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Conversio Bagoariorum et Carantanorum: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Aktuelle Version vom 17. Oktober 2019, 09:44 Uhr

Erste Seite der Conversio Bagoariorum et Carantanorum (fol. 2v) in einer kirchenhistorischen Sammelhandschrift des 11. bis 13. Jh. (Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 596)
Bayern und das Bayerische Ostland im 9. Jahrhundert. Abb. aus: Herwig Wolfram, Conversio Bagoariorum et Carantanorum, Ljubljana 2012. (Mit Genehmigung des Autors abgedruckt)

von Herwig Wolfram

Die "Conversio Bagoariorum et Carantanorum", die "Bekehrungsgeschichte der Bayern und Karantanen" ist eine 870 entstandene Streitschrift, mit deren Hilfe die Salzburger Kirche ihre Ansprüche auf das Missionsgebiet im sogenannten pannonischen Dreieck zwischen Raab, Donau und Drau vor König Ludwig dem Deutschen (reg. in Bayern ab 817/826, als ostfränkischer König 843-876) verteidigte. Trotz der Intentionalität des Textes, die vor allem in bewusstem Verschweigen zum Ausdruck kommt, stellt die "Conversio" die wichtigste Quelle für die karolingische Organisation und die Mission im mittleren Donau- und Ostalpenraum dar, der damals zum bayerischen Ostland gehörte.


Die „Bekehrungsgeschichte der Bayern und Karantanen“ (Conversio Bagoariorum et Carantanorum) ist das 870 in Salzburg verfasste „Weißbuch der Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und Pannonien“ (H. Wolfram), also im Gebiet des heutigen Kärnten und Südost- Österreichs sowie Westungarns. Ihr anonymer Verfasser ist aufgrund der Verwendung spezifisch bairischer Wörter als Angehöriger der bairischen Sprachgemeinschaft zu identifizieren und aufgrund der hohen inhaltlichen und konzeptuellen Qualität des Werks möglicherweise mit dem Salzburger Erzbischof Adalwin (reg. 859-873) gleichzusetzen. Der Titel, unter dem die Schrift heute bekannt ist, ist kein originaler Titel, sondern eine um 1600 aufgekommene, den Inhalt der Quelle nur unvollständig zusammenfassende Benennung.

Entstehungsanlass/"causa scribendi"

Die Conversio wurde als Streitschrift verfasst, um die kirchlichen Ansprüche Salzburgs auf das durch Raab, Donau und Drau gebildete pannonische Dreieck (cc. [Kapitel] 10-14) vor König Ludwig dem Deutschen (reg. in Bayern ab 817/826, als ostfränk. König 843-876) zu verteidigen. Papst Hadrian II. (reg. 867-872) hatte 869 den griechischen Slawen-„Apostel“ Methodios (gest. 885) zum Erzbischof von Sirmium (Sremska Mitrovica/Serbien) ernannt, womit dessen kirchenrechtliche Zuständigkeit für ganz Pannonien verbunden war. Das Gebiet zwischen Raab, Donau und Drau war aber 796/803 von Karl dem Großen (reg. 768-814 als König des Frankenreiches, Kaiser seit 800) und vorher bereits von seinem Sohn Pippin (gest. 811) nach Besiegung der Awaren dem Erzbistum Salzburg zugewiesen worden. Eine päpstliche Zuteilung erfolgte aber nie. Demnach standen kaiserliche und päpstliche Anweisung im Widerspruch und führten zum Konflikt.

In dem fraglichen Gebiet, Teil des bayerischen Ostlandes, hatten die slawischen Fürsten Priwina (gest. um 860/861) und Chozil (gest. 876) ein Fürstentum errichtet. Herrschaftsmittelpunkt war die am Südwestende des Plattensees gelegene Moosburg, ungarisch Zalavár. Methodios kehrte von Rom zu Chozil in die wohl auch als Bischofssitz bestimmte Moosburg zurück, die darauf der Salzburger Repräsentant, der Erzpriester Rihpald, verließ (c. [Kapitel] 12). Nur wenig später geriet der Grieche Methodios während der innermährischen Wirren, die um 870 auch die Nachbarschaft erfassten, in bayerische Gefangenschaft. Um die Streitfragen zu schlichten, hielt Ludwig der Deutsche im Herbst 870 eine Synode in Regensburg ab. Bei dieser Gelegenheit dürfte der ostfränkische König die Conversio von Erzbischof Adalwin erhalten haben. Mit ihr betrieb der bayerische Episkopat erfolgreich die Verurteilung des „griechischen Philosophen“ als „Eindringling“ in ein fremdes Jurisdiktionsgebiet (vgl. cc. 12 und 14).

