wolfratshausen zwei Munitionsfabriken errichtet. Für die dort beschäftigten deutschen Dienstverpflichteten und ausländischen Zivilarbeitskräfte wurde Föhrenwald auf etwa 52 Hektar mit 300 Wohnbauten als Mustersiedlung gebaut, während die Zwangsarbeitskräfte, meist aus Osteuropa, in Baracken hausten. Das Lager war mit Stacheldraht umzäunt; der Werkschutz bewachte den Zugang.

Kriegsende und direkte Nachkriegszeit

Als die amerikanische Armee am 30. April 1945 in Wolfratshausen einmarschierte, verließen die Dienstverpflichteten die Häuser in Föhrenwald. Die US-Militärbehörden richteten im Mai 1945 in dieser nun fast leerstehenden Siedlung ein Lager für Displaced Persons (DPs) ein, das zunächst vor allem Überlebende des Todesmarsches aus dem KZ Dachau, die in der Umgebung befreit worden waren, ehemalige Zwangsarbeitskräfte der Rüstungsfabriken und sonstige nach Deutschland verschleppte und deportierte Personen beherbergte.

In der amerikanischen Besatzungszone wurden bis 1947 über 400 DP-Lager errichtet. Bei der Zuteilung der einzelnen Wohnräume wurden Menschen der gleichen Nationalität zusammen untergebracht, wobei nicht zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Angehörigen desselben Staates unterschieden wurde. Aufgrund der beengten Wohnverhältnisse und unterschiedlichen Kriegserfahrungen und Traumata kam es zu Konflikten innerhalb der Lagerbevölkerung. In Reaktion auf den Bericht des amerikanischen Juristen Earl G. Harrison (1899-1955), der die katastrophalen Lebensbedingungen jüdischer Überlebender in den DP-Lagern der amerikanischen Zone anprangerte, wurden deswegen in Bayern drei rein jüdische DP-Lager aufgebaut: Föhrenwald, Feldafing und Landsberg.

Das jüdische DP-Lager Föhrenwald: Oktober 1945 bis Dezember 1951

Alltagsleben im Lager Föhrenwald, Foto 1946. (Haus der Bayerischen Geschichte)

Ab Oktober 1945 war Föhrenwald ein rein jüdisches Lager, in dem eine Synagoge und mehrere Betstibl (jiddisch: Gebetsraum) eingerichtet wurden, ebenso eine Mikwe (jüdisches Ritualbad) im ehemaligen Männerbad der Rüstungsarbeiter. Die ersten Bewohner waren KZ-Überlebende. Der Zustrom der Juden, die in der UdSSR den Krieg überlebt hatten, veränderten im Weiteren die demographische Zusammensetzung Föhrenwalds, denn unter ihnen befanden sich mehr Frauen und Kinder als unter den KZ-Überlebenden. Sie sahen in ihren Herkunftsorten in Osteuropa keine Zukunft mehr und machten sich auf den Weg in die amerikanische Besatzungszone, um von dort aus nach Amerika und vor allem nach Israel zu emigrieren. Im Laufe des Jahres 1946 stieg die Zahl jüdischer DPs in der US-Zone von 40.000 auf über 145.000 an und es lebten zwischenzeitlich mehr als 6.000 Personen im überfüllten Lager Föhrenwald. Schwangere Frauen und Eltern mit Kleinkindern prägten zunehmend das Straßenbild. Die Geburtenrate war 1946 mit 29 Geburten pro 1.000 Einwohnern relativ hoch.

Verwaltung

Zunächst verwaltete die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) das Lager, bis sie im Sommer 1947 von der International Refugee Organisation (IRO) abgelöst wurde. Diese Organisationen versorgten die Lagerbewohner mit allem Lebensnotwendigen, ebenso wie die jüdischen Hilfsorganisationen American Jewish Joint Distribution Committee (JDC/Joint) und die Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS), die sich auf die Auswanderungshilfe spezialisiert hatte. Die im Lager wohnenden Personen wählten aus ihren eigenen Reihen die Mitglieder des Lagerkomitees, dem Polizei, Feuerwehr und Schulen unterstanden. Alle Organe der jüdischen Selbstverwaltung waren mit Lagerbewohnern besetzt und regelten den Alltag.

