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Aufklärungskommando und Propaganda der Reichswehr in Bayern

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Karl Mayer (Mitte links) bei der Übernahme der Bayerischen Armee durch die Reichswehr. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-5538)
Karl Alexander von Müller. (aus: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. 2. Band, Berlin 1931, 1287)

von Othmar Plöckinger

Bezeichnung für eine Gruppe an Soldaten, die 1919 in Lehrgängen des bayerischen Reichswehrgruppenkommandos 4 in antibolschewistischer Rhetorik und Propaganda geschult wurden, um dann als mobiles "Aufklärungskommando" entsprechende "Aufklärungsarbeit" unter den Soldaten zu leisten. In Bayern fanden aufgrund der politischen Lage (Räterepublik) solche Lehrgänge erst ab Mai 1919 statt und somit etwa zwei Monate später als im Reich. Die mobilen "Aufklärungskommandos" hatten jedoch wider Erwarten keinen Erfolg. Die Propagandaabteilung des Gruppenkommandos ging daher schnell dazu über, die Absolventen der Propagandalehrgänge anderweitig einzusetzen, so u. a. für antibolschewistische Vorträge und die Versorgung der Soldaten mit Propagandamaterial. Mit dem sechsten und letzten "Aufklärungskurs" vom 27. Oktober bis 8. November 1919 wurde die antibolschewistische Propaganda reduziert. Sie erschien aufgrund der inzwischen erfolgten Beseitigung aller revolutionären Einflüsse in der Truppe nicht mehr vordringlich. Den Aufklärungskursen folgten "Staatsbürgerliche Fortbildungskurse" nach, die eher unpolitischer Natur sein sollten.

Auseinandersetzung mit den Soldatenräten um den Einfluss auf die Truppen

Nach dem Zusammenbruch Deutschlands und der Revolution Anfang November 1918 waren der Erhalt der militärischen Grundstrukturen und die Wahrung der Reichseinheit die wichtigsten Ziele der Obersten Heeresleitung (OHL) unter Feldmarschall Paul von Hindenburg (1847–1934, Reichspräsident 1925-1934) und General Wilhelm Groener (1867–1939). Ähnliche Ziele verfolgte auch die unter Führung des preußischen Kriegsministers Oberst Walther Reinhardt (1872–1930) und des Reichswehrministers Gustav Noske (1868–1946) entstehende Reichswehr.

Die zunächst als unvermeidlich erachtete Zusammenarbeit mit den Soldatenräten des Feldheeres wich nach dem Vertretertag der Feldsoldatenräte am 1. und 2. Dezember 1918 in Bad Ems (Rheinland-Pfalz) und den "Hamburger Beschlüssen" des Allgemeinen Kongresses der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands vom 16. Dezember 1918 einer offenen Bekämpfung. Erste Versuche der OHL im November und Dezember 1918, in der Truppe durch einzelne Offiziere eine antibolschewistische Propaganda aufzubauen, erwiesen sich aufgrund ihres improvisierten Charakters und des Misstrauens gegenüber Offizieren als unwirksam.

Aufbau einer antibolschewistischen Propaganda im Reich

Aufgrund der schwierigen Lage im Osten des Reiches (Auseinandersetzung mit Polen, direkte Kontakte von Truppenteilen mit dem russischen Bolschewismus) und kommunistischer Aufstände im Reich selbst verstärkte die militärische Führung die "Säuberung" der Truppen von "radikalen Elementen" und die antibolschewistische Propaganda unter den Soldaten. Nach dem Spartakusaufstand in Berlin im Januar 1919 wurde das Reichswehrgruppenkommando 1 in Berlin zum Vorreiter und richtete schließlich im April 1919 Lehrgänge ein, "um den Geist in der Truppe zu festigen". Diese Kurse bekamen Modellcharakter. Verstärkt wurden diese Bemühungen durch eine Tagung am 3. Mai 1919 im Preußischen Kriegsministerium zum Thema "Aufklärung, Fortbildung und Fürsorge im Heere", bei der Offiziere zahlreicher Truppenteile aus ganz Deutschland sich über Propagandafragen austauschten. Deutlich wurde dabei auch, dass das Militär zunehmend bestrebt war, die Propaganda in der Truppe eigenständig und ohne Einfluss der Ministerien durchzuführen, was einen ersten Schritt in Richtung "Entpolitisierung" der Reichswehr bedeutete.

