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Bairische Dialekte

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Karte der Dialekträume im Freistaat Bayern, mit Verwaltungsbezirken und markanten Landschaften. (aus: Renn/König, Kleiner Bayerischer Sprachatlas, 18, Karte 4)
Dialektkarte der Lautform von "geschneit" (Partizip der Vergangenheit) im Raum des Freistaats Bayern. (aus: Renn/König, Kleiner Bayerischer Sprachatlas, 82, Karte 35)

von Anthony Rowley

Gruppe der oberdeutschen Dialekte, die im altbayerisch-österreichischen Raum und einigen Exklaven gesprochen wurde und wird. Seit dem 8. Jahrhundert erscheint in Schriftzeugnissen die Volkssprache, die in mittelhochdeutscher Zeit vermehrt eine bairische Prägung erkennen lässt. Mit der Ausbreitung der ostoberdeutsch-österreichischen Schreibsprache entfernten sich die Schreiber von der gesprochenen Alltagssprache, bis ab dem 17. Jahrhundert vermehrt Texte entstanden, die bewusst im Dialekt geschrieben waren. Der bairische Dialekt gliedert sich räumlich in Südbairisch, Mittelbairisch und Nordbairisch. Er blieb gängige Umgangssprache großer Teile der Bevölkerung bis hinein in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Bairische Dialekte

Mit Bairisch wird die südöstliche Gruppe der oberdeutschen Dialekte bezeichnet. Bairische Dialekte werden bzw. wurden in Altbayern (Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz) und in Österreich (außer Vorarlberg) gesprochen, auch in Südtirol, im Sudetenland, in einem Streifen Westungarns und in Sprachinseln in Italien (sieben Gemeinden um Asiago, Provinz Vicenza; 13 Gemeinden bei Giazza, Provinz Verona; Fersental und Lusern/Luserna, Provinz Trient; Pladen/Sappada, Provinz Belluno; Tischelwang/Timau, Zahre/Sauris und das Kanaltal um Tarvis in Friaul), in Tschechien (z. B. Iglau, Budweis) und vereinzelt im Osten Europas. In den übrigen Gegenden Bayerns werden nicht bairische, sondern vor allem ostfränkische oder schwäbisch-alemannische Mundarten gesprochen.

Die bairischen Dialekte weisen bestimmte gemeinsame Charakteristika – Lautungen und Wörter – gegenüber den Nachbardialekten auf. Typisch sind die von Eberhard Kranzmayer herausgearbeiteten "Kennwörter", etwa es, enk für 'ihr, euch', kentn für '(an)zünden', Fasching für 'Fasenacht', Pfoat für 'Hemd' und andere mehr. Darunter sind einige gotische Lehnwörter (Dult, Maut, Erchtag, Irta u. ä. für 'Dienstag' sowie Pfinztag für 'Donnerstag'), denen besonderes Forschungsinteresse gilt (z. B. Wiesinger, Gotische Lehnwörter). In lautlicher Hinsicht sind unter anderem die Verdumpfung aller mittelhochdeutschen a-Laute (in 'Katze', 'Hase', 'braten') und die "helle" Aussprache des a in Wörtern wie Katzerl, laar 'leer' charakteristisch, für die Dialekte in Bayern ferner der Zwielaut -oa- für mhd. -ei- in hoas 'heiß', broad 'breit'.

Historische Entwicklung

Die Überlieferung in der Volkssprache setzt im 8. Jahrhundert ein, und zwar zunächst vor allem von Namen und Einzelwörtern. Von Anfang an heißt die aus Bayern überlieferte Volkssprache nicht "bairisch", sondern theodiscus - diutisc o. ä., also "deutsch". Der Großteil der althochdeutschen Überlieferung aus Bayern sind Glossen, entweder einzelne bairische Wörter, die am Rande lateinischer Texte notiert wurden, oder größere Sammlungen solcher volkssprachlich-lateinischer Glossierungen. Vom Ende des 8. Jahrhunderts stammen auch erste Texte wie das sog. Wessobrunner Gebet; es handelt sich vor allem um kirchliche Gebrauchstexte.