Alltag

DP-Lager Föhrenwald, Foto zwischen 1945 und 1949. (Gemeinfrei via United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Hebrew Immigrant Aid Society)
Eisausgabe im DP-Lager Föhrenwald, Foto zwischen 1945 und 1949. (United States Holocaust Memorial Museum, Collections: 2002.487, courtesy of Chaia Libstug-Rosenblum)

Wegen der zahlreichen Kinder in Föhrenwald richtete die Lagerverwaltung einen Kindergarten, eine Grundschule und eine religiöse Schule ein. Der Unterricht fand auf Jiddisch statt. Lehrerinnen aus der Lagerbevölkerung unterrichteten Lesen, Schreiben, Rechnen und Hebräisch. Zum Zweck der Erwachsenenbildung wurden ORT-Schulen (ORT: Organization for Rehabilitation through Training) zur Berufsausbildung eingerichtet. Es gab ein breites Angebot an Kursen von der Ausbildung zum Hosenschneider bis zum Schuhleistenmacher, die den DPs helfen sollten, eine eigene wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Die Auswanderung nach "Eretz Israel" und der Aufbau dieses Staates dominierte das politische und alltägliche Geschehen in Föhrenwald. Mehrere Kibbutzim (jüdische Lebensgemeinschaften) bereiteten ihre Mitglieder auf das Leben in Israel vor und die paramilitärische Untergrundorganisation Haganah trainierte im nahegelegenen Hochlandlager Königsdorf, um Kämpfer für den Unabhängigkeitskrieg auszubilden.

Obwohl Föhrenwald seinen Bewohnern nur als Sprungbrett in die Emigration dienen sollte – niemand wollte im Nachkriegsdeutschland bleiben –, bauten sich hier viele Überlebende eine eigene Existenz auf. Es entstanden Lebensmittelläden, Schneidereien, Möbelwerkstätten und Geschäfte für den alltäglichen Lebensbedarf. Die Waren wurden nicht nur in den Läden verkauft, sondern auch am "Sonntagsmarkt" in Föhrenwald angeboten, der außer von der Lagerbevölkerung von Personen aus dem Umland besucht wurde. Kontakte zwischen jüdischen DPs und der bayerischen Bevölkerung kamen dort zustande. Abgesehen von diesen wirtschaftlichen Beziehungen und den wenigen in Föhrenwald für verschiedene Dienstleistungen beschäftigten Deutschen blieben die jüdischen Bewohner jedoch größtenteils isoliert und unter sich.

Weiterhin entstand im Lager ein reges gemeinschaftliches, sportliches und kulturelles Leben. Föhrenwald hatte eine eigene Fußballmannschaft, die in einer Liga gegen andere Mannschaften aus den DP-Lagern der US-Zone antrat, und es wurde auf regelmäßigen Veranstaltungen geboxt, geturnt und um die Wette gelaufen. Ein Austausch zwischen den verschiedenen DP-Lagern fand außer bei Sportveranstaltungen auch bei Theatervorstellungen oder Tanzabenden statt. Theatergruppen der Erwachsenen und der Kinder spielten regelmäßig in Föhrenwald oder absolvierten Gastauftritte in anderen Lagern. Einige Theaterstücke thematisierten die Shoah, womit die Überlebenden gemeinsam versuchten, das Trauma zu verarbeiten. Das Kino im Lager, das jeden Abend einen Film zeigte, war sehr beliebt.

Titelseite der Lagerzeitung "Bamidbar" vom 4. Juni 1946. (United Nations Archives, S-0436-0030-05-00008)

Föhrenwald verfügte, wie fast jedes DP-Lager, über eine eigene Zeitung. Die "Bamidbar" (hebräisch: In der Wüste) lieferte regelmäßige Nachrichten über die Lagerpolitik und die Situation in Palästina und später in Israel. Überlebende konnten Anzeigen in der Lagerzeitung veröffentlichen, in denen sie nach vermissten Angehörigen suchten. Die Bamidbar widmete mindestens eine Seite nur diesen Suchanzeigen. Die Zeitung wurde auf Jiddisch verfasst und zunächst mit lateinischen Buchstaben gedruckt, da es an hebräischen Setzbuchstaben mangelte. Erst später erschien die Zeitung auf Jiddisch mit hebräischen Lettern.

