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Amtsbücher

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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von Joachim Wild

Amtsbücher, deren Wurzeln wohl in der Antike liegen, sind aus dem Früh- und Hochmittelalter in Bayern nahezu ausschließlich in der Form der Traditionsbücher überliefert. Seit der zweiten Hälfte des 12. und insbesondere seit dem 13. Jahrhundert differenzierte sich das Amtsbuchwesen parallel zur Intensivierung und zum Ausbau der Verwaltung und der Schriftlichkeit in geistlichen und weltlichen Territorien so weit aus, dass für jeden Rechtsbereich bis zum 15. Jahrhundert eine eigene Gattung entstand. Amtsbücher entwickelten sich so zum Rückgrat der herrscherlichen Kanzleien. Die Intensivierung der Schriftlichkeit und die Verfeinerung der Verwaltungsmethoden schlugen sich in der Frühen Neuzeit in einer noch breiteren und weiter aufgefächerten Amtsbuchführung nieder. Von Bedeutung sind Amtsbücher teilweise bis in das 20./21. Jahrhundert.

Begriff/ Definition

"Mittelalterliche Amtsbücher sind aus Lagen bestehende, buchförmig gebundene Kompositionen von Einträgen, die im Zuge verwaltender oder rechtserheblicher Tätigkeiten von Provenienzstellen entstanden sind, die zumindest ansatzweise institutionalisiert und mit herrscherlichen Rechten ausgestattet waren" (Pätzold, Amtsbücher, 98). Unter allen Definitionen des Begriffes Amtsbuch trifft die vorliegende von Stefan Pätzold am ehesten zu. Unter dem sperrigen und wenig sagenden Begriff Provenienzstellen sind sowohl Institutionen wie Privatpersonen zu verstehen. Statt herrscherlich wäre der Begriff herrschaftlich zu verwenden, denn fast alle Amtsbücher entstehen im Rahmen einer Ausübung von Herrschaftsrechten. Im Gegensatz zu früher wird nicht mehr bestritten, dass die Amtsbücher neben den Urkunden und den Akten eine eigene Schriftgutgattung darstellen, die in den Archiven in ungeheuer großer Zahl vertreten sind.

Ausbreitung und typologische Vielfalt im Spätmittelalter

Amtsbücher haben sicherlich eine antike Wurzel, die aber schwer zu fassen ist. Im Frühmittelalter gibt es sie in nur wenigen, elitären Exemplaren; in Bayern etwa in den frühmittelalterlichen Traditionsbüchern der Bischöfe von Freising, Regensburg, Passau und Salzburg. Im Hochmittelalter sind nur die Traditionsbücher als eigener Typus greifbar. Erst ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nahmen Zahl und Arten der Amtsbücher deutlich zu (Kopialbücher, Urbare), die ab dem 13. Jahrhundert parallel mit der rasanten Ausbreitung der Schriftlichkeit sprunghaft anstiegen.

Die Mediävistik tut sich noch sehr schwer, die Vielfalt mittelalterlicher Amtsbücher sinnvoll in Gruppen zu gliedern. Kennzeichnend für die Vielfalt ist, dass alle mittelalterlichen Rechtsbereiche nach und nach im Zuge der Verschriftlichung eigene Amtsbuchtypen entwickelten: Zur Sicherung der empfangenen Urkunden entstanden die Traditionsbücher (für die Traditionsnotizen) und die Kopialbücher (für die Siegelurkunden, Privilegien), zur Sicherung des Urkundenauslaufs die Urkundenauslaufregister; dasselbe wiederholte sich später (15. Jahrhundert) für die Schreiben in politischen oder rechtlichen Anliegen (Missivenbücher). Die Grundherrschaft entwickelte die Urbarbücher zur Sicherung des Grundbesitzes und der daraus fließenden Abgaben der Grundholden. Mit zeitlicher Verzögerung folgten Stift- oder Gültbücher (Hebe-, Zinsregister) zur jährlichen Erfassung der tatsächlich gereichten Abgaben der Grundholden. Das Lehenwesen bildete die Lehenbücher aus, die im Grunde Protokollbücher der Belehnungsvorgänge waren. In der Rechtssetzung entstanden zuerst die Rechtsspiegel, dann die Landrechte (1346 das Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern [reg. 1314-1347, Kaiser seit 1328] für sein Herzogtum Oberbayern). Eine Sonderform sind die Achtbücher (Nennung der Geächteten bzw. Aufhebung der Acht). In der geistlichen Gerichtsbarkeit (Offizialatsgerichte der Bischöfe) ist zumindest für das 15. Jahrhundert schon eine dichte Protokollüberlieferung vorhanden (Freising, Augsburg). Bei Klöstern, Kollegiatsstiften und Domkapiteln entstanden im Zuge der breit gefächerten liturgischen Aufgaben Nekrologe (zum Totengedenken am Todestag) und Anniversare (zur Abhaltung eines gestifteten Jahrtags am festgesetzten Tag). Die Ausübung der Landesverwaltung führte zu Steuerbüchern (Einhebung der Steuer als wichtigstes Recht der Landeshoheit), dann zu Feuerstättenregistern (Anfänge der statistischen Erfassung aller Landesuntertanen). Die Musterungsbücher benennen die zu den Landfahnen abgestellten Untertanen und deren Bewaffnung. Die Landtafeln beschreiben in immer wieder aktualisierten Bänden die zur Teilnahme an der Landschaft (Landstände) Berechtigten (Adel, privilegierte Geistlichkeit, Städte und Märkte).

