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Bamberger Immunitätenstreit, 1430-1446

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Das Stadtgericht Bamberg und die Immunitätsbezirke im 14. Jahrhundert. (Stadtarchiv Bamberg, Kartenentwurf: Thomas Ruppenstein, Kartengrundlage aus Bernd Schimmelpfennig, Bamberg im Mittelalter, Lübeck/Hamburg 1964)
Die Bamberger Stadtbefestigung im Bereich der Inselstadt im Spätmittelalter. (Stadtarchiv Bamberg, Kartenentwurf: Thomas Ruppenstein, Kartengrundlage aus Tilman Breuer/Reinhard Gutbier, Stadt Bamberg. 5. Band: Innere Inselstadt, München 1990, S. 212.

von Caroline Göldel

Langwieriger Machtkampf zwischen Domkapitel, Bischof und Stadt um den Status der umfangreichen Immunitäten des Domkapitels und der mit dem Domkapitel verbundenen Kollegiatstifte. Der Neubau der Stadtmauer nach dem Hussiteneinfall 1430 machte es notwendig, diese umfangreichen Sonderbezirke in die Stadt zu integrieren. In der "Goldenen Bulle" von 1431 vereinigte Kaiser Sigismund (reg. 1411-1437) Stadt und Immunitäten zu einem bischöflichen Stadtgericht und gewährte der neuen Stadtgemeinde das Selbstbesteuerungsrecht. Diese Regelungen, die das Domkapitel benachteiligten, verursachten einen langen Konflikt, der teilweise auch kriegerisch ausgetragen wurde. Der Streit führte zur Absetzung bzw. vorübergehenden Entmachtung zweier Bischöfe durch das Domkapitel und mündete in innerstädtische Auseinandersetzungen zwischen den alten Stadtbürgern und den Bewohnern der Immunitäten. Langfristig gelang es jedoch, die Immunitätsgebiete teilweise in die sich ausbildende Stadtverwaltung zu integrieren. Die Immunitäten bestanden bis ins 18. Jahrhundert.

Topographie und Verfassung der Bischofsstadt Bamberg im Spätmittelalter

Die Bischofsstadt Bamberg setzte sich im Spätmittelalter aus mehreren Siedlungsgebieten zusammen. Am Fuße des Domberges zwischen den beiden Regnitzarmen erstreckte sich die Marktsiedlung, das sog. Stadtgericht. Jenseits des linken Regnitzarmes hatten sich Siedlungsgebiete um das Domstift, um die Kanonikerstifte St. Stephan, St. Jakob und das Kloster Michelsberg gebildet. Jenseits des rechten Regnitzarmes lag die Theuerstadt um das Stift St. Gangolf. Die Immunitätsgebiete um die Stifte als Gebiete eigenen Rechts ("Muntäten") behinderten ganz erheblich die Entwicklung der Stadt.

Domkapitel gegen Bischof

Interessenvertreter der einzelnen Stifte war das Domkapitel, dem die Pröpste der Nebenstifte angehörten. Das Domkapitel, das sich als Herr über die Immunitäten verstand, konnte so seine Stellung gegenüber dem Bischof als Stadtherrn ausbauen. Wiederholt waren seitens der Stadt oder des Bischofs Versuche unternommen worden, die Verhältnisse neu zu regeln. Bischof Lambert von Brunn (reg. 1374-1398) hatte sowohl eine päpstliche als auch eine kaiserliche Entscheidung über die Gleichstellung von Stadtgericht und Immunitäten respektive eine Abschaffung der Immunitäten erwirkt, was in der Praxis aber folgenlos geblieben war.

Lehren aus dem Hussitenkrieg 1430

Die Ereignisse des Hussitenkrieges, insbesondere die Brandschatzung des Jahres 1430, hatten sowohl für die Bewohner des Stadtgerichts als auch für die Immunitäten deutlich gemacht, dass ein Ausbau der Stadtbefestigung dringend geboten war. Ein Maßnahmenkatalog, den die Stadtbürger dem Domkapitel vorlegten, sah vor, Stadtgericht und Immunitäten zu einem Gericht unter einem auf Bischof, Domkapitel und Stadt vereidigten Schultheißen zu vereinigen. Dieser sollte gemeinsam mit dem Rat der Stadt alle weltlichen Angelegenheiten regeln. Die Stadt sollte befestigt und die Befestigung mit Personen besetzt werden, die auf Bischof, Domkapitel und Stadt vereidigt werden sollten. Um die Baukosten aufbringen zu können, wurde das Recht zur Steuererhebung gefordert. Eine Mehrheit im Domkapitel und Bischof Friedrich von Aufseß (reg. 1421-1432) stimmten den Vorschlägen zu, konnten sich aber gegen eine ablehnende Minderheit nicht durchsetzen.

