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Weißer Terror, 1919

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Die Schrecken der Räteherrschaft wurden unter dem Schlagwort "Rotmord" propagandistisch überhöht. Titelblatt zu: Rudolf Schricker, Rotmord über München, Berlin 1934. (Bayerische Staatsbibliothek, H.un.app. 1316 w)
Verhaftung von Rotarmisten durch bewaffnete Bürger, die sich mit weißen Armbinden als "Weiße Garde" ausweisen. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-5216)
Gefangene im Hof des Münchner Gefängnisses Stadelheim. Abb. aus: Das Bayerland 44, (1933), 600. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar 198-t)
Fahnungsplakat für Max Levien (1885-1938) und Eugen Leviné (1883-1919) vom Mai 1919. Während Levien fliehen konnte, wurde Leviné gefasst, zum Tode verurteilt und am 5. Juni 1919 im Gefängnis München-Stadelheim hingerichtet. Abb. aus: Schricker, Rotmord über München, 152. (Bayerische Staatsbibliothek, H.un.app. 1316 w)
Erschossene Revolutionäre in München 1919. Abb. aus: Schricker, Rotmord über München, Nr. 98. (Bayerische Staatsbibliothek, H.un.app. 1316 w)
Der Eisendreher Johann Lehner wurde am 3. Mai 1919 von Regierungssoldaten verhaftet und ohne Prozess erschossen, da er mit dem Mörder der Geiseln im Luitpold-Gymnasium Seidl/Seidel verwechselt wurde, obwohl er sich ausweisen konnte. Die Postkarte wurde mit der Bildunterschrift "Der Geiselmörder Seidl" verbreitet. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-5185)
Das Grab der ermordeten Mitglieder des Gesellenvereins St. Joseph am Westfriedhof in München-Moosach 2012. (Foto: privat)
Heinrich Ehmsen (1886-1964), Die Erschießung des Matrosen Egelhofer, Triptychon, ca. 1930-1933. Der linke Bildflügel zeigt Gegenrevolutionäre, im Vordergrund Soldaten, die durch weiße Bänder an den Helmen als "Weißgardisten" ausgewiesen sind. Dahinter erkennt man Vertreter der "herrschenden Klasse", einen preußischen Offizier mit Pickelhaube, einen katholischen Priester mit Saturno im Hintergrund. In der linken Bildmitte ist Friedrich Ebert (1871-1925) mit Zylinder erkennbar. Das Hauptbild zeigt den Münchner Odeonsplatz. Egelhofer steht auf dem Denkmal König Ludwigs I. von Bayern (1786-1868, reg. 1825-1848). Am oberen Bildrand erkennt man das Kaffeehaus Tambosi, die Hofgartenarkaden und die Residenz. Der rechte Bildflügel ist den revolutionären Massen vorbehalten; im Vordergrund "Rotgardisten" mit roten Halstüchern. (Abbildung stammt von der Seite www.herimitagemuseum.org, mit freundlicher Genehmigung des staatlichen Eremitage Museums, St. Petersburg, Russia)

von Bruno Thoß

Im öffentlichen Schlagabtausch der nachrevolutionären Kämpfe in Deutschland kennzeichneten die Formulierungen "roter/weißer Terror" die wechselseitigen Schuldzuweisungen zwischen revolutionären und gegenrevolutionären Kräften. Mit "weißem Terror" waren hier in erster Linie die Vorgänge in München nach der Niederschlagung der Räterepublik durch Regierungstruppen und Freikorps gemeint, die durch Gewaltakte und Willkür gegen echte wie vermeintliche Unterstützer der Linken geprägt waren.

Revolution-Gegenrevolution-Terror

Die nachrevolutionären Kämpfe in Deutschland waren seit der Niederschlagung des Spartakusaufstandes in Berlin im Januar 1919 von schweren Gewaltexzessen begleitet. Dabei reichten Terrormaßnahmen von Affekthandlungen im unmittelbaren Gefolge der Kampfhandlungen bis zur gezielten Einschüchterung ganzer Gruppen des jeweiligen Gegners. Im öffentlichen Schlagabtausch wurden die Begriffe "roter/weißer Terror" bzw. "rote/weiße Garden" synonym für die Bedeutungsinhalte revolutionär/gegenrevolutionär verwendet.