Das Rechnungswesen als eine typische Querschnittaufgabe führte zu Rechnungsbüchern unterschiedlichster Ausprägung. Dazu zählten die jährlichen Abrechnungen der Amtleute ebenso wie die Einnahmen-Aufstellungen der Mautner und Zöllner oder die Ausgaben-Rechnungen der Bauleute. Im eigentlich privaten Bereich muss bei den Kaufleuten, Händlern und Handwerkern das Rechnungswesen mit Geschäftsbüchern unterschiedlichster Art sehr früh und überaus weit verbreitet gewesen sein, auch wenn die heutige Überlieferung nur marginal zu nennen ist. Bei den Städten und Märkten hatte sich im Mittelalter eine besondere Amtsbuchform, das Stadtbuch, entwickelt. Dieses ist eine Mischhandschrift, in der die wesentlichen rechtserheblichen Vorgänge der Ratsherrschaft niedergeschrieben wurden (Ratssitzungen, Stadtsteuer, Bürgeraufnahmen, Stadtverweisungen u. v. a.).

Funktion

Parallel zur Ausbreitung der Siegelurkunde (Beweissicherung bei wichtigen Rechtsgeschäften) entwickelten sich die verschiedenen Amtsbüchertypen. Diese waren die eigentlichen Grundlagen der Verwaltung und bildeten deshalb das Rückgrat der Kanzleien. Dort standen sie griffbereit zur Verfügung und waren im 15. Jahrhundert bereits zu großen Reihen angewachsen, die ortstypisch mit einem eigenen Namen versehen waren: in Würzburg die libri diversarum formarum (überwiegend Kopialbücher), in Amberg die Amberger Registraturbücher, in München die libri privilegiorum, in Neuburg die Neuburger Kopialbücher, deren älterer Teil aus der Landshuter Herzogskanzlei übernommen wurde. Die aktuelle Verwaltung griff nur bei Beweisnotwendigkeit auf die Urkunden zurück; im Tagesgeschäft zog man die Amtsbücher heran.

Entwicklung in der Frühen Neuzeit

Grundsätzlich sind die verschiedenen Amtsbuchtypen des Spätmittelalters in der Frühen Neuzeit fortgeführt worden, weil auch die rechtlichen Aufgaben unvermindert fortbestanden. Die Intensivierung der Schriftlichkeit und die Verfeinerung der Verwaltungsmethoden schlugen sich in einer breiteren und weiter aufgefächerten Amtsbuchführung nieder. Die Ausbildung differenzierter, kollegial verfasster Zentralbehörden (auch Domkapitel, Universitätsgremien u. a.) machte eine intensive Protokollführung der Ratsgremien notwendig. Anhand der Protokolle lässt sich die Tätigkeit mancher Behörden Tag für Tag verfolgen. Im Gerichtswesen entstehen bei allen Landgerichten und Hofmarksgerichten Protokollserien für die Straf- und streitige Gerichtsbarkeit (Gerichtsbücher, Verhörprotokolle) und für die sog. freiwillige Gerichtsbarkeit (Briefprotokolle), die ihrerseits wieder in Unterserien aufgespalten werden können (Nachlassinventare, Heiratsprotokolle usw.). Vor allem die relativ gut überlieferten Briefprotokolle bieten in unglaublicher Fülle alle beurkundungspflichtigen Rechtsgeschäfte der Untertanen, die sie von ihrer zuständigen Gerichtsobrigkeit beurkunden und protokollieren lassen mussten (Heirat, Testament, Hofübergabe, Kauf usw.). Die bislang weitgehend unschriftliche Leibherrschaft entfaltete erst am Übergang zur Frühen Neuzeit eigene Amtsbücher zur Erfassung der Leibeigenen (Leibzinser) und deren jährlicher Abgaben bzw. ihres Loskaufs aus der Leibeigenschaft. Die Scharwerksleistungen der Gerichtsuntertanen, die im 17. Jahrhundert zu Geld veranschlagt wurden, erfasste man in den Scharwerks- und Hofanlagsbüchern. Auch die Steuerbücher wurden immer mehr verfeinert und enthielten nun detailliertere Angaben.