Die "Goldene Bulle" Kaiser Sigismunds von 1431

Kaiser Sigismund (reg. 1411-1437) verfügte in der "Goldenen Bulle" vom 23. April 1431 die Vereinigung von Stadtgericht und Immunitäten zu einem Gericht, die Erbhuldigung von Bürgern und "Muntätern" gegenüber dem Bischof und gewährte der Stadt das Recht auf Ummauerung und Selbstbesteuerung. Dieser kaiserliche Spruch ging über die Forderungen der Bürger hinaus, indem keine Erbhuldigung gegenüber dem Domkapitel vorgesehen war. Das Domkapitel, das seine Position gegenüber der Stadt und gegenüber dem Bischof geschwächt sah, opponierte gegen diese Entscheidung und zwang Bischof Friedrich von Aufseß gegen Ende des Jahres 1431 zur Abdankung. Der neue Bischof Anton von Rotenhan (reg. 1432-1459) wurde in einer Wahlkapitulation verpflichtet, sich auf eigene Kosten für die Kassierung der "Goldenen Bulle" einzusetzen.

Appell des Domkapitels an das Konzil von Basel 1434

1434 wandte sich das Domkapitel an das Baseler Konzil (1431-1449). Als Anwalt der Stadt trat auf dem Konzil der Jurist und Diplomat Gregor Heimburg (gest. 1472) auf, dessen Frau aus der Bamberger Familie Lorber stammte. Obwohl sich sowohl der Kaiser als auch Papst Eugen IV. (reg. 1431-1447) für die Interessen der Stadt einsetzten, entschied das Konzil am 9. Oktober 1434 gegen die Stadt, da diese bei der Umsetzung der Bestimmungen der "Goldenen Bulle" mit Zwangsmitteln gegen Immunitätsbewohner vorgegangen war.

Interdikt über die Stadt und Erstürmung des Klosters Michelsberg 1435

Zu Beginn des Jahres 1435 verhängte der Bischof das Interdikt über die Stadt, solange der in den zurückliegenden Jahren erfolgte Ausbau der Stadtbefestigung nicht rückgängig gemacht werde. Obwohl der Papst im Mai 1435 das Interdikt aufhob, setzte sich das Domkapitel darüber hinweg. Am 23. Juni 1435 erstürmte die Bevölkerung das Kloster Michelsberg, das sich wegen der dort herrschenden Missstände als Zielscheibe anbot. Daraufhin belagerte ein Heer des Bischofs und des Stiftsadels die Stadt.

Bildung eines Stadtrates für Stadtgericht und Immunitäten 1435

Durch die Vermittlung des Markgrafen Friedrich I. von Brandenburg (reg. 1417-1440) konnte eine vorläufige Einigung zwischen Stadt und Domkapitel über die strittigen Punkte Erbhuldigung, Besteuerung und Stadtbefestigung erreicht werden. Wie dem städtischen Schriftgut zu entnehmen ist, konstituierte sich 1435 ein aus dem Stadtgericht und aus den Immunitäten besetzter Stadtrat und das Gremium der "Genannten" als erweiterter Rat.

Teilweise Revision der "Goldenen Bulle" 1437

Auf dem Reichstag zu Eger im Juli 1437 wurde die "Goldene Bulle" in Hinblick auf die Stadtbefestigung revidiert und das Recht zum Mauerbau zurückgenommen. Die weiteren Bestimmungen der "Goldenen Bulle" von 1431, nämlich Selbstbesteuerung der Stadt, Mittragen der städtischen Lasten durch die Immunitätsbewohner und Unterstellung der Immunitätsbewohner unter das Stadtgericht, blieben bestehen. Nach dem Tode Kaiser Sigismunds im Dezember 1437 wurde das Domkapitel wieder aktiv, konnte aber wenig ausrichten, da Sigismunds Kanzler Kaspar Schlick (gest. 1449), der zuvor schon die Sache der Stadt Bamberg unterstützt hatte, auch unter dem neuen König Albrecht II. (reg. 1438-1439) im Amt blieb.

