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Dürer, Albrecht: Vier Apostel

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Giovanni Bellinis Triptychon der Madonna mit vier Heiligen in der Frarikirche in Venedig, das Dürer auf seinen Italienreisen kennenlernte, lieferte Anregungen für die "Vier Apostel". (aus: Giovanni Bellini. Des Meisters Gemälde in 207 Abbildungen [Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben 36], Stuttgart/Berlin 1930, S. 104)
Die Heiligendarstellungen Bellinis, Detailaufnahmen. (Martin Schawe)
Die 1523 entstandene Zeichnung, die den Apostel Philippus zeigt, nimmt die Gestalt des Paulus der "Vier Apostel" vorweg. (aus: Winkler, Die Zeichnungen Albrecht Dürers. 4. Band, Berlin 1936, Nr. 878)
Der Philippus-Kupferstich in der überarbeiteten Fassung von 1526. (aus: Hildegard Heyne [Hg.], Albrecht Dürers sämtliche Kupferstiche, Leipzig 1928, Nr. 100)
Die Johannes-Zeichnung von 1525 antizipiert die gemalte Ausführung weitgehend. (Winkler, Zeichnungen 4, Nr. 873)
Der Apostel Markus. Kopfstudie Dürers von 1526. (Winkler, Zeichnungen 4, Nr. 870)
Der Apostel Petrus. Kopfstudie Dürers von 1526. (Winkler, Zeichnungen 4, Nr. 871)
Der Apostel Paulus. Kopfstudie Dürers von 1526. (Winkler, Zeichnungen 4, Nr. 872)
Die "Vier Apostel" von Albrecht Dürer. (Bayerische Staatsgemäldesammlungen München)

von Martin Schawe

1526 schuf Albrecht Dürer (1471-1528) das Zweitafelbild der "Vier Apostel" und schenkte es dem Rat seiner Heimatstadt Nürnberg. Auf dem engstens mit der Reformation verbundenen Gemälde ermahnen die dargestellten Heiligen Johannes, Petrus, Markus und Paulus vermittels der Bibelzitate zu ihren Füßen das Stadtregiment, sich vor den "Falschen Propheten" zu hüten und ihr Handeln am Bibelwort auszurichten. 1627 kamen die Tafeln in den Besitz der Wittelsbacher. Als Eigentum der Wittelsbacher Landesstiftung befinden sie sich heute in der Alten Pinakothek in München.

Beschreibung

Die aus zwei Tafeln bestehende Darstellung der "Vier Apostel" schuf Albrecht Dürer (1471-1528) zwei Jahre vor seinem Tod als Geschenk für den Rat seiner Heimatstadt Nürnberg. Die Lindenholztafeln sind jeweils mit der Jahreszahl 1526 und dem Monogramm AD bezeichnet und messen 212,8 x 76,2 bzw. 212,4 x 76,3 cm (Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München, Inv.-Nr. 545, 540).

Die zweigeteilte Darstellung ist als inhaltliche und räumliche Einheit zu betrachten, in die auch die Inschriften zu Füßen der Dargestellten eingebunden sind. Vier leicht überlebensgroße Gestalten stehen in einem nicht näher definierten Bildraum:

  • der hl. Apostel und Evangelist Johannes in traditioneller Jugendlichkeit mit einem aufgeschlagenen Buch, in dem der Anfang seines Evangeliums frei zitiert wird
  • der Apostel Petrus mit dem traditionellen Symbol der Binde- und Lösegewalt, dem Schlüssel
  • der Evangelist Markus mit einer Schriftrolle
  • der Apostel Paulus mit dem Werkzeug seines Martyriums, dem Schwert

Kaum noch sichtbare Inschriften oberhalb eines jeden Dargestellten nennen deren Namen. Deutlich verarbeitete Dürer in der Komposition, besonders im Hinblick auf die bildraumsparende Aufstellung von je zwei Personen im Winkel von etwa 90° zueinander, Eindrücke von Giovanni Bellinis (gest. 1516) Sacra Conversazione in der Frarikirche zu Venedig (1488), die er 1494/95 und 1505-1507 studieren konnte.

