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AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Kampagnen- Logo "Gib Aids keine Chance" von 1987. (© Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln)

von Johannes Georg Gostomzyk

Die Immunschwächekrankheit AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) war lange eine der gefürchtetsten Infektionskrankheiten der jüngeren Menschheitsgeschichte. Seit ihrem erstmaligen Auftreten in den USA in den 1980er Jahren starben weltweit über 35 Millionen Menschen an AIDS oder damit in Zusammenhang stehenden Folgeerkrankungen. AIDS ist nicht heilbar, aber durch Prävention vermeidbar. Auch in Bayern sind seit den 1980er Jahren Menschen von AIDS betroffen, dementsprechend bildeten sich AIDS-Hilfen in den großen Städten mit den Zielen Selbsthilfe und Solidarität in der Gesellschaft. Auf der politischen Ebene sorgte die Krankheit anfänglich für Furore und Aktivitäten, zunächst mit Tendenzen zu Stigmatisierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung Betroffener. Seite Ende der 1990er hat die HIV-Infektion den Status einer chronischen Erkrankung, deren Verlauf durch wirksame Therapien kontrollierbar geworden ist. Trotz Aufklärungskampagnen und in der Bevölkerung weit verbreitetem Wissen über das Wesen der Krankheit werden in Bayern jährlich noch immer mehrere hundert Neuinfektionen mit dem AIDS-Erreger HIV bekannt.

Aufkommen

Die erworbene Immunschwäche AIDS wurde erstmals in den USA (San Francisco, New York) 1981 beobachtet. Erkrankt waren Männer, die Sex mit Männern (MSM) hatten, aber auch intravenös Drogenabhängige. Die Bezeichnung "Schwulenseuche AIDS" stigmatisierte die Krankheit und diskriminierte die Erkrankten. 1983 wurde das Human Immun Deficiency Virus (HI-Virus) isoliert und als Erreger von AIDS identifiziert. Die mit hoher Sterblichkeit verlaufende Infektionskrankheit AIDS zerstörte den von der naturwissenschaftlichen Medizin gepflegten Mythos vom Sieg über die Infektionskrankheiten.

In den ersten Jahren nach Ausbruch der Epidemie löste AIDS in der Bevölkerung Ängste aus: Die Infektionswege waren unbekannt; wirksame Medikamente oder einen Impfstoff gab es nicht. Als einzig kausal wirksamer Schutz erwies sich die Prävention, d.h. die Vermeidung der Infektion. Diese Tatsache fokussierte die mit religiös-moralischen Kategorien angereicherte gesundheitspolitische Diskussion auf vermutete infektionsriskante Milieus bzw. Verhaltensweisen wie Homosexualität, Promiskuität, Prostitution, intravenösem Drogenkonsum und auf tabuisierte Themen wie Sexualverhalten, Stigmatisierung und Sterben.

Reaktion von Behörden und Zivilgesellschaft

Deutlich wurde, AIDS geht alle an. Infektionskrankheiten alarmieren den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Von seiner Seite wurde zunächst auf Grundlage des Bundesseuchengesetzes auf Ermittlungen, Meldepflicht usw. gesetzt. Eine Expertenkommission des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit kam bereits im Oktober 1983 zu dem Schluss, eine Meldepflicht für AIDS sei nicht erforderlich; vordringlich seien Aufklärung und Forschung. In West-Berlin wurde im selben Jahr die Deutsche AIDS-Hilfe gegründet, orientiert an emanzipatorischen Bestrebungen der Bürgerrechtsbewegung, zunächst als Selbsthilfegruppe homosexueller Männer für sexuelle Gleichberechtigung, gegen Stigmatisierung und Exklusion sog. Randgruppen. Die erste regionale AIDS-Hilfe wurde 1984 in München gegründet; es folgten Nürnberg 1985, Augsburg 1986 und Regensburg 1987. Vereinszwecke sind Aufklärung, sexuelle Gleichberechtigung, Hilfe für AIDS-Kranke. Das Gesundheitsamt der Stadt München richtete eine anonyme AIDS-Beratungsstelle ein. Seit 1985 stehen Testverfahren für den Nachweis von Antikörpern im Blut gegen das HI-Virus zur Verfügung. Im Oktober 1985 gab die 54. Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder (GMK) folgende Erklärung: Die GMK sieht in gezielter Aufklärung und Beratung die besten Chancen, der Ausbreitung der Krankheit entgegenzuwirken. Dagegen ist die Einführung einer gesetzlichen Meldepflicht als Voraussetzung für seuchenpolizeiliche Maßnahmen nach heutigem Erkenntnisstand abzulehnen, da bei Abwägung aller Gesichtspunkte von einer solchen Regelung mehr Schaden als Nutzen zu erwarten wäre.