Das Bairische dieser frühen Zeit zeichnet sich durch einige konservative Züge aus (etwa Schreibungen wie coot statt guot 'gut'). Als man nach den Ungarneinfällen des 10. Jahrhunderts wieder in der Volkssprache zu schreiben begann, war der Anschluss an die Gewohnheiten der fränkischen Schreibdialekte unübersehbar. In mittelhochdeutscher Zeit wurden vermehrt auch weltliche Texte wie die Regensburger Kaiserchronik (Mitte des 12. Jahrhunderts) in bairisch geprägter Volkssprache geschrieben. Die vereinheitlichte Textgestalt der mittelhochdeutschen Klassik in den wissenschaftlichen Editionen täuscht darüber hinweg, dass Handschriftenfunde aus Bayern, wie etwa des Nibelungenliedes, ebenfalls regional geprägte Schreibungen aufweisen.

Um 1300 setzt gehäuft die Überlieferung rechtlicher und literarischer Texte in der Volkssprache ein. Hier lässt sich eine relativ einheitliche ostoberdeutsch-österreichische Schreibsprache feststellen, die von Augsburg und Nürnberg bis Wien verbreitet war (hierzu Reiffenstein, 2003). Mit der Ausbreitung des Deutschen als Schreibsprache entfernten sich vor allem geübte Schreiber in ihren Schreibgewohnheiten von der gesprochenen Alltagssprache. Texte, die bewusst im Dialekt geschrieben sind, entstanden aber vom 17. Jahrhundert an in zunehmender Zahl. Die gängige Umgangssprache der großen Bevölkerungsmehrheit blieb auch im 20. Jahrhundert der Dialekt. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bürgerte sich daneben auch die gesprochene Standardsprache mehr und mehr ein.

Außengrenzen

Im Osten und Süden grenzt das Bairische an fremde Sprachen – Tschechisch, Slowakisch, Ungarisch, Slowenisch, Rätoromanisch und Italienisch. Allerdings lag die Sprachgrenze immer jenseits der bayerischen Staatsgrenze. Im Westen grenzen die bairischen Dialekte an das Ostfränkische und das Schwäbisch-Alemannische. Grundlage für die Grenze ist im Großen und Ganzen die Westgrenze des alten bayerischen Stammesherzogtums am Lech. Im Westen Münchens erstreckt sich zum Lech hin eine breit gefächerte Übergangszone zum Ostschwäbischen; vor allem im "Windschatten" (Werner König) von Ammersee und Starnberger See sowie in den Moorlandschaften der Nachbarschaft, die ein großes Verkehrshindernis darstellten, konnten sich manche Neuerungen aus dem binnenbairischen Raum nicht durchsetzen und einige Eigenheiten herausbilden - am auffälligsten die Mehrzahlbildung des Substantivs auf -ach: Wiesach 'Wiesen'. Nördlich der Donau stellt der Nürnberger Raum zwischen Weißenburg und Pegnitz (Lkr. Bayreuth) ein bairisch-ostfränkisches Übergangsgebiet dar, dessen ursprünglich nordbairische Dialekte im Laufe der Jahrhunderte wegen der territorialen Zugehörigkeit und der Lage jenseits der Grenzen des Herzogtums zunehmend ostfränkische Eigenheiten übernahmen.

Binnengliederung

Der bairische Dialektraum wird in drei Unterräume gegliedert (Kranzmayer, Lautgeographie): Südbairisch, Mittelbairisch und Nordbairisch.

Zum mittelbairischen Raum gehört der Großteil von Oberbayern (mit dem Landkreis Aichach-Friedberg) und Niederbayern mit Donau-, Isar- und Inntal, ferner Ober- und Niederösterreich. Charakteristisch ist die "Vokalisierung" von postvokalischem -l, meist zu i: håitn 'halten', Stui für 'Stuhl'. Sie gehört zu einer Reihe von sprachlichen Neuerungen, die das Mittelbairische prägen, die aber oft nicht in die Randlagen des Nord- und Südbairischen vorgedrungen sind. Meist gelangten diese Veränderungen von Wien aus die Donau aufwärts nach Bayern. Die entsprechenden Wortschatzfälle werden eingehend von Wiesinger (Wortgeographie) besprochen.

