• Versionsgeschichte

Bekennende Kirche

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Thomas Martin Schneider

Die evangelisch-lutherische Landeskirche in Bayern unter ihrem Bischof Hans Meiser (1881–1956, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 1933–1955) widersetzte sich hartnäckig den Gleichschaltungsbestrebungen der Nationalsozialisten im kirchlichen Bereich. Sie war ein bedeutsamer Teil der Bekennenden Kirche (BK) auf Reichsebene und repräsentierte insbesondere deren gemäßigteren lutherischen Flügel, aus dem 1948 die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche (VELKD) Deutschlands hervorging. In der NS-Diktatur vollzog sie eine schon damals auch in den eigenen Reihen teilweise kritisierte Gratwanderung zwischen grundsätzlicher Staatsloyalität, Protest in Bereichen, in denen kirchliche Interessen berührt waren, und Hilfestellung für Opfer des nationalsozialistischen Unrechts.

Die Bedeutung der bayerischen Landeskirche für die Bekennende Kirche

Als Bekennende Kirche bezeichnet man diejenigen Teile des landeskirchlich verfassten Protestantismus in Deutschland, die sich der organisatorischen und ideologischen Gleichschaltung der Kirche durch die Nationalsozialisten widersetzten, die diese durch die 1932 auf Reichsebene gegründete Kirchenpartei der „Deutschen Christen“ (DC) durchzusetzen versuchten. Die „Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Bayern rechts des Rheins“ und insbesondere ihr Landesbischof Hans Meiser (1881–1956, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 1933–1955) sind zwar nicht einfach mit der Bekennenden Kirche gleichzusetzen, spielten aber für die Bekennende Kirche (BK) in ganz Deutschland eine zentrale, wenn auch nicht unumstrittene Rolle.

Der neue Landesbischof 1933

Friedrich Veit (1861-1948, Kirchenpräsident der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 1917 bis 1933). (Foto von BögleMartin, lizensiert durch CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Am 4. Mai 1933 wurde der Münchner Oberkirchenrat Meiser zum Nachfolger des vorzeitig in den Ruhestand gedrängten Kirchenpräsidenten Friedrich Veit (1861–1948, Kirchenpräsident der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 1917–1933) gewählt. Meiser erhielt die neue Amtsbezeichnung Landesbischof und wurde mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Er war zwar kein Nationalsozialist und 1926 mit der hetzerischen NS-Zeitschrift „Der Stürmer“ in Konflikt geraten. Aber er war wie die allermeisten evangelischen Geistlichen seiner Zeit nationalkonservativ und antijudaistisch geprägt und stand der „nationalen Revolution“ zunächst aufgeschlossen gegenüber. Dabei spielte zweifellos auch ein Erlebnis aus dem Jahre 1919 eine Rolle, als er von bewaffneten Soldaten der Münchner Räterepublik als Geisel gefangengenommen worden war. Bei seiner Amtseinführung am 11. Juni 1933 in der Nürnberger Lorenzkirche waren auch zahlreiche Vertreter des neuen NS-Staates anwesend; die Sturmabteilung (SA) stand, aus eigener Initiative, Spalier.

Amtseinführung des neuen Landesbischofs Hans Meiser (1881-1956, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 1933-1955) am 11. Juni 1933 in St. Lorenz in Nürnberg. Foto des feierlichen Einzugs. Abb. aus: Das Bayerland 44, (1933), 739. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar 198-t)

Die lutherische Bekenntnistradition

Landesbischof Hans Meiser (1881-1956, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 1933-1955). Foto undatiert. (Dr. Hans Christian Meiser)