Strategien zur Eindämmung

Peter Gauweiler auf der Titelseite des Spiegels (Ausgabe Nr.22 vom 25.5.1987). (Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingosltadt)

Unterdrückung

Der 1982-1986 amtierende Kreisverwaltungsreferent der Stadt München Peter Gauweiler (CSU, geb. 1949) erhob 1986 - neben Aufklärung und individueller Hilfe (Beratung) - die Forderung nach Reihenuntersuchungen für Angehörige von Risikogruppen (Homosexuelle, intravenöse Drogenabhängige, Prostituierte, Migranten), Zwangstestungen bei HIV-Infektionsverdacht und Meldepflicht für HIV-Infizierte. Die Abgabe von Einmalspritzen und ein Substitutionsprogramm mit Methadon als Maßnahme gegen die Ausbreitung des HI-Virus unter Drogenkonsumenten lehnte er strikt ab.

Aufklärung

Als Alternative zu dieser seuchenmedizinisch begründeten Such- und Kontrollstrategie mit Einschränkung individueller Freiheitsrechte vertraten insbesondere die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und die AIDS-Hilfen für die chronisch verlaufende HIV-Infektion ein neues, unerprobtes, ungesichertes, aber sozialwissenschaftlich begründetes Konzept einer gesellschaftlichen Lernstrategie mit den Elementen Aufklärung und Eigenverantwortung der Bürger, Freiwilligkeit und Anonymität bei einschlägigen medizinischen Untersuchungen sowie Solidarität mit Betroffenen. Zu dieser Zeit waren in der Bundesrepublik 449 AIDS-Krankheitsfälle registriert.

Bayerisches Vorgehen

Bayern schloss sich dem Vorgehen der anderen Bundesländer nicht an, sondern beschritt einen eigenen Weg in der AIDS-Prävention. Gauweiler wurde Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium des Innern (1986–1989) und war damit zuständig für den Vollzug des Bundesseuchengesetzes. Er entwickelte ein geschlossenes Gesamtkonzept staatlicher Maßnahmen. Am 25. Februar 1987 beschloss die Staatsregierung ihren Maßnahmenkatalog zur Verhütung und Bekämpfung der Immunschwäche AIDS, der auf Bundesebene von Anfang an umstritten war. Die Sondersitzung der GMK am 27. März 1987 in Bonn kam zu einem Mehrheitsbeschluss zu Problemen bei der Bekämpfung von AIDS. Eine abgelehnte Beschlussvorlage der Bayerischen Staatsregierung sah als Grundlage für eine sinnvolle Bekämpfung von AIDS Aufklärung, Beratung, Betreuung von HIV-Infizierten und AIDS-Kranken sowie seuchenrechtliche Maßnahmen auf der Grundlage geltenden Rechts vor. Gegen die Stimmen des Freistaates Bayern kam die GMK zu einer anderen Entschließung. Danach gehen Aufklärung und psychosoziale Beratung vor seuchenrechtlichen Maßnahmen, AIDS-Infizierte dürfen nicht ausgegrenzt werden, HIV-Test-Angebote können freiwillig und auf Wunsch anonym genutzt werden. "Die Gesundheitsminister und Senatoren der Länder gehen davon aus, dass von freiwillig zu nutzenden Angeboten der Testung, Beratung und sozialen Hilfen der verschiedensten Art eine größere Wirksamkeit bei der Eindämmung der Erkrankung zu erwarten ist, als durch die Einführung einer seuchenrechtlichen Meldepflicht" (Mehrheitsbeschluss der Sondersitzung der Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder am 27.3.1987 in Bonn – abweichendes Votum des Freistaates Bayern, AIDS-Forschung, 6 [1987], 341-345). Im April 1987 kam es in München zu einer Großdemonstration gegen den Maßnahmenkatalog mit bundesweiter Unterstützung und großem Medienecho. Aus Vertretern der Medizinischen Fakultäten und der Max Planck-Institute formierte sich ein Münchner Zentrum für klinische AIDS-Forschung. Trotz GMK-Beschluss und Großdemonstration blieb die bayerische Regierung auf ihrem Sonderweg. Offensichtlich waren zu dieser Zeit Ungewissheit, Stimmungen und Vorurteile stärker als die Bereitschaft zu einer rationalen Bewältigung auf der Basis der sich abzeichnenden epidemiologischen Erkenntnisse über Infektionsmechanismen und Ausbreitung des HIV-Virus.