Als 1948 der Staat Israel gegründet wurde und auch die USA ihre Einreisebeschränkungen lockerten, begann die große Emigrationswelle aus Föhrenwald. Wer konnte, verließ Deutschland. Besonders wichtig war dabei die jüdische Hilfsorganisation HIAS, die Visa und Überfahrten organisierte. Diejenigen, die meist aus gesundheitlichen Gründen kein Visum erhielten, blieben mit ihrer Familie in Föhrenwald zurück.

Das Regierungslager für heimatlose Ausländer 1951-1957

Schild Regierungslager Föhrenwald. (Foto: Stadtarchiv Wolfratshausen)

Infolge der 1948 einsetzenden Emigration änderte sich erneut die demographische Zusammensetzung Föhrenwalds. Die DP-Lager in der amerikanischen Zone leerten sich nach und nach, sodass eines nach dem anderen geschlossen werden konnte. Alle Personen aus aufgelösten Lagern in Bayern, die nicht ausreisen konnten oder wollten, wurden nach Föhrenwald verlegt. Dort lebten nun viele schwer erkrankte Personen mit ihren Familien, von denen der Großteil auf staatliche Fürsorge angewiesen war. Wegen der physischen und psychischen Traumata durch die Shoah war eine geregelte Erwerbsarbeit für sie unmöglich. Gesunde Familienmitglieder arbeiteten weiterhin in Föhrenwald, Wolfratshausen oder München. So gab es auch nicht mehr genügend leistungsfähige Sportler – die Fußballliga löste sich 1948 auf und Sport war nun zum größten Teil Sache der Kinder und jungen Erwachsenen. Der Kulturbetrieb bestand jedoch weiter. Es gab noch immer Theaterveranstaltungen, wenngleich weniger, und es wurden weiterhin Filme vorgeführt. In dieser Phase intensivierte sich der Kontakt zwischen der Föhrenwalder Lagerbevölkerung und der Bevölkerung des Umlands und es kam zu Freundschaften und Ehen zwischen jüdischen Überlebenden und nichtjüdischen Deutschen.

Im Dezember 1951 löste sich die IRO auf und übergab das DP-Lager Föhrenwald an die Bayerische Staatsregierung. Jüdische Holocaust-Überlebende unterstanden das erste Mal seit der Shoah wieder deutschen Behörden. Die Lagerbewohner galten nun nicht mehr als Displaced Persons, sondern als "heimatlose Ausländer". In den folgenden fünf Jahren wurden etwa 3.500 als Bewohnende Föhrenwalds registriert. Das bayerische Innenministerium setzte eine eigene Lagerleitung ein. Trotz anfänglicher Probleme und Konflikte gelang es der nicht-jüdischen Lagerverwaltung, ein gutes Verhältnis zu den Lagerbewohnern aufzubauen, von denen viele selbst in der Verwaltung arbeiteten. Dennoch blieben das jüdische Lagerkomitee und verschiedene andere Interessensgruppen der Lagerbewohner aktiv und versuchten, die politischen Entscheidungen im Lager zu beeinflussen.

Trotz der Bemühungen um ein gutes Verhältnis zwischen den bayerischen Behörden und der Lagerbevölkerung kam es zu Konflikten. Der schwerste Vorfall ereignete sich ein halbes Jahr nach der Übernahme des Lagers, als die Zoll- und Landpolizei im Mai 1952 eine Razzia wegen angeblicher Schwarzmarktgüter durchführte. Die Überlebenden, die vom Vorgehen an nationalsozialistische Aktionen erinnert waren, setzten sich zur Wehr. Nachdem im anschließenden Chaos ein Schuss gefallen war, zog sich die Polizei zurück. Die Razzia wurde als Vertrauensbruch wahrgenommen, der das Misstrauen der jüdischen Überlebenden gegenüber den deutschen Behörden verstärkte.

Die Auflösung des Lagers

Außenansicht des ORT (Organization for Rehabilitation through Training)-Versorgungs- und Transportgebäudes im DP-Lager Föhrenwald, 1953. Foto: David Rosenstein (1895-1963). (United States Holocaust Memorial Museum, Collections: 2003.441.1, courtesy of Elinor Rosenstein Gabriel)

Seit seiner Übernahme war die Auflösung des Regierungslagers das erklärte Ziel der Bayerischen Staatsregierung. Dies bedurfte den Weggang aller Lagerbewohner, vor allem durch Emigration. JDC und HIAS konzentrierten sich nun darauf, Abkommen mit Ländern zu schließen, die auch erkrankte Überlebende aufnehmen würden. Norwegen etwa erteilte 100 Personen mit Tuberkulose und ihren Familien Einreisevisa und versprach, sie in die Gesellschaft vollständig zu integrieren. Trotz der Anstrengungen aller beteiligten Organisationen und Behörden gestaltete sich die Auflösung Föhrenwalds jedoch schwierig.