Das Nordbairische wird in der Oberpfalz und angrenzenden Gebieten Ober- und Mittelfrankens gesprochen; im Süden reicht es bis zur Donau. Charakteristisch dafür sind die sog. gestürzten Diphtonge ej, ou für mhd. ie, uo wie in Brejf (süd- und mittelbairisch Briaf) für 'Brief' oder Bou (süd- und mittelbairisch Bua) für 'Bub'. Im Bereich des Wortschatzes ist das Nordbairische konservativ; beibehalten sind z. B. die Wörter Mädlein (Moidl u. ä.), Himbeere, Tote ('Patin') statt der mittelbairischen Neuerungen Dirndl, Hohlbeere, Godn. Auch in der Lautung fehlen Neuerungen wie die mittelbairische l-Vokalisierung.

Das Kerngebiet des ebenfalls konservativen Südbairischen liegt außerhalb Bayerns, und zwar in Tirol und Kärnten. Typisch sind hier der Erhalt der Affrikate (verbundene Verschluss- und Reibelaute) in Kchua ‘Kuh’ und die Unterscheidung von d- und t- im Wortanlaut (do 'hier', tuat '[er] tut'). Mittelbairische Ausspracheneuerungen wie die Vokalisierung von l zu i und r zu a setzen sich hier nicht durch. In Bayern werden nur im Werdenfelser Land (Lkr. Garmisch-Partenkirchen) Dialekte gesprochen, die als eindeutig südbairisch klassifiziert werden.

Zwischen den Haupträumen gibt es Übergangsgebiete: zum einen eine breite südbairisch-mittelbairische Mischzone, die das Voralpenland vom Rupertiwinkel bis zum Ammersee umfasst und am östlichen Lechrain nach Norden bis Friedberg ausgreift, zum anderen eine mittelbairisch-nordbairische Übergangszone im nördlichen Niederbayern und in der südlichen Oberpfalz.

Status des Dialekts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Von den deutschen Ländern ist der Dialekt in Bayern am lebendigsten. Hier geben die meisten Bewohner an, einen Dialekt sprechen zu können. In einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach gaben im Bundesdurchschnitt 51 % der Befragten an, die Mundart der Region sprechen zu können, in Bayern aber 72 % - bei weitem der höchste Prozentsatz. In einer Infratest-Umfrage im Jahr 1975 sagten in Altbayern sogar 81 % der Befragten aus, Dialekt zu verwenden ("ein wenig" sagten noch 14,5 %), knapp mehr als in Franken oder Schwaben. Nur 7 % gaben an, keinen Dialekt zu sprechen (Zehetner, Dialektbuch, 155f.). Männer scheinen tendenziell mehr Dialekt zu sprechen als Frauen; nach Altersgruppen wurden die Ergebnisse allerdings nicht aufgeschlüsselt. Dialekt ist außer in den Ballungszentren im Alltag weder auf bestimmte Schichten noch auf bestimmte Situationen beschränkt. Zwischen Dialekt und Schriftsprache gibt es ein Kontinuum an Sprachstufen der gesprochenen Alltagssprache, die ebenfalls mehr oder weniger stark regional geprägt sind.

Dialekt und Schule

In der Schule als Institution zur Vermittlung von Bildung stand seit Einführung der allgemeinen Schulpflicht die Vermittlung der Standardsprache in geschriebener und gesprochener Form im Vordergrund. Als verbreitete Sprache des täglichen Umgangs wird der Dialekt heute auch von der Bildungspolitik anerkannt. Die aktuellen Lehrpläne fordern dessen Berücksichtigung und das Heranführen der Schülerinnen und Schüler an die angemessene Verwendung der unterschiedlichen Sprachformen, vor allem im Rahmen des Deutschunterrichts. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus hat 2006 eine Handreichung mit Hinweisen für den Unterricht herausgegeben (Ruch, Dialekte in Bayern). Bei der Umsetzung, die in der Lehrerausbildung selten geübt wird, sind allerdings bislang Defizite festzustellen (R. Hochholzer, Konfliktfeld Dialekt). Allerdings wird der "Nutzen der inneren Mehrsprachigkeit" (Siegfried Schneider, geb. 1956, 2005-2008 bayerischer Kultusminister) nach dem guten Abschneiden gerade von Ländern mit vielen Dialektsprechern in den PISA-Studien verstärkt hervorgehoben.