Jeder der Gestalten gab Dürer eine eigene Charakterisierung im Sinne der Temperamentenlehre: Johannes zeigt er als Sanguiniker, Petrus als Phlegmatiker, Markus mit seiner löwenhaften Aufmerksamkeit als Choleriker und Paulus mit dem schwermütigem Blick des Melancholikers. Bezeugt wird diese Deutung 1547 in den "Nachrichten von Künstlern und Werkleuten" von Johann Neudörffer (1497-1563), von jenem Schreiber also, der die Inschriften zu Füßen der Dargestellten anbrachte. Ohne letzte Überzeugungskraft wurde zudem bisweilen versucht, in den Köpfen Bildnisse von Zeitgenossen zu erkennen.

Wertung

Die Monumentalität und Ausdruckskraft der Darstellung, gewonnen aus der schieren Größe der Tafel, groß gesehenen Faltenflächen, koloristischer Raffinesse, räumlicher Anordnung und physiognomischer Spannung ist in der deutschen Malerei unerreicht. Dürer schuf die "Vier Apostel" als eine Art Vermächtnis, "zu seinem Gedächtnis", wie er selbst formulierte. So wurden sie auch verstanden: als ein singuläres Meisterwerk, das die Grenzen zwischen religiös und profan auflöst, aber auch als Monument seiner eigenen religiösen Überzeugung. Das gewandelte Selbstverständnis des Künstlers am Beginn der Frühen Neuzeit manifestiert sich in ihm wie in kaum einem anderen Kunstwerk der Zeit: Der Rat der Stadt Nürnberg wird in den Inschriften direkt adressiert und aufgefordert, das Bibelwort zu respektieren und – durch die Dargestellten – ermahnt, nicht religiösen Verführern, den "Falschen Propheten", anzuhängen. Dürers Tafeln stehen – zeitgemäß den neuen Erfordernissen angepasst – in der Tradition mittelalterlicher Rathausbilder, oftmals Darstellungen des Jüngsten Gerichts, die ebenfalls die Mahnung zur guten Regentschaft beinhalteten. Das Zusammenwirken zwischen Text und Bild macht die geschriebenen Worte geradezu hörbar; die Dargestellten beginnen zu sprechen.

Inschriften

Die vom Nürnberger Schreibmeister und Mathematiker Johann Neudörffer d. Ä. ausgeführten Inschriften bestehen aus einer Überschrift und vier auf die Dargestellten bezogenen Bibelzitaten nach Martin Luthers (1483-1546) Übersetzung des Neuen Testaments. Beginnend mit dem Petrus-Zitat folgen sie gegen den Uhrzeigersinn der Reihenfolge der Dargestellten.

  • "Alle weltliche regenten in disen ferlichen zeitten Nemen billich acht, das sie nit fur das gottlich wort menschliche verfuerung annemen Dann Gott wil nit Zu seinem wort gethon, noch dannen genomen haben. Darauf horent dise trefflich vier menner Petrum Johannem Paulum vnd Marcum Ire warnun[g]".
  • "Petrus spricht in seiner andern Epistel Im andern Capittel also / Es waren aber auch falsche prophetten vnter dem volck, Wie auch vnter euch sein werden falsche lerer, die neben einfuren werden verderbliche seckten Vnnd / verleucken den herren der sie erkaufft hat Vnnd werden vber sich furen ein schnel verdamnus Vnd vile werden nachuolgenn Irem verderben, Durch / welche wird der weg der warhait verlestert werden, Vnd durch geitz mit erdichten wortten, werden sie an euch hantieren, Vber welche das vrtail von / lannger here nit saumig ist Vnnd ir verdamnuss schlefft nicht." (2. Petr. 2, 1-3)
  • "Johannes in seiner ersten Epistel Im vierdten Capittel schreibt also / Ir lieben, glaubt nicht einem yetlichen geist Sonndern prüffen die geister, ob sie von gott sind Denn es sind vil falscher propheten ausganngen in die / wellt Daran erkennet den geist gottis, Ein yetlicher geist, der da bekennet, das Jhesus Christus ist komen in das flaisch, der ist von gott Vnnd ein / yetlicher geist, der da nicht bekennett das Jhesus Christus ist kome(n) in das flaisch, der ist nicht von gott, Vnnd das ist der geist des widerchristis, von / welchem ir habt gehoret, das er kompt, Vnnd ist yetzt schon in der wellt." (1. Joh 4, 1-3)
  • "In der anndern Epistel zum Timotheo In dem dritten Capittel Schreibt S:Paulus also / Das soltu aber wissen, das zu den letzten zeitten werden grewliche zeittung eintretten Denn es werden mennschen sein die von sich selbsz halten, Geitzig, stoltz, / Hoffertig, Lesterer, den Eltern vngehorsam, vndanckpar, vngeistlich, vnfeunntlich Storrig, schender, vnkeusch, vnguttig, wild, verrether, freueller, auff= / geplasen, die mer lieben die wollust den(n) gott, die da haben das geperde eines gotseligen wanndels Aber seine krafft verleucken sie Vnnd von solchen wende / dich, Auss denselben sind die, die heuser durchlauffen, vnd furen die weiblin gefangen, die mit sunden beladen sind, vnd faren mit mancherlei lusten / Lernnen ymer dar, vnd kunden nymer Zur erkentnus der warhait komen." (2. Tim 3, 1-7)
  • "Sant Marcus schreibt in seinem Euangelium Im 12 Capittel also / Vnnd er leret sie vnd sprach zu Inen habt acht auff die schrifftgelertten, Die gehen gern In lanngen kleidern. Vnnd lasse sie gern grüssen auff / dem marckt, Vnnd sitzen gern obenan in den schulen vnd vber tisch, Sie fressen der wittwen heuser, vnnd wenden langs gepet fur / Dieselben werden dester mer verdambnus emphahen." (Mk 12, 38-40).