Amtsbücher seit dem 19. Jahrhundert

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts bzw. seit 1848 wurden die Leibherrschaft, das Lehenwesen und die Grundherrschaft aufgehoben, und damit endete auch die Führung der entsprechenden Amtsbücher. Doch die Neuerungen des modernen Staates schufen neue Amtsbüchertypen: Die neue Steuergesetzgebung führte zu gewaltigen Serien von Grund- und Häusersteuerkatastern, das neue Rechtsinstitut der Hypothek erforderte die Anlage von Hypothekenbüchern und das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 zog die Einführung des Grundbuches nach sich. Diese neuen Amtsbücherserien stellen an Zahl die Amtsbücherreihen der vorausgehenden Jahrhunderte weit in den Schatten. Die Briefprotokolle der freiwilligen Gerichtsbarkeit wurden im 19. Jahrhundert zunächst unverändert weitergeführt; erst die Einführung des modernen Notariats ab 1862 verlagerte die bisherige gerichtliche Protokollierung ganz auf die Notariatsurkunde und die Urkundenrolle. Die dem Amtsbuch beigemessene unbeschränkte Beweiskraft machte das Amtsbuch zu einem auch weiterhin unverzichtbaren Rechts- und Verwaltungsinstrument. Beispielsweise legten die Bergbehörden Bergbücher an, die Gefängnisse Gefangenenbücher, die Polizeidienststellen Anzeigenbücher und sogar der Staat des "Dritten Reichs" schuf in den Erbhöferollen ein besonders ideologietypisches Amtsbuch, das für die Ewigkeit gedacht war.

Die schon seit Jahrhunderten bei allen Staatsbehörden geführten Rechnungen waren inzwischen zu gewaltigen Serien angewachsen; aus Raumnot wurden deshalb gerade bei den Rechnungen Kassationen großen Ausmaßes durchgeführt (bei den staatlichen Archiven seit 1830), die zu überaus bedauerlichen Informationsverlusten führten.

Literatur

  • Josef Hartmann, Amtsbücher, in: Friedrich Beck/Eckart Henning (Hg.), Die archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung, Weimar 1994, 86-98.
  • Reinhard Heydenreuter, Gerichts- und Amtsprotokolle in Altbayern. Zur Entwicklung des gerichts- und grundherrlichen Amtswesens, in: Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern 25/26 (1979/80) , 11-46.
  • Stefan Pätzold, Amtsbücher des Mittealters. Überlegungen zum Stand ihrer Erforschung, in: Archivalische Zeitschrift 81 (1998), 87-111.
  • Hans Patze, Neue Typen des Geschäftsgutes im 14. Jahrhundert, in: Hans Patze (Hg.), Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen 13/1), Sigmaringen 1970, 9-64.
  • Oswald Redlich, Die Privaturkunden des Mittelalters (Handbuch der Mittelalterlichen und Neueren Geschichte. Abt. IV: Hilfswissenschaften und Altertümer. Urkundenlehre III), München/Berlin 1911.
  • Werner Schultheiß, Über spätmittelalterliche Gerichtsbücher aus Bayern und Franken. Beiträge zum Urkundenwesen und Gerichtsverfahren Süddeutschlands, in: Klaus Obermayer/Hans Rudolf Hagemann (Hg.), Festschrift für Hans Liermann zum 70. Geburtstag (Erlanger Forschungen A 16), Erlangen 1964, 265-296.
  • Johannes Wetzel, Die Urbare der bayerischen Klöster und Hochstifte vom Anfang des 11. Jahrhunderts bis 1350, München Diss. masch. 1995.
  • Joachim Wild, Beiträge zur Registerführung der bayerischen Klöster und Hochstifte im Mittelalter (Münchener Historische Studien. Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften 12), Kallmünz 1973.
  • Joachim Wild, Die Fürstenkanzlei des Mittelalters. Anfänge weltlicher und geistlicher Zentralverwaltung in Bayern (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 16), München 1983.

Quellen

  • Winfried Dotzauer, Quellenkunde zur deutschen Geschichte im Spätmittelalter 1350-1500, Darmstadt 1996.
  • Werner Schultheiß, Acht-, Verbots- und Fehdebücher Nürnbergs von 1285-1400 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Nürnberg 2), Nürnberg 1959/1960.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel

Amtsbuch, Literalien, Steuerbücher, Gerichtsbücher, Stadtbücher, Stadtbuch, Gerichtsbuch

Empfohlene Zitierweise

Joachim Wild, Amtsbücher, publiziert am 28.01.2014; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Amtsbücher (19.04.2024)