Literatur und Forschung

1689 erschien Johann Ludwig Praschs (1637-1690) Glossarium Bavaricum, das erste Dialektwörterbuch einer deutschen Mundartlandschaft überhaupt. Mit der Grammatik "Die Mundarten Bayerns" (1821) sowie dem "Bayerischen Wörterbuch" (Erstauflage 1827-1837) von Johann Andreas Schmeller (1785-1852) begann die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Dialekten in Europa. Vor allem Anhänger der sog. Junggrammatischen Schule haben eine ganze Reihe von Beschreibungen bairischer Dialekte verfasst, in denen insbesondere die lautlichen Entwicklungen seit mittelhochdeutscher Zeit im Vordergrund stehen.

Übersichtliche kartographische Darstellungen bietet der "Kleine Bayerische Sprachatlas". Dieser basiert auf den Bänden der Reihe "Bayerischer Sprachatlas", eines Projekts, das von den Lehrstühlen für Deutsche Sprachwissenschaft an den Landesuniversitäten durchgeführt und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert wurde, und dessen Grundmaterial in der Dialektdatenbank BayDat der Universität Würzburg veröffentlicht wird. Schmellers "Bayerisches Wörterbuch" ist noch heute das einzige vollständige Wörterbuch für ganz Altbayern. Neu im Entstehen ist das neue "Bayerische Wörterbuch" der Kommission für Mundartforschung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Die Lautgeographie wird ausführlich bei Eberhard Kranzmayer (Lautgeographie) erörtert. Schmellers "Mundarten Bayerns" bleibt die beste Übersicht über die Formen- und Satzlehre; eine neuere Grammatik bietet Ludwig Merkle (Bairische Grammatik).

Literatur

  • Rupert Hochholzer, Konfliktfeld Dialekt, Regensburg 2004.
  • Eberhard Kranzmayer, Die bairischen Kennwörter und ihre Geschichte, Wien/Graz 1960.
  • Eberhard Kranzmayer, Historische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes, Wien/Graz 1956.
  • Ludwig Merkle, Bairische Grammatik, München 1975.
  • Ingo Reiffenstein, Aspekte einer Sprachgeschichte des Bayerisch-Österreichischen bis zum Beginn der frühen Neuzeit, in: Werner Besch u. a. (Hg.), Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 3. Band (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2), Berlin u. a. 2. Auflage 2003, 2889-2942.
  • Ingo Reiffenstein, Aspekte einer bayerischen Sprachgeschichte seit der beginnenden Neuzeit, in: Werner Besch u. a. (Hg.), Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 3. Band (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2), Berlin u. a. 2. Auflage 2003, 2942-2972.
  • Manfred Renn/Werner König, Kleiner Bayerischer Sprachatlas, München 2. Auflage 2006.
  • Peter Wiesinger, Gotische Lehnwörter im Bairischen, in: Helmut Beumann/Werner Schröder (Hg.), Frühmittelalterliche Ethnogenese im Alpenraum, Sigmaringen 1985, 153-200.
  • Peter Wiesinger, Grundzüge der großräumigen bairischen Wortgeographie, in: Horst Haider Munske u. a. (Hg.): Deutscher Wortschatz. Lexikologische Studien, Berlin/New York 1988, 555-627.
  • Ludwig Zehetner, Bairisches Deutsch. Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern, 4. überarb. u. erw. Aufl. Regensburg 2014.
  • Ludwig Zehetner, Das bairische Dialektbuch, München 1985.

Quellen

  • Hans-Werner Eroms (Hg.), Der sprechende Sprachatlas Bayerischer Wald und Böhmerwald. Version 1.0. CD-ROM, Grafenau 2007.
  • Werner König (Hg.), Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben. 13 Bände, Heidelberg 1997-2006 (Registerband 2008).
  • Hans-Werner Eroms (Hg.), Sprachatlas von Niederbayern, bisher 7 Bände, Heidelberg 2003-2008 (noch nicht abgeschlossen).
  • Robert Hinderling (Hg.), Sprachatlas von Nordostbayern, bisher 1 Band, Heidelberg 2007 (noch nicht abgeschlossen).
  • Ludwig M. Eichinger, Sprachatlas von Oberbayern, bisher 4 Bände, Heidelberg 2005-2009 (noch nicht abgeschlossen).

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Anthony Rowley, Bairische Dialekte, publiziert am 26.04.2010, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bairische_Dialekte (29.03.2024)