Behördliches Vorgehen in Bayern

Die aus der Inzidenz, also der Zahl der bekannt gewordenen HIV-Infektionen seit Beginn der Epidemie 1982 bis 1985 prognostizierten jährlichen Verdopplungsraten der HIV-Neuinfektion waren nicht eingetreten. Dennoch erfolgte am 19. Mai 1987 die Bekanntmachung "AIDS; Vollzug des Seuchenrechts, des Ausländerrechts und des Polizeirechts" des Bayerischen Staatsministeriums des Innern. AIDS wurde definiert als "eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 1 BSeuchG". Die Begriffe "krank", "krankheitsverdächtig", "ansteckungsverdächtig", "Ausscheider" und "ausscheidungsverdächtig" wurden in Bezug auf AIDS erläutert. "Die Voraussetzungen eines Ansteckungsverdachtes sind grundsätzlich erfüllt bei 2 männlichen und weiblichen Prostituierten" und bei "intravenös Drogensüchtigen (Fixern)". Die Gesundheitsämter können bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Vorladungen und Blutentnahmen anordnen und bei Weigerung auf dem Wege des Verwaltungszwanges auch unter Inanspruchnahme polizeilicher Vollzugshilfe durchsetzen. HIV-infizierte Personen werden von den Gesundheitsämtern auf Beratungs- und Betreuungsangebote hingewiesen. Werden Verhaltensregeln von den Betroffenen nicht freiwillig eingehalten, werden Beobachtung (§ 36) und Maßnahmen (§ 37) angeordnet. Infizierte sind darüber zu belehren, dass die schuldhafte (vorsätzliche oder fahrlässige) Weitergabe des HI-Virus insbesondere nach § 223ff. StGB ("Körperverletzung") strafbar ist.

Ausländerrecht

Ist ein Ausländer HIV-infiziert, ist die Aufenthaltserlaubnis zu versagen. Bestimmte Ausnahmen sind möglich. Bei HIV-infizierten Ausländern, denen die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden kann, oder die bereits im Besitz dieser Aufenthaltserlaubnis sind, ist unverzüglich die Aufenthaltsbeendigung zu prüfen. Bei Prostituierten und intravenös Drogensüchtigen ist in jedem Fall - auch, wenn die betroffene Person nicht HIV-infiziert ist - die Aufenthaltsbeendigung zu prüfen.

Polizeirecht

Die Ausführungen zum Polizeirecht befassen sich mit der Zusammenarbeit der Polizei mit den Gesundheitsämtern bezüglich Prostitution und Orten, an denen der Prostitution nachgegangen wird, sowie mit Verstößen gegen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes und der Strafbarkeit nach §§ 223 ff. StGB.