Die Original-Inschriften sind seit 1922 wieder mit den Bildern vereint. Kurfürst Maximilian I. von Bayern (reg. 1598-1651) hatte sie 1627 absägen lassen – nicht nur aufgrund der Nähe zur Luther-Bibel, sondern auch weil er grundsätzlich jegliche Hinweise auf Kontext und Funktion (Wappen, Stifterporträts) auf seinen Kunstwerken tilgen ließ.

Entstehung

Die Bildidee ist mit hoher Wahrscheinlichkeit in Zusammenhang mit den Nürnberger Religionsgesprächen vom März 1525 zu sehen. Als Genannter des Größeren Rates und – so ist aus zahlreichen Äußerungen zu entnehmen, zumindest bis zu diesem Zeitpunkt – Anhänger der Lehre Martin Luthers nahm Dürer vermutlich an diesem Treffen alt- und neugläubiger Theologen teil. Ergebnis des Religionsgesprächs war, dass der Rat der Stadt die Reformation in Nürnberg offiziell einführte.

Für die Mithilfe bei der Bildkonzeption und Textauswahl wurde jüngst versuchsweise Dürers Freund und Nachbar, der Ratsschreiber Lazarus Spengler (1479-1534), in Anspruch genommen. Die Bibelzitate sind Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes entnommen; die Auswahl der Dargestellten geht zum Teil mit Luthers Vorrede zum Septembertestament konform, in der die Briefe des Johannes, Petrus und Paulus hervorgehoben werden. Im Jahr 1525 erschien in Wittenberg auch Luthers Predigt gegen die falschen Propheten ("Eyn predigt vnd // warnung, sich zu // hueten fuer falschen Propheten ..."), in der mit – nach Buchstaben bzw. Sinn – ähnlichen Zitaten operiert wird, wie sie Dürer verwendet.

Entwurfszeichnungen

Fünf Zeichnungen aus den Jahren 1523 bis 1526 sind dem Gemälde zuzuordnen: zwei Ganzfigurenstudien und – mit flüchtig aufgetragener brauner Grundierung – drei Kopfstudien zu Petrus, Markus und Paulus:

Die Philippus-Zeichnung von 1523 - völlig unabhängig von der Bildidee der "Vier Apostel" entstanden - verbirgt die monumentale Form im kleinen Format (31,8 x 21,3 cm). Bei abweichender Physiognomie ist in ihr die Gestalt des Paulus bis in die ausgeprägte großflächige Faltengebung vorgebildet (Wien Albertina; Winkler, Zeichnungen, 878). Inspiration mag von ihr ausgegangen sein. Den entsprechenden, 1523 weitgehend vollendeten Kupferstich (12,3 x 0,76 cm; Bartsch 46), nahm Dürer sich im Jahr der "Vier Apostel" nochmals zum Überarbeiten vor und korrigierte deutlich sichtbar auch das Datum 1523 in 1526. Diese Philippus-Zeichnung wurde zur Basis für die mittlerweile durch technische Untersuchungen widerlegte Hypothese, die beiden "Vier-Apostel"-Tafeln seien zunächst als Flügel eines Marienaltars geschaffen, der Auftrag reformationsbedingt gescheitert und der Philippus nachträglich in einen Paulus umgestaltet worden (Panofsky).

