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Bayerischer Bauernbund (BB), 1895-1933

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Karl Gandorfer (1875-1932). (Amtliches Jahrbuch des Bayerischen Landtags, München 1920, 147)
Mit Johann Wutzlhofer (1871-1939) besetzte der Bauernbund von 1920 bis 1923 das Landwirtschaftsministerium. (Amtliches Jahrbuch des Bayerischen Landtags, München 1921, 193)

von Oliver Braun

Am 2. März 1895 in Regensburg gegründeter Dachverband landwirtschaftlicher Einzelverbände Bayerns, seit 1910 auf Altbayern beschränkt. Als politische Partei des emanzipierten bäuerlichen Mittelstandes mit dezidiert antiklerikalen, gegen Adel und Bürokratie gerichteten, teils linksradikalen Positionen stand der Bauernbund in deutlichem Gegensatz zum Zentrum bzw. zur Bayerischen Volkspartei (BVP), insbesondere während der Revolution. Unter der Führung des gemäßigten Georg Eisenberger (1863-1945) war der Bauernbund an allen bayerischen Kabinetten von 1920 bis August 1930 beteiligt und stellte den Landwirtschaftsminister. Nach massiven Wahlverlusten 1932 löste er sich am 11. April 1933 auf.

Entstehungsvoraussetzungen und erste Gründung in Niederbayern

Der initiale Anstoss für die Entstehung des Bayerischen Bauernbundes kam aus Preußen: Als Reaktion auf die Agrarkrise der 1890er Jahre und die wirtschaftsliberale Handelspolitik der "neuen Ära" unter dem Bismarck-Nachfolger Leo von Caprivi (1831-1899) wurde dort am 18. Februar 1893 der "Bund der Landwirte" (BdL) gegründet. Dieser ostelbisch-großagrarische und strikt zollprotektionistisch orientierte Interessenverband warb allerdings bald und auch sehr gezielt bei den wohlhabenden Landwirten des fruchtbaren niederbayerischen Gäubodens um Anhängerschaft. Bereits am 18. März 1893 rief der BdL eine Bauernversammlung nach Straubing ein, um hier einen "Bund niederbayerischer Landwirte" zu gründen. Da aber die niederbayerischen Bauern antipreußisch eingestellt waren und die vornehmlich adeligen Trägerschichten des BdL ablehnten, kam die anvisierte bayerische Unterorganisation nicht zustande. Stattdessen wurde auf einer zweiten Versammlung am 10. April 1893 – ebenfalls in Straubing – ein selbständiger "Niederbayerischer Bauernbund" ins Leben gerufen. Während der BdL in Niederbayern somit politisch nicht Fuß zu fassen vermochte, war er in Franken sehr erfolgreich und konnte mit der unter seiner Regie in Würzburg erfolgten Gründung des "Fränkischen Bauernbundes" am 23. April 1893 starken Einfluss gewinnen.

Entwicklung und Geschichte bis zum Ersten Weltkrieg

Nach dem Vorbild der Straubinger Gründung entstanden 1893 in rascher Folge und bayernweit weitere Bauernbünde: So etwa am 28. Mai 1893 in Traunstein der "Oberländer Waldbauernbund", aus dem am 26. Dezember 1893 der "Oberbayerische Bund der Landwirte und Gewerbetreibenden" hervorging; am 7. Oktober 1893 in Lauingen/Donau der "Schwäbische Bund der Landwirte und Gewerbetreibenden". Der bereits sehr früh - am 23. April 1893 - in Würzburg gegründete "Fränkische Bauernbund" erhielt im Gegensatz zu den südbayerischen Bauernbünden seine Bindung an den BdL aufrecht. Diese verschiedenen Bauernbundorganisationen schlossen sich am 2. März 1895 in Regensburg zu einem Bayerischen Bauernbund (BB) zusammen – mit Ausnahme der oberbayerischen Verbände, die dem gesamtbayerischen Bauernbund erst am 26. September 1897 beitraten.

Auch mit der Gründung dieses Dachverbandes war der Bauernbund allerdings weit davon entfernt, eine einheitliche Organisation oder Partei zu sein, sondern trug eher den Charakter einer "Arbeitsgemeinschaft landschaftlicher Einzelbünde" (Albrecht, Reichsgründung, 352). Seine Geschichte bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges stellt eine Aneinanderreihung massiver interner Auseinandersetzungen dar, vor allem zwischen den politisch radikaleren Niederbayern und den gemäßigteren Franken und Schwaben. Auch erfolgten zahllose Austritts- und Abspaltungsbewegungen, die im Jahre 1910 darin gipfelten, dass die Mitglieder des Fränkischen Bauernbundes mehrheitlich zum Deutschen Bauernbund, in Teilen auch zum BdL übertraten. In Folge war der Bauernbund als Partei regional auf die altbayerischen Gebiete beschränkt.