Reaktionen auf den bayerischen Maßnahmenkatalog

Demonstration gegen den "Maßnahmenkatalog zur Verhütung und Bekämpfung der Immunschwäche AIDS" am 24. Oktober 1987 am Odeonsplatz in München. (Foto: Horst Middelhoff)

Am 20. Mai 1987, also einen Tag nach der Bekanntmachung des Maßnahmenkataloges durch das Bayerische Staatsministerium des Innern, fasste der erweiterte Bundesvorstand der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes dazu eine Entschließung: "Der Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes hat mit Betroffenheit und Befremden von den Maßnahmen der Bayerischen Staatsregierung zur Bekämpfung der Immunschwäche AIDS Kenntnis genommen [...] nach Ansicht des Bundesverbandes [...] ist der Maßnahmenkatalog der Bayerischen Staatsregierung derzeit ungeeignet und schädlich. Die Regelung führt zur Ausgrenzung, die erfolgreiche Beratungstätigkeit der Gesundheitsämter wird nachhaltig gestört, vermutlich zerstört [...] die Ärzte des ÖGD in Bayern werden damit zu augenblicklich nicht sinnvollen gesundheitspolizeilichen Maßnahmen veranlasst, die sie vielfach in Gewissenskonflikte in Hinblick auf ihr ärztliches Ethos und in Loyalitätskonflikte zu ihren Dienstherren bringen können [...] die Bundesländer werden dringend gebeten, dem verfehlten Maßnahmenkatalog der Bayerischen Staatsregierung nicht zu folgen." Unterzeichnet wurde die Entschließung vom damaligen Vorsitzenden des Bundesverbandes, Peter Schuch (1931-2022), Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes in Erlangen.

Auf Anweisung des Bayerischen Innenministeriums wurden ab Juni 1987 Beamtenanwärter im Rahmen ihrer Einstellungsuntersuchung verpflichtet, den Nachweis über einen HIV-Test zu erbringen. Die Stadt Nürnberg weigerte sich, die Anweisung zum AIDS-Test für kommunale Beamtenanwärter zu vollziehen und klagte dagegen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied mit Beschluss vom 9. November 1988 (Nr. 3 CS 88.01854): An der Rechtmäßigkeit einer rechtsaufsichtlichen Weisung des Staates gegenüber einem kommunalen Dienstherrn, jeden Beamtenanwärter bei der Einstellungsuntersuchung einem HIV-Test zu unterziehen, bestehen erhebliche Zweifel, so dass ein öffentliches Interesse an deren sofortiger Vollziehung nicht gegeben ist. Nach diesem Beschluss setzten auch die Kommunalverwaltungen in München und Augsburg die Testungen in ihrem Zuständigkeitsbereich aus, aber erst im November 1995 beschloss der Bayerische Ministerrat, den obligatorischen HIV-Test bei Beamtenanwärtern des Freistaates nicht mehr durchführen zu lassen. Die GMK hatte sich bereits 1988 dahingehend geäußert, dass eine HIV-Infektion ohne Krankheitssymptomatik einer - wenn auch auf Lebenszeit angelegten - Verbeamtung nicht entgegensteht.

Neuausrichtung der bayerischen AIDS-Politik

Die bayerische AIDS-Politik bestand aus zwei Komponenten: der vom Innenministerium vertretenen und der des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, auf dessen Vorschlag im Juli 1987 eine "Zentrale AIDS-Informationsstelle" (ZAI) in der Landeszentrale für Gesundheitsbildung in Bayern e. V. (LZG) eingerichtet und gefördert wurde. Aufgabe war es, die Bevölkerung über wirksame HIV-Primärprävention (Sexualaufklärung, Infektionsschutz durch Kondome - "Safer sex") zu informieren und für Solidarität mit Betroffenen zu werben. Weiterhin wurde der Aufbau eines Netzwerkes aus elf psychosozialen Beratungsstellen beschlossen. Bei der Münchner AIDS-Hilfe wurde 1987 mit staatlicher Förderung eine AIDS-Beratungsstelle errichtet. Am damaligen Bundesgesundheitsamt in Berlin wurde 1988 ein interdisziplinäres AIDS-Zentrum eingerichtet; zudem wurde eine bundesweite anonymisierte Laborberichtspflicht für HIV-Befunde eingeführt. Im gleichen Jahr wurde das erste Medikament gegen die Krankheit (Azidothymidin, Retrovir®) zugelassen.

