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Bayerische Landespolizei, 1920-1935

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Hans von Seißer in Reichswehruniform, Fotografie vor 1935. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)
Panzerwagen der Bayerischen Landespolizei auf dem Münchener Odeonsplatz beim Hitlerputsch am 9. November 1923. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)
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Berittene Abteilungen der Landespolizei beim Hitler-Putsch am Münchner Odeonsplatz. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)

von Gerhard Fürmetz

Die Bayerische Landespolizei der Weimarer Republik fungierte seit 1920 zum einen als kasernierte Bereitschaftspolizei, zum anderen als Personalreservoir für den polizeilichen Einzeldienst. Ähnliche Polizeiformationen existierten auch in den übrigen deutschen Ländern. Wendepunkt und zugleich spektakulärster Einsatz in der Geschichte der Landespolizei war die Niederschlagung des Hitlerputsches im November 1923. War die Landespolizei bis dahin eine halbautonome, zur nationalen Rechten tendierende Polizeitruppe, so gelang es in der Folgezeit allmählich, sie in den übrigen Polizeiapparat zu integrieren und ansatzweise zu professionalisieren. Gleichwohl behielt sie ihre ausgeprägte militärische Tradition und ihre Nähe zur Reichswehr bei. Im frühen NS-Staat diente die Landespolizei als Grundstock für die neue Wehrmacht, in der sie 1935 aufging.

Die Bayerische Landespolizei in der frühen Weimarer Republik

Vorläufer der Landespolizei war die im November 1919 als Truppenersatz angelegte "Staatliche Polizeiwehr Bayerns". Sie war ihrerseits aus lokalen militärischen Wehreinheiten unter dem Befehl der Stadtkommandanten in München und Nürnberg hervorgegangen. Auf Druck der alliierten Siegermächte wurde die Polizeiwehr im September 1920 in eine rund 9.600 Mann starke "Staatliche Ordnungspolizei" umgewandelt, die ab 22. November 1920 den Namen "Bayerische Landespolizei" trug. Während sie dienstrechtlich und einsatztaktisch dem im Innenministerium angesiedelten Landespolizeiamt (ab 1931 Landespolizeiinspektion) unterstand, verfügten über ihre Verwendung Kreisregierungen und Bezirksämter.

Geformt und beherrscht wurde die Landespolizei in der Praxis jedoch von Hans Ritter von Seißer (1874-1973). Unter Seißers selbständiger, nach rechts tendierender Führung blieb die auf ca. 17.500 Mann aufgestockte Landespolizei bis 1923/24 eine militärartige Truppe, die politisch kaum zu kontrollieren war. Zahlreiche ihrer überwiegend gegen links gerichteten Einsätze in der Frühphase der Weimarer Republik verliefen gewaltsam, so etwa der Coburger "Blutsonnabend" am 3. September 1921. Den Höhepunkt bildete die erfolgreiche Bekämpfung des Putschversuchs der Nationalsozialisten am 9. November 1923. Dieser Konflikt kostete Seißer, der in den gescheiterten Umsturz persönlich verwickelt war, anschließend beinahe sein Amt als Landespolizeichef.

Weitere Entwicklung bis 1935

Erst nach dem Hitlerputsch konnte die Landespolizei besser mit dem zivilen Polizeiapparat, bestehend aus Gendarmerie, staatlichen Schutzmannschaften und Gemeindepolizeien, verzahnt werden. Politisch verhielt sie sich in der Folgezeit weitgehend staatstreu, wenn auch viele Landespolizisten dem demokratischen System weiterhin reserviert gegenüberstanden.