Führungspersonal und Mitgliederzahlen

1. Vorsitzende(r) 2. Vorsitzender 3. Vorsitzender
Karl Hans Freiherr von Thüngen (1895-1896) Martin Schunk (1896-1897) Karl Gandorfer (1919-1932)
Franz Wieland (1896-1900) Georg Eisenberger (1897-1899) Ignaz Weinzierl (1932-1933)
Georg Eisenberger und Martin Schunk (1900-1907) Johann Schäfer (1899)
Georg Eisenberger und Karl Prieger (1907-1911) Theodor Dirr (1919-1929)
Georg Eisenberger (1911-1930) Fritz Kling (1929-1930)
Fritz Kling (1930-1933) Anton Städele (1930-1933)

Die exakte Mitgliederzahl des Bauernbundes ist von der Forschung kaum exakt zu taxieren. Als gesichert erscheint nur, dass der Bauernbund als "ausgesprochene Wählerpartei" (Bergmann, Bauernbund, 29) einen - in Relation zu seinen Wahlergebnissen gesehen - sehr geringen Mitgliederstamm besessen hat. Für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg schwanken die Angaben zwischen einem Höchststand von 15.000 (1896) und einem Niedrigstand von 7.000 (1914). Nach zeitgenössischen Angaben des Bauernbundes habe die Mitgliederzahl im Jahre 1921 - bedingt durch zahlreiche Neueintritte nach Weltkriegsende und Revolution - dann wieder bei 50.000 gelegen. Realistisch erscheint für die Periode von 1924 bis 1933 die Annahme einer relativ konstanten Mitgliederzahl von 35.000.

Politisches Selbstverständnis und programmatische Ausrichtung

Wenn auch die Bauernbundbewegung zunächst als eine agrarisch-mittelständische Organisation mit primär wirtschaftspolitischen Zielen ins Leben getreten war, so verstand sie sich doch – im Gegensatz zum Reichs-Landbund oder den Christlichen Bauernvereinen – von Anfang an als politische Partei mit dem Ziel, in die Parlamente zu gelangen. Der Bauernbund trat dabei als entschiedener Gegner und erklärter Herausforderer der etablierten Zentrumspartei, der traditionellen politischen Heimat der bayerischen Landbevölkerung, auf. Wie auch das Zentrum – ab 1918 die Bayerische Volkspartei (BVP) – und die Christlichen Bauernvereine zwar fest im ländlich-agrarischen katholischen Milieu verwurzelt, war der Bauernbund dennoch dezidiert antiklerikal, dem Adel sowie den kirchlichen und staatlichen Obrigkeiten und der Bürokratie gegenüber sehr kritisch eingestellt. Es wurde ihm daher auch das Etikett "Sozialdemokratie des flachen Landes" (Bergmann, Bauernbund, 19) verliehen. Die verschiedenen Bauernbundprogramme ab 1897 betonten neben wirtschafts- und agrarpolitischen Forderungen mit Nachdruck die Eigenständigkeit Bayerns, demokratische Grundprinzipien auch die Trennung von Staat und Kirche, die Verstaatlichung des Schulwesens und die Abschaffung der geistlichen Schulaufsicht. Vor dem Hintergrund dieser programmatischen Grundlinien war der Bauernbund allerdings Zeit seines Bestehens geprägt von innerparteilichen Auseinandersetzungen zwischen einem gemäßigten und einem linken, radikaleren Flügel.

Der Bauernbund in der Revolution von 1918

Vor allem die Rolle dieser linken Fraktion des Bauernbundes in der Revolution von 1918 stellte sich in der Weimarer Zeit – neben den säkularen schul- und kulturpolitischen Positionen des Bauernbundes – als Belastung im Verhältnis zu BVP und Christlichem Bauernverein heraus. Der radikale Flügel des Bauernbundes unter den beiden Brüdern Karl Gandorfer (1875-1932) und Ludwig Gandorfer (1880-1918, SPD, ab 1917 USPD) aus dem niederbayerischen Pfaffenberg stand in Verbindung mit Ministerpräsident Kurt Eisner (1867-1919). Die Gandorfers sicherten ihm zu, die Nahrungsmittelversorgung Bayerns auch während des revolutionären Umbruchs aufrechtzuerhalten. Ludwig Gandorfer erhielt am 9. November 1918 von Eisner den Auftrag, einen parlamentarischen Bauernrat (Zentralbauernrat) zu bilden. Nach seinem tödlichen Autounfall am 10. November wurde sein Bruder Karl als Vorsitzender des Bauernrates Mitglied der Provisorischen Regierung Eisner und besetzte den Zentralbauernrat fast zur Gänze mit linken Bauernbündlern.