Meiser war ein durch und durch konservativer Lutheraner. Die unbedingte Treue zum lutherischen Bekenntnis, wie es in den lutherischen Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts, vor allem im ursprünglichen Augsburgischen Bekenntnis (Confessio Augustana invariata) von 1530, fixiert und im „Neuluthertum“ Anfang des 19. Jahrhunderts gerade auch in Bayern wiederbelebt worden war, war der Maßstab seines Denkens und Handelns. Mit dieser Haltung entsprach er ganz der theologischen Mehrheitsmeinung seiner Landeskirche. Dazu gehörte eine grundsätzliche Ablehnung des theologischen Liberalismus und der kirchlichen Union aus Lutheranern und Reformierten. Insbesondere die große unierte preußische Landeskirche war in den Augen vieler bayerischer Lutheraner das Negativbeispiel eines Kirchentums, das aus Mangel an Klarheit der Bekenntnisgrundlage den Gefahren des Indifferentismus und Säkularismus und den Versuchungen des jeweils als modern geltenden Zeitgeistes ausgesetzt, wenn nicht schon erlegen war. Dabei spielten auch antipreußische Ressentiments eine Rolle.

Meisers ambivalente Haltung bei der Kirchenreform 1933

Der Theologe Friedrich von Bodelschwingh der Jüngere (1877-1946). Foto undatiert. (gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Einer Kirchenreform mit dem Ziel einer Vereinheitlichung der weitgehend selbständigen und nur lose in einem Kirchenbund zusammengeschlossenen 28 deutschen evangelischen Landeskirchen, wie sie schon seit längerem und keineswegs nur von den Deutschen Christen gefordert wurde, stand auch Meiser anfänglich positiv gegenüber. Allerdings schwebte ihm eine klar konfessionell profilierte lutherische Reichskirche mit einem angeschlossenen reformierten und unierten Zweig vor. Für dieses Ziel wurde Meiser unermüdlich aktiv; er war fortan der Motor und die führende Gestalt der lutherischen Einigungsbestrebungen. Fragen der Verfassung und der Theologie wurden dann jedoch rasch überlagert durch die Personalfrage, wer als Reichsbischof die neue Reichskirche leiten sollte. Meiser wählte Ende Mai 1933, wenn auch nicht ohne Vorbehalte gegenüber einem Kandidaten der preußischen Union, den Theologen Friedrich von Bodelschwingh d. J. (1877–1946, Leiter der Betheler Anstalten 1910–1946) mit, den die „Jungreformatorische Bewegung“, eine Vorläuferorganisation der Bekennenden Kirche, gegen den Kandidaten der Deutschen Christen und Vertrauensmann Adolf Hitlers (NSDAP, 1889–1945, Reichskanzler 1933–1945), Ludwig Müller (NSDAP, 1883–1945, Reichsbischof 1933–1945), aufgestellt hatte. Nach Bodelschwinghs Rücktritt auf Grund von Eingriffen des NS-Staates akzeptierte Meiser die rasch ausgearbeitete neue Kirchenverfassung, die ungeachtet einer Zentralisierung der Kirchenstrukturen die Unantastbarkeit der Bekenntnisse und die Selbständigkeit der Landeskirchen garantierte, und wählte im September 1933 Müller als einzig verbliebenen Kandidaten mit zum Reichsbischof.

Die bayerische Landeskirche bleibt „intakt“

Anders als in den allermeisten anderen Landeskirchen, in denen die Deutschen Christen aus den staatlich angeordneten Kirchenwahlen im Juli 1933 als klare Sieger hervorgingen und fortan die kirchenleitenden Positionen besetzten, konnten sich in drei lutherischen Landeskirchen – neben der hannoverschen und württembergischen auch in der bayerischen – die amtierenden Kirchenleitungen behaupten; sie galten bei den Gegnern der Deutschen Christen nunmehr als „intakte“ lutherische Landeskirchen. In Bayern waren die Gründe hierfür, dass sich die Deutschen Christen erst spät organisierten und auf Dauer eine verschwindend kleine Minderheit blieben. Außerdem gelang es der Kirchenleitung und dem Bischof, die beide über einen breiten Rückhalt sowohl in der Pfarrerschaft als auch im Kirchenvolk verfügten, die Deutschen Christen durch Verhandlungen und Zugeständnisse teilweise einzubinden. NS-orientierte Pfarrer in Bayern hatten sich überdies seit 1931 im Nationalsozialistischen Evangelischen Pfarrerbund (NSEP) zusammengeschlossen, der sich trotz einer gewissen Nähe zu den Deutschen Christen kirchenpolitisch nicht festlegen wollte.