Im Zuge der Vereinfachung der Staatsverwaltung reduzierte man die Landespolizei aus Spargründen bis 1929 personell um 2.200 Mann. Ab 1929 wurde sie verstärkt in die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen rechts- und linksextremen Gruppierungen hineingezogen. Anfang 1930 löste Christian Pirner (1883-1968) Hans von Seißer als Chef der Landespolizei ab; von 1933 bis zur Auflösung 1935 führte Heinrich Döhla (1881-1946) das Kommando. Während der "Machtergreifung" der NSDAP 1933 blieb die kasernierte Landespolizei in Bayern passiv. Die neuen Machthaber nutzten sie sofort für ihre Zwecke, etwa zur Ausbildung und Unterstützung von SA, SS, Postschutz und Bahnpolizei oder als KZ-Wachpersonal. Zum 1. April 1935 schied die Landespolizei aus der bayerischen Verwaltung aus und ging als Schutzpolizei auf das Reich über. Am 15. Oktober 1935 wurde sie schließlich komplett in die Wehrmacht eingegliedert, nur wenige Beamte traten in den polizeilichen Einzeldienst über.

Gliederung

Die Kräfte der Landespolizei waren bewusst über alle größeren Städte im rechtsrheinischen Bayern verteilt. Örtliche Kommandos bestanden seit 1920 in München, Nürnberg/Fürth, Augsburg, Bamberg, Würzburg, Bayreuth, Landshut, Ansbach, Aschaffenburg, Ingolstadt und Regensburg. Später kamen kleinere Kontingente in Passau, Amberg und Coburg (1921), Straubing (1923) sowie Hof und Rosenheim hinzu (1925). Mehrere Standorte wurden 1929/30 wieder abgebaut (Amberg, Ansbach, Aschaffenburg, Bayreuth, Ingolstadt, Landshut, Passau, Rosenheim, Straubing), dafür ab Juli 1930 Einheiten in der bis dahin französisch kontrollierten Pfalz stationiert (Speyer, Kaiserslautern, Zweibrücken, Ludwigshafen).

Die lokalen Kommandos setzten sich aus Abschnitten (in Bataillonsstärke) und Hundertschaften (bis 1928 Stationsverstärkungen genannt) zusammen. Während kleinere Kommandos zum Teil nur eine oder zwei Hundertschaften umfassten, lagen allein in München mindestens 16 dieser kompaniestarken Verbände. Daneben existierten Spezialeinheiten mit Maschinengewehren auf Straßenpanzerwagen, ferner berittene Kraftfahr- und Nachrichtenabteilungen, ein Wasserpolizeikommando in Lindau, drei Flugüberwachungsstellen und diverse Verwaltungen. Schwere Waffen aus der Zeit der Polizeiwehr mussten ab 1920 abgegeben werden. Für Ausbildungszwecke dienten zwei Polizeivorschulen (Eichstätt, Bamberg), drei weitere Schulabteilungen und eine Offiziersschule in München.

Funktion und Aufgaben

Charakteristisch für die Landespolizei war ihre Doppelfunktion als kasernierte Bereitschaftspolizei und als Personalreservoir für den polizeilichen Einzeldienst. Dadurch kam ihr eine Schlüsselfunktion für die personelle Besetzung und Ausbildung der gesamten Polizei in Bayern zu. Den zivilen Beamtenstatus der Landespolizisten regelte das Landespolizeibeamtengesetz vom 26. August 1922. Während Offiziere auf Dauer beschäftigt wurden, galt für einfache Dienstgrade und Unteroffiziere (Wachtmeister) eine zwölfjährige Dienstzeit, die vorherige Militärzeiten einschloss. Bereits nach sieben Dienstjahren war ein Übertritt zur Gendarmerie oder zu einer Schutzmannschaft möglich.

Zu den Hauptaufgaben der Landespolizei zählten zum einen Einsätze bei inneren Unruhen und der Schutz bzw. die Auflösung von politischen Versammlungen und Umzügen, zum anderen die Unterstützung der Einzeldienstpolizei im Streifendienst, bei Razzien, bei der Suche nach Vermissten oder bei der Verfolgung von Straftätern. Hinzu kamen Wach- und Sicherheitsdienste, der Schutz größerer Veranstaltungen, Katastropheneinsätze und die Überwachung des zivilen Luftverkehrs.