Initiative des Bischofs 1440

Einigungsversuche zwischen Bischof und Stadt wurden durch das Domkapitel vereitelt. Mehrere Schiedsgerichte führten zu keinem Ergebnis. Mitte des Jahres 1440 ergriff der Bischof, der sich eine Unterstützung durch die Stadt bei der Abtragung der Schulden des Hochstifts versprach, die Initiative für eine gemeinsame Besteuerung von bischöflichen und domkapitelschen Untertanen zugunsten des Bischofs und der Stadt.

Entmachtung des Bischofs durch das Domkapitel 1442

Das Domkapitel unter der Führung der Domherren Georg von Schaumberg (1390-1475, ab 1459 Bischof) und Georg von Löwenstein (gest. 1464) nötigte daraufhin den Bischof, der weltlichen Herrschaft zu entsagen, und setzte einen Pflegschaftsrat ein. 1442 wurde der Bischof gezwungen, Bamberg zu verlassen und sich auf die bambergischen Besitzungen nach Kärnten zurückzuziehen.

Vereinigung von Stadt und Immunitäten für Besteuerung und Bauwesen 1443

Am 15. Januar 1443 schlossen Stadt und Immunitäten einen Vertrag, der die Grundlage für die künftige Behördenorganisation und die Verwaltung des städtischen Gemeinwesens bildete. Bürgermeister, Rat und Gemeinde einigten sich mit Vertretern der Immunitäten über eine gemeinsame Besteuerung von Stadtgericht und Immunitätsgebieten sowie über die Einrichtung gemeinsamer Behörden für die Finanzverwaltung und das städtische Bauwesen. Dies geschah zur selben Zeit als Kaspar Schlick, der nach dem plötzlichen Tod Albrechts II. von den Fürsten entmachtet wurde, im Januar 1443 durch Friedrich III. (reg. 1440-1493) wieder als Reichskanzler eingesetzt worden war. Auch der Bischof konnte wieder nach Bamberg zurückkehren.

Konflikt zwischen Bürgern und Gemeinde nach 1443

Unabhängig von der Immunitätenfrage standen sich innerhalb der Stadtbevölkerung rivalisierende Interessensgruppen gegenüber. Nach der Einigung zwischen Stadt und Immunitäten kam es zwischen den ratsfähigen alteingesessenen Geschlechtern, den "Bürgern", und den nicht zu dieser exklusiven Gruppe gehörenden Handwerkern, Krämern und Gewerbetreibenden, der Gemeinde ("Gemeine"), zu Konflikten. Die für die Emanzipation gegenüber Bischof und Domkapitel entscheidende Veränderung in der Stadtverfassung bedeutete für die Gemeinde eine Verschlechterung, denn durch den Eintritt wohlhabender "Muntäter" in die Schlüsselpositionen der städtischen Verwaltung geriet die Führungsschicht der Gemeinde ins Hintertreffen.

Beteiligung der Gemeinde am Stadtregiment 1444/1445

1444 erreichte die Gemeinde die Zulassung zum Zwölfergremium, dem die Steuerfestsetzung oblag, 1445 die Zulassung zum Rat. Bezeichnenderweise wurde dieser Stadtrat, der sich aus 14 Vertretern der Bürger und 14 Vertretern der Gemeinde aus Stadtgericht und Immunitäten zusammensetzte, vom Bischof bestellt. Dieser erhoffte sich von der Zulassung der "Gemeinen" zum Rat die Bereitschaft der Bevölkerung, an der Tilgung der Schulden des Hochstifts mitzuwirken.

Aufruhr 1446

1446 eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen Rat und Gemeinde. Zum einen waren Ratsherren bei der Gemeinde in Verdacht geraten, dem Bischof ohne Zustimmung der Gemeinde finanzielle Zusagen zu machen, zum anderen trugen geldpolitische Maßnahmen, deren Durchsetzung der städtischen Verwaltung oblag, zur Missstimmung in der Bevölkerung bei. Der Aufruhr von 1446 endete mit der Hinrichtung zweier Anführer aus der Gemeinde 1447.