Meisers Weg in die Bekennende Kirche

Als im November 1933 auf einer Großveranstaltung des Gaues Groß-Berlin der Deutschen Christen im Berliner Sportpalast ein „artgemäßes Christentum“ und u. a. die Abschaffung des Alten Testaments und der paulinischen „Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie“ gefordert wurden, sah auch Meiser darin einen massiven Angriff auf die Grundlagen des christlichen Bekenntnisses. Er positionierte sich zunehmend gegen den Reichsbischof, der sich zwar einerseits von den Deutschen Christen distanzierte, andererseits aber durch die Eingliederung der evangelischen Jugendverbände in die Hitlerjugend (HJ) und einen „Maulkorberlass“ zur Disziplinierung kritischer Pfarrer die NS-Gleichschaltungspolitik im Bereich der Kirche vorantrieb. Nach dem für die kirchliche Opposition enttäuschend verlaufenen Kanzlerempfang im Januar 1934 – sie wurde durch das Verlesen eines als staatsfeindlich interpretierten abgehörten Telefonats des Pfarrers von Berlin-Dahlem, Martin Niemöller (1892–1984), diskreditiert – sah Meiser sich noch einmal genötigt, eine Loyalitätserklärung für den Reichsbischof abzugeben. Als dieser sich sogleich daran machte, eine regelrechte Reichsbischofsdiktatur zu errichten und die Landeskirchen völlig in die Reichskirche einzugliedern, setzte sich Meiser mit an die Spitze der kirchlichen Oppositionsbewegung, die sich im Wesentlichen aus Vertretern der „intakten“ Landeskirchen, dem von Niemöller gegründeten Pfarrernotbund und den oppositionellen „Bruderräten“ in den sogenannten „zerstörten“, d. h. von den Deutschen Christen regierten Landeskirchen zusammensetzte und aus der die Bekennende Kirche hervorging.

Des „Führers allergetreueste Opposition“

Was für die Bekennende Kirche allgemein galt, galt auch für Meisers Landeskirche in Bayern: Man wollte keinesfalls als politisch illoyal erscheinen, war aber um die Unabhängigkeit der Kirche und die Integrität des Bekenntnisses besorgt. Meiser selbst hat seine ambivalente Haltung prägnant auf den Punkt gebracht, als er bei einem Treffen im März 1934 Hitler gegenüber erklärte, es bleibe ihm nunmehr nichts anderes übrig, „als unseres Führers allergetreueste Opposition zu werden“ (zit. n. Schulze, Meiser, 173). Hitler reagierte darauf mit einem Tobsuchtsanfall.

„Ulmer Einung“ und Barmer Reichsbekenntnissynode

Die eigentliche Geburtsstunde der Bekennenden Kirche war ein von ca. 5.000 Menschen besuchter Gottesdienst im Ulmer Münster am 22. April 1934. Meiser verlas eine Erklärung, in der die vereinte kirchliche Opposition für sich in Anspruch nahm, „rechtmäßige Evangelische Kirche Deutschlands“ zu sein (zit. n. Hermle/Thierfelder, Herausgefordert, 204). Von der sog. Ulmer Einung führte eine direkte Linie zur ersten Reichsbekenntnissynode in Wuppertal-Barmen (Nordrhein-Westfalen) Ende Mai 1934, auf der u. a. die sog. Barmer Theologische Erklärung verabschiedet wurde, die sich gegen die Irrlehren der Deutschen Christen wandte und als Magna Charta der Bekennenden Kirche gilt.