Parlamentarische Vertretung und Regierungsbeteiligung

Der Bauernbund war zunächst vor allem die Partei eines emanzipierten bäuerlichen Mittelstandes, aufgrund seiner kulturpolitischen Positionen auch die der liberalen Lehrerschaft. Nach anfänglich bemerkenswerten Wahlerfolgen allerdings schwand der Wählerstamm des Bauernbundes sehr stark bzw. war bis 1933 erheblichen Schwankungen unterworfen – obwohl der Bund, der ab 1922 unter dem Namen "Bayerischer Bauern- und Mittelstandsbund" firmierte, nun verstärkt auch den nichtagrarischen Mittelstand zu erreichen suchte.

Auf Reichsebene blieb der Bauernbund fast bedeutungslos und war im Reichstag stets auf Zusammenschlüsse mit anderen Parteien angewiesen, um die Fraktionsstärke zu erreichen. Auch der Versuch, mit der 1927 gegründeten Deutschen Bauernschaft die Wahlergebnisse reichsweit zu steigern, schlug fehl. Im Bayerischen Landtag dagegen war der Bauernbund stets präsent (Landtagswahlen 1919: 9,1 %, 1920: 7,9 %, 1924: 7,1 %, 1928: 11,5 %, 1932: 6,5 %).

Niedergang und Auflösung 1933

Nach dem Wahlerfolg in der bayerischen Landtagswahl 1928 (11,5 % Wählerstimmen) verlor der Bauernbund seit den Reichstagswahlen von September 1930 dramatisch an Wählerzuspruch und geriet in einen unaufhaltsamen inneren Auflösungsprozess. So war etwa bereits sein Beitritt zur "Grünen Front" im Februar 1929 zwischen dem linken und dem gemäßigten Parteiflügel höchst umstritten. In der Landtagswahl vom 24. April 1932 erreichte der Bauernbund nur noch 6,5 % Stimmenanteil, in den Reichstagswahlen von Juli und November 1932 nur noch 3,3 % bzw. 3,7 %. Während die Bauernbund-Führung bis 1933 weitgehend republiktreu blieb, liefen Wähler und Funktionäre in erheblicher Zahl zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), teilweise auch zur Bayerischen Volkspartei über: Der Bauernbund wurde 1932 "zwischen NSDAP und BVP aufgerieben" (Bergmann, Bauernbund, 348). Im Gegensatz zu den Christlichen Bauernvereinen, die am 4. April 1933 noch als eigenständige Organisationen an der Gründung der "Reichsführergemeinschaft des deutschen Bauerntums" in Berlin beteiligt waren und bis Ende Juni fortbestanden, erklärte der Bauernbund bereits am 11. April 1933 seine Existenz für beendet und legte seinen Mitgliedern den Eintritt in die NS-Bauernschaften nahe.

Dokumente

Literatur

  • Dieter Albrecht, Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1871-1918), in: Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 4. Band, 1. Teil: Das neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Erster Teilband: Staat und Politik, München 2., völlig neu bearbeitete Auflage 2003, 319-438, hier 350ff. (konziser Überblick über die Bauernbundgeschichte bis 1918)
  • Hannsjörg Bergmann, Der Bayerische Bauernbund und der Bayerische Christliche Bauernverein 1919-1928 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 81), München 1986. (grundlegende monographische Darstellung für die Weimarer Zeit)
  • Dieter Fricke u. a. (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789-1945). 1. Band, Köln 1983-1986, 135-151. (streng marxistisch inspirierter Handbuchartikel, nur brauchbar als Daten- und Faktengerüst)
  • Heinz Haushofer, Der Bayerische Bauernbund (1893-1933), in: Heinz Gollwitzer (Hg.), Europäische Bauernparteien im 20. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 29), Stuttgart 1977, 562-586. (einführende Überblicksdarstellung)
  • Anton Hochberger, Der Bayerische Bauernbund 1893-1914 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 99), München 1991. (grundlegende monographische Abhandlung der Entstehungsphase und Frühgeschichte)
  • Alois Hundhammer, Geschichte des Bayerischen Bauernbundes, München 1924. (durchwegs solide zeitgenössische Gesamtdarstellung, aufgrund der politischen Gegnerschaft des Autors allerdings im Urteil über die Revolutionsphase zum Teil unausgewogen. Hier auch Abdruck sämtlicher Bauernbund-Programme)

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Oliver Braun, Bayerischer Bauernbund (BB), 1895-1933, publiziert am 04.09.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerischer_Bauernbund_(BB),_1895-1933> (28.03.2024)