Resümee

In der älteren Literatur ist die Auffassung zu finden, dass der Immunitätenstreit mit einer Niederlage der Stadt endete. Eine genaue Analyse der Ereignisse und vor allem das städtische Schriftgut nach 1443 zeigen hingegen, dass die Stadt die Möglichkeiten nutzte, welche die "Goldene Bulle" Kaiser Sigismunds von 1431 verbriefte. So gelang es unter Einbeziehung der Immunitätsgebiete, die städtische Selbstverwaltung vor allem hinsichtlich des Bauwesens und der Steuererhebung zu institutionalisieren und entsprechende Behörden auszubilden, die für die Zukunft Bestand hatten.

In den folgenden Jahrhunderten kam es wiederholt zu Streitigkeiten zwischen Bischof und Domkapitel um die Rechte an den Immunitäten. Eine Neuregelung bahnte sich erst Mitte des 18. Jahrhunderts an. 1750 wurden die Immunitäten aufgehoben und das gesamte Stadtgebiet einschließlich Immunitätsgebiete in vier Bezirke aufgeteilt. 1753 wurde den Pröpsten der Kollegiatstifte erneut die Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit und die Nutzung der finanziellen Erträge daraus innerhalb ihrer früheren Immunitätsgebiete zugestanden. Erst unter Bischof Franz Ludwig von Erthal (1779-1795) wurden die Immunitäten 1786 endgültig abgeschafft.

Literatur

  • Karin Dengler-Schreiber, Städtehass und Kunstsinn. Das Bamberger Domkapitel im 15. Jahrhundert und Georg von Löwenstein, in: Luitgar Göller (Hg.), 1000 Jahre Bistum Bamberg 1007-2007. Unterm Sternenmantel. Katalog der Jubiläumsausstellung, Petersberg 2007, 188-197.
  • Caroline Göldel, Der Bamberger Bauhof und dessen Schriftwesen im 15. Jahrhundert, in: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 123 (1987), 223-282.
  • Caroline Göldel, Zur Entwicklung der Bamberger Stadtverfassung im 15. Jahrhundert im Spannungsfeld Rat - Gemeinde - Klerus: [...] sie liessen davon nicht, es fielen denn ihrer zehn oder zwölf über die Klinge und verlören die Köpf' [...], in: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 135 (1999), 7-44.
  • Isolde Maierhöfer, Bambergs verfassungstopographische Entwicklung vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, in: Franz Petri (Hg.), Bischofs- und Kathedralstädte des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Städteforschung A 1), Böhlau 1976, 146-164.
  • Wilhelm Neukam, Immunitäten und Civitas in Bamberg von der Gründung des Bistums Bamberg 1007 bis zum Ausgang des Immunitätenstreites 1440, in: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 78 (1925), 189-369.
  • Alwin Reindl, Die vier Immunitäten des Domkapitels zu Bamberg. Ein Beitrag zu ihrer allgemeinen geschichtlichen Entwicklung, Verwaltung und Rechtsprechung, in: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 105 (1969), 215-509.
  • Bernd Schimmelpfennig, Bamberg im Mittelalter (Historische Studien 31), Lübeck/Hamburg 1964, 82-85.
  • Tobias Schmid, Ein Stadtkonflikt im spätmittelalterlichen Franken. Der Bamberger Immunitätenstreit von 1430-1440, Magisterarbeit Bamberg 2004.
  • Karl Schnapp, Stadtgemeinde und Kirchengemeinde in Bamberg. Vom Spätmittelalter bis zum kirchlichen Absolutismus (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bamberg 5), Bamberg 1999.
  • Matthias Thumser, Der Konflikt um die Wahlkapitulation zwischen dem Bamberger Domkapitel und Bischof Philipp von Henneberg. Quellen zum Bamberger Bistumsstreit 1481/82 (Historischer Verein für die Pflege der Geschichte des Ehemaligen Fürstbistums Bamberg. Beiheft 24), Bamberg 1990.

Quellen

  • Theodor Knochenhauer/Anton Chroust (Bearb.), Chroniken der Stadt Bamberg. 1. Band: Chronik des Bamberger Immunitätenstreites von 1430 bis 1435 mit einem Urkundenanhang (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte I. Fränkische Chroniken 1,1), Leipzig 1907.
  • Wochengeldrechnungen und Bauhofrechnungen im Stadtarchiv Bamberg.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Caroline Göldel, Bamberger Immunitätenstreit, 1430-1446, publiziert am 01.06.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bamberger_Immunitätenstreit,_1430-1446> (29.03.2024)