Die Barmer Erklärung besann sich auf reformatorische Grundwahrheiten wie die Prinzipien „sola scriptura“ (allein die Heilige Schrift) und „solus Christus“ (allein Christus). Sie wandte sich gegen die von den Deutschen Christen vertretene sog. Volksnomoslehre, wonach jedem Volk ein artspezifisches Gesetz zu eigen ist, das als die zentrale Gottesoffenbarung qualifiziert und durch den charismatischen Führer des Volkes verkörpert und verkündet wird. Auch die Einführung des Führerprinzips in der Kirche wurde abgelehnt. Ein politisches Programm enthielt die Erklärung ihrem Selbstverständnis nach indes nicht. Meiser hatte großen Anteil an der Planung und am Gelingen der Barmer Synode. U. a. war er es, der den Tagungsort vorgeschlagen hatte. Zwar gehörte er nicht zu den Verfassern der Theologischen Erklärung, nahm aber intensiv an der Textentstehung Anteil und steuerte immerhin einen Bibelvers bei. Der Münchner Oberkirchenrat Thomas Breit (1880–1966) war an der Ausarbeitung des Textes der Barmer Erklärung unmittelbar beteiligt.

Das bayerische Verständnis der Barmer Theologischen Erklärung

Meiser und den bayerischen Lutheranern ist von radikaleren Vertretern der Bekennenden Kirche und auch später in der Forschung immer wieder vorgeworfen worden, sie hätten sich sehr bald wieder von der Barmer Erklärung distanziert. Tatsächlich haben sie die Erklärung nur anders interpretiert als der hauptsächlich uniert-reformiert geprägte Flügel der Bekennenden Kirche, der sich an der Theologie Karl Barths (1886–1968) orientierte und in der Erklärung zunehmend ein neues, die lutherischen und reformierten Bekenntnisse überbietendes Bekenntnis sah. Barth war zwar der Hauptverfasser der Barmer Erklärung, hatte aber den Lutheranern gegenüber Zugeständnisse machen müssen, sodass man den Text der Erklärung als ein Kompromisspapier bezeichnen kann. Die unionskritischen Lutheraner verstanden die Erklärung im Unterschied zur radikalen Bekennenden Kirche als einen Rückruf zu den alten Bekenntnissen. In diesem Sinn würdigte Meiser die Erklärung auch später noch. Er fürchtete zudem das Entstehen einer „dritten Front“ durch lutherische Theologen wie Werner Elert (1885–1954) und Paul Althaus (1888–1966), beide Universität Erlangen, die – obgleich sie nicht zu den Deutschen Christen gehörten – theologische Einwände gegen die Barmer Erklärung erhoben hatten.

Der fromme Volksaufstand in Bayern und die Reichsbekenntnissynoden in Dahlem und Augsburg

Zeitungsartikel: „Fort mit Landesbischof D. Meiser“, in: Fränkische Tageszeitung, 15.09.1934. (Prof. Dr. Gerhard Meiser/Dr. Hans Christian Meiser)

Im Herbst 1934 eskalierte der Streit um die Eingliederung der bayerischen Landeskirche in die Reichskirche. Meiser und sein württembergischer Amtskollege Theophil Wurm (1868–1953, Kirchenpräsident bzw. Landesbischof 1929–1948) wurden von Reichsbischof Müller für abgesetzt erklärt und staatspolizeilich unter Hausarrest gestellt. Das löste einen „frommen Volksaufstand“ (Carsten Nicolaisen) aus mit in NS-Deutschland wohl singulären Massendemonstrationen in Stuttgart (Baden-Württemberg) und München, mit Unterschriftensammlungen, Eingaben etc. zugunsten der abgesetzten Landesbischöfe. Hitler sah sich schließlich genötigt, Meiser und Wurm förmlich zu rehabilitieren, was schließlich zur faktischen Entmachtung von Reichsbischof Müller führte. Im Oktober 1934 fand auch die zweite Reichsbekenntnissynode in Berlin-Dahlem statt. Die Bekennende Kirche setzte, da sie die Kirchenführer der Deutschen Christen nicht mehr anerkannte, eigene Kirchenleitungsorgane ein, auf Reichsebene eine (erste) Vorläufige Kirchenleitung (VKL I). Anfang 1935 rief Meiser auf Anregung der bereits im Mai 1934 gegründeten Bayerischen Pfarrbruderschaft zur Gründung von Bekenntnisgemeinschaften auf, denen sich bis Sommer 1935 fast 400.000 Gemeindeglieder anschlossen. Die dritte Reichsbekenntnissynode fand im Juni 1935 in Augsburg statt.