Militärische Traditionen

Aus der aufgelösten bayerischen Armee hervorgegangen, konnte die Landespolizei ihre militärischen Traditionen nie ablegen. Personell bestand sie zumindest in den Anfangsjahren ganz überwiegend aus ehemaligen Soldaten und Freikorpskämpfern ohne polizeiliche Vorbildung; zu Neueinstellungen kam es erst ab 1922/23. Von Offizieren und verheirateten Wachtmeistern abgesehen waren alle Beamten strikt kaserniert. Vor allem im Offizierskreis herrschte ein starker Korpsgeist, gepaart mit einem Männlichkeits- und Kameradschaftskult. Besoldung und Versorgung sowie das Beförderungs- und Disziplinarwesen entsprachen weitgehend den Gepflogenheiten der Reichswehr. Auch bezüglich der organisatorischen Gliederung, der Ausbildungsinhalte und der Einsatztaktik orientierte sich die Führung der Landespolizei an militärischen Vorbildern. Zur in Bayern stationierten Reichswehr bestanden stets enge Beziehungen.

Trotz dieser unverkennbar militärischen Prägung fand die Landespolizei in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre durchaus zu einem professionellen Selbstverständnis. In dieser Widersprüchlichkeit zwischen Militarisierung und Modernisierung liegt ein Hauptmerkmal der Entwicklung der Polizei in der Weimarer Republik.

Abgrenzungen

Nicht zu verwechseln ist die Bayerische Landespolizei der Zwischenkriegszeit mit der ab 1945/46 für den Einzeldienst in den ländlichen Gebieten zuständigen Bayerischen Landpolizei, die ab 1. August 1972 ebenfalls als Bayerische Landespolizei bezeichnet wurde. Seit der Verstaatlichung der letzten kommunalen Polizeiorganisation am 1. Oktober 1975 trägt die gesamte Einzeldienstpolizei in Bayern den Namen "Landespolizei". Kasernierte Polizeieinheiten entstanden erst wieder 1951 mit der Bayerischen Bereitschaftspolizei.

Literatur

  • Richard Bessel, Militarisierung und Modernisierung: Polizeiliches Handeln in der Weimarer Republik, in: Alf Lüdtke (Hg.), "Sicherheit" und "Wohlfahrt". Polizei, Gesellschaft und Herrschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1992, 323-343.
  • Christian Dietzel, Panther vs. Löwe. Ein Beitrag zur Geschichte der Bayerischen Landespolizei, Diplomarbeit Universität der Bundeswehr München 2005.
  • Karl Naab, Die bayerische Landespolizei, ihre Organisation, Aufgaben und rechtliche Stellung, Diss. Erlangen 1923. (zeitgenössische Darstellung)
  • Georg Sagerer/Emil Schuler, Die Bayerische Landespolizei von 1919-1935, München 1954. (Selbstsicht)
  • Hans Schnitzlein-Rothenberg, Die Polizeitruppe Bayerns unter Berücksichtigung ihres Verhältnisses zur Entente und der Polizeitruppen Italiens und Frankreichs. Stand vom Januar 1921, Diss. jur. Würzburg 1921. (zeitgenössische Darstellung)
  • Emil Schuler, Die Bayerische Landespolizei 1919-1935. Kurze geschichtliche Übersicht, München 1964. (Selbstsicht)
  • Johannes Schwarze, Die bayerische Polizei und ihre historische Funktion bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit in Bayern von 1919-1933 (Miscellanea Bavarica Monacensia 72), München 1977. (z. T. mit Mängeln)

Quellen

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MInn
  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv/Abt. IV, Lapo Amt

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Gerhard Fürmetz, Bayerische Landespolizei, 1920-1935, publiziert am 04.12.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerische Landespolizei, 1920-1935 (28.03.2024)