Allerdings musste die Arbeit des ZAI nach Wegfall der Förderung 1990 zunächst beendet werden. Als Staatssekretär im Innenministerium übernahm Günther Beckstein (CSU, geb. 1943) die Zuständigkeit für den Vollzug des Seuchenrechts. Gegenüber der Presse erklärte er im Mai 1989, es gebe bisher keine nachhaltigen Beweise dafür, dass die Aufklärungskampagne AIDS zu einer Änderung des Sexualverhaltens der Bevölkerung geführt habe. Die Bayerische Staatsregierung setze deshalb bei der Bekämpfung der Immunschwächekrankheit weiterhin auf die beiden Säulen Aufklärung und Anwendung des Seuchenrechts. Er rechtfertigte den "bayerischen Weg", bei Angehörigen von Risikogruppen (Prostituierte, intravenös Drogenabhängige) notfalls auch gegen deren Willen einen HIV-Test zu erzwingen.

Seit Inkrafttreten des Bayerischen Maßnahmenkataloges im Mai 1987 sind bis Ende März 1989 4.481 Personen "zur Klärung eines Ansteckungsverdachtes" in das Gesundheitsamt vorgeladen worden. Lediglich in 111 Fällen musste diese Anordnung mit Zwang durchgeführt werden. Von den 4.481 Vorgeladenen wurden schließlich bei 1.773 Personen Blutentnahmen durchgeführt, 15 Mal gegen den Willen der Betroffenen. Dabei wurde 63 Mal (3,5 % der Fälle) eine HIV-Infektion festgestellt. Dies zeige, dass es eindeutig richtig sei, bei bestimmten Problemgruppen den Test letztlich zu erzwingen, erklärte Beckstein. Behördliche Maßnahmen wurden 54 Mal angeordnet. Rund 75.000 Menschen haben sich im Jahr 1988 bei den Gesundheitsämtern und bei niedergelassenen Ärzten freiwillig einem AIDS-Test unterzogen; dabei wurde in rund 0,3 % der Fälle eine Infektion festgestellt. 1987 waren es bei knapp 65.000 Tests noch 0,55 %. Die hohe Zahl der freiwilligen Tests zeige, dass "ein Stück Normalität in die Diskussion um die Krankheit AIDS zurückgekehrt" sei (SZ, 20./21.5.1989).

Ende des bayerischen Sonderweges

Für die Zeit vom 1. Januar 1982 bis Ende Januar 1991 wurden in der Bundesrepublik 954 Menschen mit AIDS-Erkrankung gemeldet; 408 Patienten waren bereits verstorben. Die AIDS-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages sprach sich 1990 gegen Meldepflicht, Zwangs- und Reihentests sowie gegen die Aufnahme von AIDS in das Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten (GeschlKrG) aus, obwohl es sich ganz wesentlich um eine sexuell übertragbare Krankheit handelt. Gefordert wurde auch die Streichung des Tatbestandes Homosexualität aus dem Strafrecht. Der § 175 StGB ("Homosexuelle Handlungen") wurde 1994 ersatzlos gestrichen. Das GeschlKrG trat 2001 außer Kraft. Damit entfiel auch die Ermächtigung für verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen für Prostituierte. An deren Stelle traten freiwillig wahrzunehmende Hilfsangebote der Gesundheitsämter und niedergelassener Ärzte.