Verzögerter Aufbau der Propaganda in Bayern

Bayern hinkte dieser Entwicklung hinterher, da sich erst mit der Niederschlagung der Räterepublik Anfang Mai 1919 auch hier das Reichswehrkonzept durchsetzte. Darüber hinaus galten der Kommandeur des am 11. Mai 1919 gegründeten Reichswehrgruppenkommandos 4 in München, General Arnold von Möhl (1867–1944), und sein Stabschef Major Karl Ritter von Prager (1875–1959) als in Propagandafragen wenig befähigt. Erst Mitte Mai 1919 wurde in der Nachrichtenabteilung des Gruppenkommandos 4 mit dem Aufbau der Unterabteilung "Propaganda" Ib/P unter Hauptmann Karl Mayr (1883–1945) begonnen, die neben der Truppenbetreuung und nachrichtendienstlichen Aufgaben auch die Aufklärung und Propaganda organisieren sollte. Die dieser Abteilung zur Verfügung gestellten Mittel waren beträchtlich. In den Monaten Juni und Juli 1919 wurden insgesamt 240.000 Mark aufgewendet, ergänzt durch Fonds von privater Seite. Die verschiedenen Einheiten verfügten darüber hinaus noch über weitere Finanzmittel.

Mit Gruppenbefehl vom 28. Mai 1919 wurde der organisatorische Aufbau von "Propagandadiensten" auch auf die untergeordneten Truppenteile ausgedehnt. Ziel der Propagandaarbeit war es, durch "Aufklärungskurse" (intern als "antibolschewistische Lehrgänge" bezeichnet) in Rhetorik und Propaganda geschultes Personal auszubilden, das entsprechende "Aufklärungsarbeit" unter den Soldaten leisten sollte. Am 5. Juni 1919 begann der erste von sechs Kursen, deren Inhalte sich vor allem um den Weltkrieg, innenpolitische Entwicklungen und den Bolschewismus drehten. Referenten waren unter anderen der Münchner Historiker Karl Alexander von Müller (1882–1964) und der spätere "Programmatiker" der NSDAP Gottfried Feder (DAP, NSDAP, 1883–1941). Am dritten Kurs vom 10. bis 19. Juli 1919 nahm auch Adolf Hitler (NSDAP, 1889–1945, Reichskanzler 1933-1945) teil, für den sie ein neues Tätigkeitsfeld eröffneten.

Aufklärungskommandos

Zunächst sollten die aus den Kursen hervorgegangenen Propagandisten in Gruppen von rund 25 Personen als mobile "Aufklärungskommandos" eingesetzt werden. Aufgrund der Anordnung des Gruppenkommandos 4 vom 22. Juli 1919 wurde ein erster Versuch dieser Art vom 20. bis 25. August 1919 im Kriegsheimkehrerlager Lechfeld durchgeführt, das als besonders unruhig und "bolschewistisch verseucht" galt. Das Unternehmen wurde jedoch ein Fehlschlag, da sich zum einen nur wenige Kommando-Mitglieder als tatsächlich geeignet erwiesen (eine der Ausnahmen war Adolf Hitler, der sich als Redner hervortat), zum anderen nur ein kleiner Kreis des Wachpersonals erreicht wurde und schließlich der offensichtliche Beeinflussungsversuch zu Missstimmung im Lager führte. Weitere geplante Kommandos dieser Art wurden daher nicht mehr durchgeführt.