Inhalt

Die inhaltliche Darstellung gliedert sich in drei Teile, nämlich die Bekehrung der Bayern, die Bekehrung der Karantanen und die Bekehrung ihrer (pannonischen) Nachbarn. Erstere war die Voraussetzung für die Christianisierung der alpenslawischen Karantanen und wird in c. 1 nach der Vita des Hl. Rupert (in der Fassung vor 800) wiedergegeben. Laut dieser Vita hatte Rupert Herzog Theodo (reg. vor 696-717/18), den bayerischen Adel und das gemeine Volk getauft und, bevor er sein segensreiches Werk von Salzburg ausgehend begann, bereits missionarisch die Pannonia inferior aufgesucht.

Kapitel 2 hatte die Brücke vom Tode Ruperts zu Abtbischof Virgil (reg. 746/47-784) zu schlagen, der zu Recht als Organisator und Gestalter der Karantanenmission (vor 757-784) galt. Damit war die Bekehrung der Bayern abgeschlossen (siehe c. 3).

Die folgende Bekehrungsgeschichte der Karantanen (c. 3-10) bildet das Herzstück der Salzburger Beweisführung, denn indem über weite Strecken auf die Nennung Pannoniens verzichtet und bloß von den „Karantanen und ihren Nachbarn“ gesprochen wird (bereits in c. 3 und öfter), werden aus den pannonischen Slawen gleichsam Karantanen gemacht. Mit dieser genialen Formel befand sich Salzburg auf sicherem Boden, denn drei Päpste des 8. Jahrhunderts, Zacharias (reg. 741-752), Stephan II. (reg. 752-757) und Paul I. (reg. 757-767), hatten das alte Binnennorikum und nun neue Karantanien der Salzburger Kirche zugeteilt (D. Kar. I  211).

Da altes Recht auf alter Geschichte gründet, lässt die Conversio die Geschichte der Karantanen lange vor 700 beginnen, obwohl erst um 740 das monarchische Fürstentum Boruths die Voraussetzung für die Bekehrung eines heidnischen Volkes „von oben nach unten“ bot, was heißt, dass das Volk den Glauben seines Fürsten annehmen konnte. Die Gelegenheit dazu ergab sich 741/42, als awarische Krieger die neuerliche Unterwerfung der Karantanen versuchten, aber mit bayerischer Hilfe besiegt wurden. Dafür wurde Boruth vom (nicht genannten) bayerischen Herzog Odilo (reg. 736/37-748) abhängig und musste seinen Sohn Cacatius, seinen Brudersohn Cheitmar und junge karantanische Vornehme als Geiseln stellen, die in Bayern zu Christen gemacht wurden. Boruth erhielt zuerst seinen Sohn als Nachfolger, der nach kurzer Regierungszeit von Cheitmar beerbt wurde. Cheitmar war im Herzogskloster Herrenchiemsee christlich erzogen worden und bekam den Salzburger Presbyter Maioranus als Berater mit auf dem Weg, als er Fürst der Karantanen wurde (c. 4).

Die Salzburger Karantanenmission wurde dreimal durch Aufstände unterbrochen, die der Verfasser mit dem bairischen Wort „carmula“ bezeichnete (c. 5). Um 769 dürfte Cheitmar gestorben sein; sein Tod bedeutete offenkundig auch das Ende der Boruth-Sippe, was die Stärke der dritten „carmula“ erklären dürfte. Der Aufstand dauerte bis 772, als Odilos Sohn Tassilo III. (reg. 757-788) seinen viel beachteten und gepriesenen Karantanensieg feierte, worüber aber die Conversio kein Wort verliert. Wichtig ist ihr dagegen, dass nach dem Ende dieser „carmula“ der christliche Fürst Waltunc die Beziehungen zu Salzburg wieder herstellte. Bischof Virgil von Salzburg sandte darauf in den zwölf Jahren bis zu seinem Tod sechs Missionen nach Karantanien.