Zum Teil waren Personen, die bereits nach Israel ausgewandert waren und das Land aus verschiedenen Gründen wieder verlassen hatten, nach Föhrenwald zurückgekehrt. Diese Zurückgekehrten benötigten Unterstützung bei der Auswanderung in ihr Wunschland, meist die USA oder Kanada, was sich für sie als ebenso schwierig erwies wie bei den anderen Föhrenwaldern. Durch die vielen Rückkehrenden stieg 1953 die Zahl der Menschen im Lager sogar wieder an – zum Ärger der bayerischen Behörden. JDC und HIAS versuchten mit vereinten Kräften für sie alle Emigrationsmöglichkeiten zu finden. Für die etwa 800 Juden, die keine Hoffnung mehr auf eine Auswanderung hatten, wurden in verschiedenen deutschen Städten Wohnungen gebaut. Die meisten Familien zogen nach München oder nach Frankfurt am Main. Die Schließung des Regierungslagers war ursprünglich für Frühjahr 1955 geplant – die letzte jüdische Familie verließ Föhrenwald aber erst im Februar 1957. Im Herbst 1955 kaufte das Katholische Siedlungs- und Wohnungsbauwerk des Erzbistums München und Freising das gesamte Gelände. Schon 1956, noch vor der Auflösung des Regierungslagers, begann das Siedlungswerk mit der Renovierung der Gebäude. Die einzelnen Häuser wurden zu günstigen Konditionen an kinderreiche, katholische, heimatvertriebene Familien verkauft. Nach der Auflösung des Regierungslagers wurde Föhrenwald in "Waldram" umbenannt.

Der Erinnerungsort BADEHAUS

2012 sollte das Gebäude des ehemaligen Badehauses von Föhrenwald abgerissen werden. Es gründete sich der Verein Bürger fürs BADEHAUS Waldram-Föhrenwald e.V., der sich dafür einsetzte, das Haus zu erhalten und dort einen Erinnerungsort einzurichten. 2018 konnte ein multimediales Museum eröffnet werden.

Literatur

  • Kata Bohus u.a. (Hg.), Unser Mut. Juden in Europa 1945-48, Frankfurt 2021.
  • Michael Brenner, Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945-1950, München 1995.
  • Kierra Mikaila Crago-Schneider, A Community of Will. The Resettlement of Orthodox Jewish DPs from Föhrenwald, in: Holocaust and Genocide Studies, Volume 32 (1), 2018, 93–110.
  • Angelika Königseder, Razzia im DP-Lager Föhrenwald. Zur Situation jüdischer Displaced Persons, in: Wolfgang Benz/Brigitte Mihok (Hg.), "Juden unerwünscht", Anfeindungen und Ausschreitungen nach dem Holocaust, Berlin 2016, 37-55.
  • Angelika Königseder,/Juliane Wetzel, Lebensmut im Wartesaal. Jüdische DPs (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt a.M. 2004.
  • Sybille Krafft, Fluchtpunkt Föhrenwald, in: Dies. u.a., LebensBilder. Porträts aus dem jüdischen DP-Lager Föhrenwald, Wolfratshausen 2020, 13 -19.

Quellen

  • Archiv des Erinnerungsortes BADEHAUS (Bürger fürs BADESHAUS Waldram-Föhrenwald e.V.).
  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Landesflüchtlingsverwaltung.
  • Benno Salamander/Michael Brenner/Jutta Fleckenstein, Kinderjahre im Displaced Persons Lager Föhrenwald, München 2011.
  • Staatsarchiv München, Landratsamt Wolfrathausen; Polizeidirektion München.
  • Stadtarchiv Geretsried.
  • Stadtarchiv Wolfratshausen.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Rhiannon Moutafis, DP-Lager Föhrenwald, publiziert am 25.11.2024; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/DP-Lager_Föhrenwald> (2.12.2024)