Propaganda im Alltag

Die Propagandaabteilung verlegte sich darauf, mit engagierten Absolventen der einzelnen Kurse engen persönlichen Kontakt zu halten und sie für Vorträge in ihren eigenen und in anderen Truppenteilen zu motivieren, sie großzügig mit Propagandamaterial für die Soldaten zu versorgen und den Aufbau und die Ausstattung von Lesezimmern zu forcieren. Insgesamt wurden so rund 70 Personen als Propagandisten durch das Gruppenkommando 4 betreut.

Zu einer Vorzeigeeinheit entwickelte sich dabei das Reichswehr-Bataillon 42 in Kempten, wo vom Propagandaoffizier ein Apparat aufgebaut wurde, der nicht mehr nur in der Truppe tätig war, sondern durch zahlreiche Veranstaltungen auch Propaganda in der Bevölkerung betrieb.

Kurswechsel in der Propaganda

Mit dem sechsten und letzten "Aufklärungskurs" vom 27. Oktober bis 8. November 1919 wurde die stark antibolschewistische Propaganda reduziert. Sie erschien aufgrund der inzwischen erfolgten Beseitigung aller revolutionären Einflüsse in der Truppe nicht mehr vordringlich, zumal schon am 18. Juni 1919 mit Verordnung des Reichswehrministeriums die Zugehörigkeit zur USPD offiziell zu einem Entlassungsgrund aus der Reichswehr erklärt worden war. Ersetzt wurden die bisherigen Kurse durch "Staatsbürgerliche Fortbildungskurse", die Anfang 1920 vom Gruppenkommando 4 in München abgehalten wurden. Vorausgegangen waren ihnen bereits ähnliche Kurse des Münchner Wehrregiments Ende September 1919 und der Reichswehrbrigade 23 in Würzburg Ende Oktober 1919. Wenngleich bei diesen neuen Kursen die politischen Inhalte nicht gänzlich ausgespart wurden, so entsprach ihre verstärkte Ausrichtung auf gesellschaftliche und lebenspraktische Aspekte wie Sprachen oder Rechtschreibung der von der militärischen Führung inzwischen propagierten "Entpolitisierung der Reichswehr".

Dokumente

Literatur

  • Mark Jones, Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik, Berlin/München 2017.
  • Peter Keller, "Die Wehrmacht der Deutschen Republik ist die Reichswehr". Die deutsche Armee 1918-1921, Paderborn u. a. 2014.
  • Othmar Plöckinger, Adolf Hitler als Hörer an der Universität München im Jahr 1919. Zum Verhältnis zwischen Reichswehr und Politik, in: Elisabeth Kraus (Hg.), Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze. Teil II (Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München 4), München 2008, 13-48.
  • Othmar Plöckinger, Die antibolschewistische Propaganda der deutschen Obersten Heeresleitung und der Reichswehr 1918-1920. 1. und 2. Teil, in: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies, Vol. 4, No. 1/2010, 20-33 und Vol. 4, No. 2/2010, 50-69.
  • Othmar Plöckinger, Unter Soldaten und Agitatoren. Hitlers prägende Jahre im deutschen Militär 1918-1920, Paderborn u. a. 2013.
  • Gerhard W. Rakenius, Wilhelm Groener als Erster Generalquartiermeister. Die Politik der Obersten Heeresleitung 1918/19, Boppard 1977.
  • Kai Uwe Tapken, Die Reichswehr in Bayern von 1919 bis 1924, Hamburg 2002.

Quellen

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung IV, Kriegsarchiv, Reichswehrgruppenkommando 4.
  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung IV, Kriegsarchiv, Reichswehrbrigade 21.
  • Ernst Deuerlein (Hg.), Der Aufstieg der NSDAP in Augenzeugenberichten, München 1974.

Weiterführende Recherche

Empfohlene Zitierweise

Othmar Plöckinger, Aufklärungskommando und Propaganda der Reichswehr in Bayern, publiziert am 10.03.2015; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Aufklärungskommando_und_Propaganda_der_Reichswehr_in_Bayern (18.04.2024)