Ab c. 6 tritt die karantanische Nachbarschaft Unterpannonien in den Vordergrund. Nach dem Sieg über die Awaren und dem Missionsauftrag Karls des Großen an die Salzburger Kirche wird von Bischofseinsetzungen und Kirchengründungen, von der Verwaltung des Ostlandes durch Grafen (c. 10) und dem Aufstieg Priwinas, von Lehensvergaben und Besitzerwerb berichtet (cc. 11-13). 864 feierte der Erzbischof von Salzburg sogar das Weihnachtsfest in der Moosburg (c. 13). Abschließend wird festgestellt, dass seit 75 Jahren kein anderer als der Salzburger Bischof dort die kirchliche Gewalt besaß.

In acht von 14 Kapiteln (cc. 3–10) behandelt der Autor in für das Frühmittelalter seltener Ausführlichkeit die politisch-militärischen Institutionen, handelnden Personen und Ereignisse, die zumindest vornehmlich Karantanien betrafen, und liefert in Kapitel 11 bis 13 gleichsam das pannonische Güterverzeichnis der Salzburger Kirche.

Ebenso werden die kirchlichen Organisationsformen und die einzelnen Missionen mit ihrem Personal beschrieben. Bei letzterem deuten die Namen der unter Virgil entsandten Geistlichen, angefangen mit dem Priester Maioranus und Bischof Modestus, gefolgt von Watto, Reginbertus oder Ekihardus, einem jeweils mehrfach genannten Gozharius und Latinus sowie Heimo oder Reginbald u. a. darauf hin, dass die Missionare einheimische Bayern romanischer wie theodisker (altbairischer) Sprachzugehörigkeit waren. Die einzige Ausnahme bildete ein Ire namens Dupliter/Dublitti(e)r, der sich der zweiten Mission (zwischen 774 und 776?) anschloss.

In welcher Sprache sich die Missionare mit den heidnischen Slawen verständigten, lässt sich jedoch nicht leicht sagen. Von Ingo wird berichtet, dass er seine Anweisungen auch mit Hilfe von „cartae sine litteris“ verbreitete, von Pergamenten ohne Buchstaben (c. 7), was auf schriftlose Adressaten hinweist. Sicher ist allerdings, dass Bischof Virgil romanischsprachige Geistliche mit Bischof Modestus an der Spitze nach Karantanien sandte, weil er dort mit romanischen (Krypto-)Christen rechnen konnte (c. 5). Dafür sprechen in Kärnten romanische Orts- und Gewässernamen oder christliche Kulttraditionen wie etwa in Molzbichl oder in den Kirchen von Lavant und Oberlienz. Der Name Kršna Vas/Kristendorf, nach Peter Štih genauer "Dorf der Getauften" (=der römischen Christen), den ein kleiner Weiler am Westabfall des Unterkärntner Hemmaberges trägt, dürfte nicht bloß das Glaubensbekenntnis, sondern auch die soziale wie rechtlich–wirtschaftliche Abhängigkeit von Romanen im mehrheitlich heidnischen Slawenland bezeugen. Die Erinnerung daran erhielt das altslowenische Wort „krščenica“, wörtlich "die Getaufte" (Christin), für Magd, weiblicher Dienstbote.

Literarische Form, Quellen und Überlieferung

Im Sinne der antiken Rhetorik übernahm die Conversio die Rolle einer Gerichtsrede, deren Narratio (Erzählung) die geschichtlichen Argumente zugunsten der eigenen Partei unter Herabsetzung derjenigen des Gegners vorzutragen hatte. Dies erfolgte in einer Mischung aus Geschichtsschreibung und einer administrativen, auf Urkunden, Itinerarien und Namenlisten beruhenden Darstellung.

Dabei sind die wichtigsten Quellen des Autors, neben der bereits erwähnten Vita s. Ruperti, für Salzburg ausgestellte Urkunden, das Salzburger Verbrüderungsbuch und die Gesta Dagoberti, eine im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts entstandene Bearbeitung der sog. Fredegar-Chronik aus dem 7. Jahrhundert, das Carmen 8 der Salzburger Gedichtsammlung „De ordine conprovincialium pontificum“ für die Bischofsliste sowie nicht näher zu bestimmende (verlorene) Annalenwerke.