Schlüsselwerk im Entstehungsprozess der "Vier Apostel" ist die ganzfigurige Johannes-Zeichnung von 1525 (monogrammiert und datiert, 40,5 x 25,3 cm), da sie in Figur, Gewand und Physiognomie die gemalte Ausführung weitgehend antizipiert (Bayonne, Musée Bonnat; Winkler, Zeichnungen, 873).

Die drei bis zu 40 cm in der Höhe messenden, monogrammierten und 1526 datierten Kopfstudien auf braun grundiertem Papier dienen der näheren Ausarbeitung der ausdrucksstarken Physiognomien der übrigen drei Figuren, wobei Dürer die Charakterisierung besonders des Markus auf dem Gemälde im Sinne der Temperamentenlehre weiter schärfte (Bayonne, Musée Bonnat, und Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett; Winkler, Zeichnungen, 870-872).

Aufstellungsorte

1526 gelangten die Tafeln in das Rathaus zu Nürnberg. 1547 sind sie "in der obern Regiments Stube" (Neudörffer) bezeugt, nach dem Umbau des Rathauses 1616/22 und der Aufteilung der oberen Regimentsstube in drei Räume im kleinen Rathaussaal, auch "Schöner Saal" genannt. (Dokumente zur Schenkung Dürers bei Rupprich, Dürer, Nr. 12, 21, 22, 23, 59 und Goldberg/Heimberg/Schawe, Dürer, 551-552, Dok. 1-7, Dok. 6 nicht bei Rupprich).

Im September 1627 gelangten die Vier Apostel nach dreimonatigen Verhandlungen aus dem Nürnberger Rathaus in die Kammergalerie des Kurfürsten Maximilian I. von Bayern, der die Werke Dürers außerordentlich schätzte und sammelte, nach München. Auch dazu haben sich zahlreiche Dokumente erhalten, die jedoch nur ein unvollständiges Bild von den Vorgängen erlauben und im Hinblick auf den von Maximilian ausgeübten Druck Spekulationen zulassen (Auswahl transkribiert in: Goldberg/Heimberg/Schawe, Dürer, 552-559, Dok. A-K). Als Gegenleistung für die Überlassung der Bilder versprach sich die evangelische Reichsstadt vom mächtigen katholischen Nachbarn Beistand in den Nöten des Dreißigjährigen Krieges, wie er wohl zuvor bereits gewährt worden war. Eine im Zuge der Übergabeverhandlungen zwischen Nürnberg und Kurfürst Maximilian entstandene Kopie des Münchner Malers Georg Vischer (vor 1603-1637) befindet sich im Nürnberger Dürerhaus (Stadtgeschichtliche Museen Nürnberg).

1641/42 und 1729 nachweisbar, verblieben die Tafeln vermutlich über Jahrzehnte im Bereich der Münchner Residenz. Ab 1748 sind sie im Schloss Schleißheim bei München belegt, ab 1787 in der Münchner Hofgartengalerie. Seit 1836 befinden sie sich mit kriegsbedingten Unterbrechungen in der Alten Pinakothek München.

Literatur

  • Fedja Anzelewsky, Albrecht Dürer. Das malerische Werk. Neuausgabe, Berlin 1991, Nr. 183f.
  • Karl Arndt/Bernd Moeller, Albrecht Dürers "Vier Apostel". Eine kirchen- und kunsthistorische Untersuchung (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. I. Phil.-Hist. Klasse 4/2003), Göttingen 2003.
  • Gisela Goldberg/Bruno Heimberg/Martin Schawe, Albrecht Dürer, Die Gemälde der Alten Pinakothek, München 1998, Nr. 14.
  • Hans Rupprich, Dürer. Schriftlicher Nachlass. 3 Bände, Berlin 1956-1969.
  • Martin Schawe, Alte Pinakothek. Altdeutsche und altniederländische Malerei, München 2006, 14-21, 144f.
  • Friedrich Winkler, Die Zeichnungen Albrecht Dürers. 4 Bände, Berlin 1936-1939.

Weiterführende Recherche

Empfohlene Zitierweise

Martin Schawe, Dürer, Albrecht: Vier Apostel, publiziert am 13.04.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Dürer,_Albrecht:_Vier_Apostel> (19.04.2024)