Die Spaltung der Bekennenden Kirche

Um die evangelische Kirche zu befrieden, ernannte Hitler 1935 Hanns Kerrl (NSDAP, 1887–1941, Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten 1935–1941) zum Reichskirchenminister. Dieser setzte im Reich und in den „zerstörten“ Landeskirchen Kirchenausschüsse, bestehend aus gemäßigten Mitgliedern von Deutschen Christen und Bekennender Kirche sowie Neutralen, als neue kirchenleitende Organe ein. An der Haltung zu diesen Ausschüssen zerbrach die Bekennende Kirche nach der vierten Reichsbekenntnissynode in Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen) Anfang 1936. Während der radikalere, vor allem uniert-reformiert geprägte Flügel eine Kooperation strikt ablehnte und eine neue (zweite) Vorläufige Kirchenleitung (VKL II) wählte, wollte sich der gemäßigtere lutherische Flügel einer solchen Kooperation grundsätzlich nicht verweigern, auch wenn er die Ausschüsse nicht als Kirchenleitungen anerkannte und Meiser sich strikt weigerte, einen Kirchenausschuss für Bayern zu akzeptieren. Die „intakten“ lutherischen Landeskirchen und die Bruderräte in den meisten „zerstörten“ lutherischen Landeskirchen schlossen sich im Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirchen Deutschlands („Lutherrat“) zusammen. Dessen Vorsitz hatte bis 1938 Oberkirchenrat Breit, danach Meiser inne.

Beim Vergleich der beiden Teile der Bekennenden Kirche ist zu bedenken, dass das Legalitätsprinzip für den hauptsächlich von den „intakten“ Landeskirchen getragenen „Lutherrat“ eine andere Rolle spielte als für den durch die zweite Vorläufige Kirchleitung repräsentierten Teil. Auch in Bayern gab es allerdings Pfarrer wie Karl-Heinz Becker (1900–1968) in Ezelheim (Markt Sugenheim, Lkr. Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim) und Karl Steinbauer (1906–1988) in Penzberg (Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen), ab 1938 in Ay (Stadt Senden, Lkr. Neu-Ulm), die zur radikaleren Bekennenden Kirche tendierten und den Kurs der Landeskirchenleitung als zu uneindeutig kritisierten. Steinbauer, einer der schärfsten Kritiker des Kurses von Meiser, hatte 1934 bereits zu den Gründungsmitgliedern der Bayerischen Pfarrbruderschaft gehört. 1939 wurde er nach zahlreichen anderen staatlichen Disziplinierungen im KZ-Sachsenhausen (Brandenburg) inhaftiert. Auch andere Pfarrer waren von „Stürmer“-Hetze, staatlicher Überwachung, Anzeigen, Geldstrafen, „Schutzhaft“ etc. betroffen. Dabei ging es selten um tatsächliche oder vermeintliche Vergehen oder um grundsätzliche Kritik am NS-Staat, als vielmehr um „Denunziationen, lokale […] Rivalitäten oder offene […] Kirchenfeindschaft“ (Fix, Zustimmung, Bd. 1, 198). Die Bayerische Pfarrbruderschaft insgesamt verfolgte wie die Landeskirchenleitung allerdings eher einen ausgleichenden Kurs und einigte sich etwa im Juni 1934 mit dem Nationalsozialistischen Evangelischen Pfarrerbund darauf, dass eine gleichzeitige Mitgliedschaft in beiden Organisationen durchaus möglich sei; zudem distanzierte sich die Pfarrbruderschaft vom Pfarrernotbund (ebd., 690f.).

Gratwanderung zwischen Staatsloyalität und Protest

Abriss der Münchner Matthäuskirche. (Archiv St. Matthäus München)

Auch der weitere Weg von bayerischer Landeskirche wie Lutherrat unter der Führung Meisers bzw. Breits kann als „Gratwanderung zwischen Staatsloyalität und Protest“ (Schulze, Meiser, 488) beschrieben werden. Konsequent wurde jeder Versuch eines Staatseingriffs in den Raum der Kirche abgewehrt, so etwa 1937 die geplante Einführung einer staatlichen Finanzverwaltung. Auch im Bildungsbereich wurde dem Totalitätsanspruch des NS-Staates heftig widersprochen. Politischen Widerstand im engeren Sinne dagegen vermied man, bemühte sich aber um Schutz für solche in der Kirche, die mit dem NS-Regime in Konflikt geraten waren.