Das GeschlKrG und das Bundesseuchengesetz (BSeuchG) wurden durch das Infektionsschutzgesetz (IfSG 20.07.2000) ersetzt. Mit der Transformation wesentlicher Akzente der bayerischen AIDS-Politik Mitte der 1990er Jahre endete der bayerische Sonderweg in der AIDS-Politik. Detailliertes Wissen über den Krankheitsverlauf, insbesondere über die durchschnittlich 10-15 Jahre dauernde, asymptomatisch verlaufende Phase vor der beginnenden Immunschwäche und die Akzeptanz der Erfahrungen verdeutlichte, dass das Sexualverhalten als wichtigster Übertragungsweg für HIV staatlich nicht kontrollierbar sei. Das eigenverantwortliche Handeln aufgeklärter Bürger ist von entscheidender Bedeutung in der HIV-Prävention und hatte sich durchgesetzt.

Moderne bayerische AIDS-Politik

Das Bayerische Gesundheitsministerium formulierte 1996 vier Schwerpunkte: Aufklärung und Prävention in der Allgemeinbevölkerung, Beratung und Betreuung Betroffener, medizinische Forschung sowie Erstellung eines angemessenen Ordnungsrahmens. Dazu wurde die Kampagne "Hand in Hand. Gegen AIDS" gestartet. Information über Prävention, die Krankheit und der Appell zur Solidarität mit betroffenen Menschen stehen seither im Mittelpunkt. Die ZAI wurde 1997 in der LZG wiederbelebt und erfüllt seitdem Aufgaben der AIDS-Prävention in Kooperation mit den AIDS-Beratungsstellen, der AIDS-Hilfe und der BZgA.

Das 2002 enthüllte Aids-Memorial auf dem Sendlinger Tor-Platz in München. (Foto: Daniel Rittenauer)

Seit den späten 1990er Jahren stehen zunehmend wirksamere, allerdings mit Nebenwirkungen belastete Medikamente gegen AIDS zur Verfügung. Durch die antiretrovirale Therapie (ART) geht die Zahl jener HIV-Infizierter zurück, bei denen die Krankheit AIDS ausbricht. Die Zahl der HIV-Erstdiagnosen in Deutschland liegt nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) seit 2007 bei knapp 3.000 pro Jahr, allerdings mit leicht steigender Tendenz in der Gruppe der MSM seit etwa 2002, was auf ein nachlassendes Schutzverhalten schließen lässt.

In der Münchner anonymen AIDS-Beratung werden seit 1996 jährlich ca. 6.000 HIV-Tests durchgeführt. 2003 wurden dort 137 HIV-Neuinfektionen gemeldet. Zusätzliche Probleme bereiten Co-Infektionen mit Hepatitis B und C sowie mit STD (sexually transmitted diseases).

Seit 2018 können Ärzte Leitlinien konform eine Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) verschreiben. PrEP ist eine Safer-Sex-Methode, bei der HIV-Negative ein HIV-Medikament einnehmen, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen. Seit 2019 übernehmen gesetzliche Krankenkassen die Kosten für die PrEP, wenn eine ärztliche Verschreibung über ein erhöhtes "substantielles" HIV-Risiko vorliegt. 2022 hat das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) aktualisierte Leitlinien zur Therapie und Prävention vorgelegt.

Das Bild der HIV-Infektion hat sich seit ihrem erstmaligen Auftreten in den 1980er Jahren stark verändert. Wenngleich keine Heilung gefunden werden konnte, lassen sich HIV-Infektionen in reichen Ländern lebenslang kontrollieren. Die Senkung der Viruslast im Blut unter Medikation mindert das Übertragungsrisiko. Eine Eradikation des HIV in der menschlichen Population gelang zwar nicht, aber AIDS verlor im Laufe der Zeit bei Menschen mit AIDS-riskantem Verhalten seine Lebensbedrohlichkeit, was die Prävention erschwert.

Die Entwicklung von HIV-Infektionen in Bayern seit 1980

Nach Schätzungen des RKI infizierten sich 2021 ca. 200 Menschen in Bayern neu mit dem HI-Virus. Ende 2021 lebten rund 1200 Menschen in Bayern mit HIV, in Deutschland waren es rund 90.800.