Die Conversio ist nach Fritz Lošek in zehn Handschriften vom 10. bis 16. Jahrhundert überliefert, wobei die älteste einen Teil des Textes verlor, der im 12. Jahrhundert nachgetragen wurde. Um 1200 wurde die gesamte Überlieferung der Conversio entweder überarbeitet oder entstand neu, woraus zu schließen ist, dass an der Wende des 12. zum 13. Jahrhundert das Salzburger Interesse an der frühmittelalterlichen Gründerzeit des Hochstifts sehr groß gewesen sein muss. Dementsprechend stammen auch fast alle Codices aus Salzburg oder aus den mit dem Erzstift verbundenen Klöstern Admont und Mondsee.

Beurteilung/Würdigung der Quelle

In seiner „Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs“, die auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrem Erscheinen unentbehrlich geblieben ist, hat Alphons Lhotsky (1903-1968) die Conversio Bagoariorum et Carantanorum „das Haupt-und Glanzstück der ruhmvollen Salzburger Historiographie“ genannt; der Text sei eine „merkwürdige und in ihrer Art schöne Schrift“ (S. 155). Lhotskys seither vielfach zitiertes Urteil behält seine Gültigkeit trotz der außergewöhnlichen Intentionalität der Conversio und ihrer Tendenz, „mit der Wahrheit zu lügen“. Der anonyme Salzburger Autor bringt wahrheitsgetreu gute Überlieferungen, die seinen Standpunkt stützen, und unterdrückt alle Ereignisse, Namen und Institutionen, deren Erwähnung der Salzburger Kirche hätte schaden können. Lang wäre die Liste der Nichtnennungen: So kommen nicht nur die bayerischen Herzöge mit ihren entscheidenden Militärerfolgen gegen Awaren und Karantanen gar nicht vor und auch die Tatsache, dass Bonifatius (gest. um 754/755) 739 die bayerische Diözesanordnung errichtet hatte, wird stillschweigend übergangen.

Umgekehrt sind die Informationen, die der Verfasser über die Verhältnisse im pannonischen Dreieck vermittelt, tatsächlich von höchster, mitunter einmaliger Bedeutung: Das betrifft zum einen Einzelheiten der karolingischen Organisation in dem politisch-militärischen Vakuum, das nach dem Untergang des Awarenreichs entstanden war (bes. c.10). Zum andern wird ausführlich, wenn auch sicherlich übertrieben, von den Leistungen der Salzburger Kirche in diesem Gebiet berichtet. Trotz der notwendigen Quellenkritik besitzt die Conversio daher einzigartige Bedeutung für die frühmittelalterliche Geschichte des mittleren Donau- und Ostalpenraums.

Literatur

  • Wilhelm Levison/Heinz Löwe/Wilhelm Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, 3. Band: Die Karolinger vom Tode Karls des Großen bis zum Vertrag von Verdun, Weimar 1957.
  • Alphons Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Erg. Bd. 19), Wien 1963.
  • Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Das Weißbuch der Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und Pannonien. Ed., übersetzt, kommentiert und um die Epistola Theotmari wie um Gesammelte Schriften zum Thema ergänzt von Herwig Wolfram. Zweite und dritte gründlich überarbeitete Auflage Ljubljana/Laibach 2012/13.
  • Herwig Wolfram, Die frühmittelalterliche Romania im Donau- und Ostalpenraum, in: Walter Pohl/Ingrid Hartl/Wolfgang Haubrichs (Hg.), Walchen, Romani und Latini. Variationen einer nachrömischen Gruppenbezeichnung zwischen Britannien und dem Balkan (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 21 = Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse 491), Wien 2017, 27–57.
  • Ian Wood, The Missionary Life. Saints and the Evangelisation of Europe 400-1050, Harlow 2001.

Quellen

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Herwig Wolfram, Conversio Bagoariorum et Carantanorum, publiziert am 26.03.2019, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Conversio_Bagoariorum_et_Carantanorum>__(29.03.2024)