Den 1938 abrupt von den Nationalsozialisten verfügten Abriss der Münchner Matthäuskirche, Meisers Bischofs- und Predigtkirche, zweifellos auch ein „Racheakt gegen den unliebsamen Landesbischof“ (Schulze, Meiser, 212), nahm Meiser erzwungenermaßen hin. Im selben Jahr forderte Meiser die Pfarrerschaft zum Treueid auf den Führer auf, nachdem fälschlich verbreitet worden war, dass Hitler einen solchen Eid verlange. Sowohl zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 als auch zum Novemberpogrom 1938 schwieg die Landeskirchenleitung, sie verhinderte aber die Übernahme des „Arierparagraphen“ in der Kirche und bemühte sich, die Folgen der NS-Rassepolitik abzumildern. Vor allem sind in diesem Zusammenhang die beiden 1938 eingerichteten Hilfsstellen für „nichtarische“ Christen in München und Nürnberg zu nennen, durch die Menschenleben gerettet wurden. Ein öffentlicher Protest gegen die Verfolgung und Ermordung der Juden, wie ihn etwa der frühere bayerische Synodenpräsident Wilhelm Freiherr von Pechmann (1859–1948) forderte, unterblieb dagegen.

Wilhelm Freiherr von Pechmann (1859-1948), 1920-1922 erster Präsident der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. 1946 konvertierte er u. a. aus Enttäuschung über die Haltung der Evangelischen Kirche zum NS-Staat zum katholischen Glauben. (Abb. aus: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft 2. Band, Berlin 1931, 1389)

Exkurs zur pfälzischen Landeskirche

Von 1816 bis 1946 gehörte die Pfalz bzw. Rheinpfalz links des Rheins zu Bayern. Die dortigen evangelisch-reformierten und -lutherischen Gemeinden schlossen sich 1818 zu einer eigenen bekenntnisunierten Landeskirche zusammen, die 1848 auch ein eigenes Konsistorium in Speyer (Rheinland-Pfalz) erhielt. Während die konservativ-lutherische bayerische Landeskirche rechts des Rheins im sog. Kirchenkampf ab 1933/34 zu den „intakten“ Landeskirchen gezählt wurde, setzten sich in der traditionell eher liberal geprägten unierten pfälzischen Landeskirche 1933 die Deutschen Christen durch, weshalb sie aus Sicht der Bekennenden Kirche als „zerstört“ galt. 1934 wählte die Synode den Landesleiter der Deutschen Christen, Ludwig Diehl (NSDAP, 1894–1982), zum Landesbischof und stimmte der Eingliederung der pfälzischen Kirche in die Reichskirche zu. Die nationalsozialistische Gleichschaltung der Landeskirche verlief „nahezu reibungslos“ (Picker et al., Protestanten, 25). Als eine der ganz wenigen Landeskirche war die Pfalz auf den Reichsbekenntnissynoden in Barmen und Dahlem 1934 gar nicht vertreten. Erst im September 1934 wurde in der Pfalz die DC-kritische Pfarrbruderschaft gegründet, die aber nicht nur dem NS-Regime gegenüber grundsätzlich loyal war, sondern sich 1936 auch in die DC-dominierte Kirchenregierung einbinden ließ. Nur wenige Einzelne, wie Pfarrer Heinz Wilhelmy (1906–1980) in Thaleischweiler, zeigten sich resistent und suchten die Verbindung zur Bekennenden Kirche im Reich.