Die in den jeweiligen Lagern gebrauchten Kampfformen lehnten sich an die Erfahrungen aus dem seit 1918 in voller Schärfe entbrannten russischen Bürgerkrieg an, gingen in ihren historischen Wurzeln jedoch bis auf die Französische Revolution zurück. Wie in den Jahren 1793/95 schöpften auch in den folgenden Revolutionen die jeweiligen Bürgerkriegsparteien ihre Rechtfertigung für den Einsatz von Individual- und Gruppenterror nicht nur aus dem Bedürfnis nach Revanche für selbst erlittenes Unrecht. Terror wurde geradezu zur unverzichtbaren Notwendigkeit erhoben, wenn im Gegenspiel von Revolution und Gegenrevolution positive Gewinnungsstrategien zur Befriedung des Gegners nicht ausreichten.

Im deutschen Bürgerkrieg von 1919/20 sollte Oberst Max Bauer (1869-1929), eine der Führungsfiguren auf der radikalen Rechten, die Erfahrungen aus der Niederschlagung revolutionärer Aufstände zu der Forderung verdichten: "Nur Terror kann Deutschland retten." Sein Einsatz als Kampfmittel gegen den inneren Gegner endete deshalb auch nicht mit dem Abflauen der Bürgerkriegskämpfe. Die in den Untergrund abgetauchten Freikorpskämpfer bedienten sich seiner noch in den Jahren 1920 bis 1923, um einer Stabilisierung der Weimarer Republik entgegenzuwirken. Ihre Einschüchterungs- und Mordaktionen richteten sich dabei gegen sog. Verräter aus den eigenen Reihen ebenso wie gegen führende Repräsentanten der Republik. Über eine Art Provokationsstrategie sollte so ein Klima der inneren Unsicherheit erhalten bleiben, das die Gegner auf der Linken zu gewalttätigen Gegenaktionen herausforderte und damit die Notwendigkeit zur Beibehaltung bürgerlicher Selbstschutzorganisationen herausstellte.

Revolution und Rätezeit in Bayern

In Bayern hielten sich Gewalttaten in den ersten Wochen nach der erfolgreichen Revolution zunächst in Grenzen. Das lag nicht zuletzt daran, dass sich die Gegenkräfte erst allmählich vom Schock des Umbruchs erholten und deshalb kaum Gegenwehr leisteten. Mit dem beginnenden Wahlkampf für den Reichstag und Landtag verschärften sich ab Mitte Dezember 1918 jedoch nicht nur die verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern einer Räterepublik und einer parlamentarischen Demokratie. Als sich zudem die soziale Lage dramatisch verschlechterte, schlugen Massendemonstrationen von Arbeitslosen in München schon Anfang Januar 1919 zu blutigen Straßenschlachten mit ersten Todesopfern um. Die mit weißen Armbinden gekennzeichneten Soldaten, die sich der "Republikanischen Schutztruppe" zur Verfügung stellten, wurden in Flugblättern ihrer Gegner auf der Linken als "weiße Garde" tituliert, deren Ziel als "Gegenrevolution in ihrer nackten Gestalt" gebrandmarkt wurde. Die Kampfbegriffe von "rotem" bzw. "weißem Terror" für oder gegen die sich formierenden bewaffneten Truppen auf der Linken wie auf der Rechten wurden schnell prägend für wechselseitige Schuldzuweisungen an einer Radikalisierung der Verhältnisse.