Nach einer Erhebung des IFT im Auftrag des LGL (2022) sei der "Wissensstand in der Bevölkerung zum Thema HIV/AIDS" oft nur oberflächlich bzw. veraltet. Das Themenspektrum "STI und sexuelle Gesundheit" gewinnt an Bedeutung und erfordert eine Schärfung des Profils im Versorgungsnetz. Menschen mit HIV leben heute deutlich länger. Co-Morbiditäten und Wechselwirkungen mit anderen Infektionskrankheiten (COVID-19 u.a.) können auftreten.

Dokumente

Literatur

  • V. Bremer u. a., Testen wir die Richtigen? Ergebnisse einer Klientenbefragung in der Beratungsstelle zu STD einschließlich Aids des Gesundheitsamtes der Stadt Köln, in: Gesundheitswesen 68 (2006), 692-696.
  • Epidemiologisches Bulletin, 16. Juli 2012/Nr. 28 des RKI: Aktuelle Daten und Informationen zu Infektionskrankheiten und Public Health: HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen in Deutschland.
  • Johannes Georg Gostomzyk/Martina Christine Enke (Hg.), Aspekte der Gesundheitsbildung und Gesundheitsförderung in Bayern seit 1973. 25 Jahre Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e. V., München 1999.
  • G. Jantzen, Vorschläge zur Verhütung und Bekämpfung von AIDS durch den öffentlichen Gesundheitsdienst, in: Das öffentliche Gesundheitswesen 45 (1983), 544-545.
  • Münchner AIDS-Hilfe e. V., 25 Jahre HIV/AIDS in München. Eine Chronik (1981-2006), München 2006.
  • Heidrun Nitschke u. a., Anonyme STD-Sprechstunde versus Pflichtuntersuchungen für Prostituierte - Was ist effektiv in der STD-Prävention?, in: Gesundheitswesen 68 (2006), 686-691.

Quellen

  • Bayerischer Verwaltungsgerichtshof: Beschluss vom 9.11.1988 Nr. 3 CS 88.011854, BayVBl. 1989 Heft 3, 83.
  • Bekanntmachung: "AIDS": Vollzug des Seuchenrechts, des Ausländerrechts und des Polizeirechts, Bayer. Staatsministerium des Innern, Nr. IE/IA/IC – 5280 – 8.2/7/87 – MABl. Nr. 10/1987, 246–255.
  • Entschließung der 54. Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder am 8./9. Oktober 1985 in Stuttgart.
  • Entschließung der 57. Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder am 19./20. November 1987 in Osnabrück, in: Das öffentliche Gesundheitswesen 50 (1988), 121-131.
  • Peter Gauweiler, Zur Notwendigkeit eines geschlossenen Gesamtkonzeptes staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Weltseuche AIDS. Mannheimer Symposium "Die Rechtsprobleme von AIDS", 20./21. 11.1987, Baden-Baden 1988.
  • Mehrheitsbeschluss der Sondersitzung der Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder (GMK) am 27. März 1987 in Bonn – abweichendes Votum des Freistaates Bayern, AIDS-Forschung (AIFO), Juni 1987, Heft 6, 341-345.
  • Mitteilungen des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Expertenanhörung am 25. Okt. 1983, in: Das öffentliche Gesundheitswesen 45 (1984), 46, 111.
  • Peter Schuch, "AIDS und der Maßnahmenkatalog der Bayerischen Staatsregierung", in: Das öffentliche Gesundheitswesen 49 (1987), 503.
  • "Stadt will AIDS-Test wieder streichen", in: Augsburger Allgemeine Zeitung (17.2.1989).

Weiterführende Recherche

Externe Links

AIDS, A.I.D.S., Aids, Humanes Immundefizienz-Virus, HIV, HI-Virus

Empfohlene Zitierweise

Johannes Georg Gostomzyk, Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS), publiziert am 02.04.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Acquired_Immune_Deficiency_Syndrome_(AIDS)> (28.03.2024)