Nachwirkungen

Umbenennung der Meiserstraße in München (Foto von X, gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Nach dem Ende der NS-Diktatur 1945 waren die Vertreter der Bekennenden Kirche die tonangebenden Kräfte des kirchlichen Wieder- bzw. Neuaufbaus. Meiser blieb unangefochten im Amt und war 1948 maßgeblich an der Überführung des Lutherrates, also der lutherischen Bekennenden Kirche, in die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD), den Zusammenschluss lutherischer Landeskirchen innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland, beteiligt. Damit war sein Lebensziel einer lutherischen Einigung erreicht; er wurde der erste Leitende Bischof der VELKD. Nach seinem Tode 1956 wurde Meiser als führende Gestalt der Bekennenden Kirche hoch geehrt. Das hing auch damit zusammen, dass es ihm erfolgreich gelungen war, die Landeskirche als wichtigen Teil der Bekennenden Kirche zu einer politischen Widerstandsbewegung hochzustilisieren.

Ab den 1990er Jahren begann dann eine kritischere, ambivalente Beurteilung seiner Person, die nach der Jahrtausendwende teilweise in eine moralisch und emotional hoch aufgeladene Verdammung umschlug, die u. a. zur Umbenennung von nach Meiser benannten Straßen führte. Der radikalere Teil der Bekennenden Kirche wird dagegen in der Öffentlichkeit bis heute (2021) positiver wahrgenommen, obwohl auch dort antijüdische Einstellungen zu finden waren, wie sie Meiser zur Last gelegt wurden. Die Bekennende Kirche, und gerade auch die bayerische Bekennende Kirche, hat sich der nationalsozialistischen Gleichschaltung auf Dauer erfolgreich widersetzt, wenn sie auch nicht zum eigentlichen politischen Widerstand gerechnet werden kann. In der Pfalz musste Landesbischof Diehl 1945 abtreten, konnte aber später als Pfarrer in Mackenbach (Rheinland-Pfalz) bis 1969 weiterarbeiten. Es bildete sich das apologetische „Narrativ von der glimpflich verlaufenden NS-Kirchengeschichte in der Pfalz“ heraus, das erst durch die Forschung in jüngster Zeit gründlich in Frage gestellt wurde (Picker et al., Protestanten, 12).

Literatur

  • Berndt Hamm/Harry Oelke/Gury Schneider-Ludorff (Hg.), Spielräume des Handelns und der Erinnerung. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und der Nationalsozialismus (Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte 50), Göttingen 2010.
  • Kurt Meier, Der evangelische Kirchenkampf. 3 Bände, 2. Aufl. Göttingen 1984.
  • Carsten Nicolaisen, Der Weg nach Barmen. Die Entstehungsgeschichte der Theologischen Erklärung von 1934, Neukirchen-Vluyn 1985.
  • Christoph Picker/Gabriele Stüber/Klaus Bümlein/Frank-Matthias Hofmann (Hg.), Protestanten ohne Protest. Die evangelische Kirche der Pfalz im Nationalsozialismus. Bd. 1: Sachbeiträge. Bd. 2: Kurzbiographien. Anhang, Speyer 2016.
  • Thomas Martin Schneider, Gegen den Zeitgeist. Der Weg zur VELKD als lutherischer Bekenntniskirche (Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte 49), Göttingen 2008.
  • Nora Andrea Schulze, Hans Meiser. Lutheraner – Untertan – Opponent (Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte 81), Göttingen 2021.
  • Philipp Stoltz, Die bayerische Pfarrerbruderschaft als Akteur im sog. Kirchenkampf 1933–1945, in: Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte 82 (2013), S. 205–228.

Quellen

  • Karl-Heinz Fix (Hg.), Zustimmung – Anpassung – Widerspruch. Quellen zur Geschichte des bayerischen Protestantismus in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. 2 Bde. (Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte A 21), Göttingen 2021.
  • Siegfried Hermle/Jörg Thierfelder (Hg.), Herausgefordert. Dokumente zur Geschichte der Evangelischen Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 2008.

Externe Links

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Kirchenkampf, Deutsche Christen, Hans Meiser, evangelische Kirche, Luthertum, lutherisch

Empfohlene Zitierweise

Thomas Martin Schneider, Bekennende Kirche, publiziert am 15.11.2021; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bekennende_Kirche> (28.03.2024)