Die Konfliktsituation, die sich durch die Attentate am 21. Februar 1919 im Landtag auf Ministerpräsident Kurt Eisner (USPD, 1867-1919), Innenminister Erhard Auer (SPD, 1874-1945) und den BVP-Abgeordneten Heinrich Osel (1863-1919) wesentlich verschärfte, konnte von den republikanischen Ordnungskräften jedoch zunächst noch kontrolliert gehalten werden. Mit der Ausrufung einer Räterepublik in München am 7. April 1919 eskalierten die Auseinandersetzungen dann jedoch schnell auch in Bayern zum Bürgerkrieg. Verhaftungen durch die Revolutionsorgane und willkürliche Gewaltakte blieben zwar auch nach der kommunistischen Machtübernahme noch begrenzt. Zeitweilig Inhaftierte aus dem Münchner Bürgertum wurden nach ihren Verfahren vor den Revolutionstribunalen sogar nahezu ausnahmslos bis Ende April wieder auf freien Fuß gesetzt. Schon in den Revolutionswochen und verstärkt in den publizistischen Abrechnungen danach dominierte jedoch bei den Gegnern der beiden Räterepubliken der Kampfbegriff vom "Rotmord über München". Gewaltakte gegen das Münchner Polizeipräsidium, zwei politische Morde durch spartakistische Täter und vor allem der sog. Geiselmord an zehn Gefangenen im Luitpoldgymnasium, darunter acht Anhängern der rechten Thule-Gesellschaft, im Zuge der Kämpfe um München Ende April wirkten wie eine Bestätigung für den Terror in der Rätezeit.

Besetzung und gegenrevolutionärer Umbau Münchens

Schon in den Kämpfen gegen die "Rote Armee" hatten die mit den Regierungstruppen vorgehenden Freikorps verschiedentlich Gewaltakte im Umland Münchens begangen. Gelegentlich konnten sie sich dabei auf Rachebedürfnisse in der Bevölkerung stützen. Mit dem Eindringen in die Landeshauptstadt verschärften sich nicht nur die Kampfhandlungen, sondern auch individuelle wie kollektive Gewaltmaßnahmen.

Während der Kämpfe um die Stadt waren Erschießungen von Gefangenen und Morde an führenden Repräsentanten der Rätezeit an der Tagesordnung. Die prominentesten Opfer waren der Oberkommandierende der "Roten Armee", Rudolf Egelhofer (1896-1919), und der Schriftsteller Gustav Landauer (1870-1919). Aber auch ganze Gruppen fielen willkürlichen Erschießungen und Hinrichtungen zum Opfer, so unter anderem 52 gefangene russische Rotarmisten in Gräfelfing (Lkr. München) oder 12 Räteanhänger in Perlach (krfr. Stadt München). In beiden Fällen wurden gerade einmal zum Schein standrechtliche Vernehmungen und Verurteilungen vorgenommen. Derartige Exzesse setzten sich nach der Besetzung Münchens fort und betrafen selbst Unbeteiligte wie etwa 21 Mitglieder des katholischen Gesellenvereins (Kolping-Bewegung), deren Versammlung als heimliches Spartakistentreffen verdächtigt wurde. Insgesamt schwanken die Zahlen der zwischen dem 30. April und 8. Mai Getöteten zwischen 557 und 1.200 Personen; quellenmäßig zu belegen sind etwa 650 Opfer, darunter nach Angaben der Polizeidirektion allein 335 Zivilpersonen. Ihnen standen nach amtlichen Angaben bei den Regierungstruppen gerade einmal 38 Gefallene gegenüber. Dies stellt jedoch nur die Spitze der Gewaltmaßnahmen dar, da sich Terror und Willkür noch den ganzen Mai hindurch fortsetzten. Bei der Durchsuchung von Häusern nach Waffen und Räteanhängern waren Plünderungen, Beschlagnahmungen und Gewalttaten an der Tagesordnung. Berichte der Münchner Polizei wie des Generalkommandos von Oven belegen den Umfang solcher Übergriffe insbesondere aus den Reihen der Freikorps.

Der Versuch, über einen noch vor dem Einmarsch der Truppen gebildeten Aktionsausschuss und die Einsetzung von Staatskommissar Dr. Hermann Ewinger (geb. 1887) die Machtverhältnisse in der befreiten Stadt in die Hände der Regierung Hoffmann zu bringen, scheiterten dabei schon in den ersten Tagen. Beide wurden bis zur Rückkehr der Regierung Mitte Juli von rechtsgerichteten Juristen und organisatorisch begabten Offizieren im Rahmen einer zeitweiligen Militärverwaltung faktisch ausmanövriert. Die Federführung bei der sofort eingeleiteten Säuberungswelle gegen tatsächliche oder vermeintliche Funktionäre und Anhänger der Räterepubliken lag dazu in den Händen einer im Polizeipräsidium gebildeten Politischen Abteilung unter dem späteren NS-Innenminister Wilhelm Frick (1877-1946) und dem Reichswehrhauptmann Karl Mayr (1883-1945).

Unmittelbar nach der planmäßigen Besetzung Münchens durch die Regierungstruppen am 2. Mai und der damit verbundenen "Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung" kam es bereits zu einer Reihe militärischer Übergriffe gegen Sachwerte und Personen. Eine bei der Stadtkommandantur eingerichtete Fahndungsabteilung richtete in den Gefängnissen sowie in Kellern öffentlicher Gebäude Sammelstellen für politische Gefangene ein, die in den ersten Maitagen von bis zu 100.000 zeitweilig Festgesetzten durchlaufen wurden. Das entsprach immerhin einem Sechstel der Münchner Bevölkerung, unterschied man doch zunächst kaum zwischen aktiven Anhängern der Räterepubliken und Mitläufern. Dazu wurde von den Militär- und Polizeiorganen zur Mithilfe der Bevölkerung aufgerufen, die schnell den Charakter umfangreicher Denunziationen annahm. Die Zahlen massenhafter Internierungen sanken zwar schnell, umfassten aber selbst Anfang Juni noch 1.800 Gefangene. Ihre Verhaftung war regelmäßig von Beschimpfungen und körperlichen Misshandlungen begleitet. Wohnungen wurden willkürlich aufgebrochen und nicht selten verwüstet, Sachwerte entwendet. Die Gefängnisse reichten zur Unterbringung der Festgenommenen nicht aus. So wurden etwa in den Arresträumen der Polizeidirektion, die höchstens für zeitweilige 140 bis 225 Gefangene nachts bzw. tagsüber ausgelegt waren, den ganzen Mai über zwischen 320 und 370 Personen unter menschenunwürdigen Haftbedingungen zusammengepfercht. Wegen der unzureichenden Haftmöglichkeiten in München wurden deshalb zeitweilig bis zu 1.000 Gefangene in die Kasernements von Ingolstadt verbracht. Erst Anfang Juni kehrten wieder gesicherte Rechtsverhältnisse in der Landeshauptstadt ein.

Literatur

  • Emil Gumbel, "Vier Jahre politischer Mord" und "Denkschrift des Reichsjustizministers zu 'Vier Jahre politischer Mord'". Mit einem Vorwort von Hans Thill, Heidelberg 1980.
  • Rudolf Herz/Dirk Halfbrod, Revolution und Fotografie. München 1918/19, Berlin 1988.
  • Heinrich Hillmayer, Roter und Weißer Terror in Bayern nach 1918. Ursachen, Erscheinungsformen und Folgen der Gewalttätigkeiten im Verlauf der revolutionären Ereignisse nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, München 1974.
  • Ulrike Claudia Hofmann, "Verräter verfallen der Feme!" Fememorde in Bayern in den zwanziger Jahren, Köln 2000.
  • Alan Mitchell, Revolution in Bayern 1918/1919. Die Eisner-Regierung und die Räterepublik, München 1967.

Quellen

  • Karl Deuringer, Die Niederwerfung der Räteherrschaft in Bayern 1919, Berlin 1939.
  • Wolfgang Ehberger (Bearb.), Das Kabinett Hoffmann I. 17. März-31. Mai 1919 (Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1919-1945 2/1), München 2010.
  • Rudolf Stricker, Rotmord über München, Berlin 1934.

Weiterführende Recherche

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Bruno Thoß, Weißer Terror, 1919, publiziert am 11.09.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Weißer_Terror,_1919 (28.03.2024)