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Kirchenburgen und Wehrkirchen

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Effeltrich. Kirchenburg. Luftansicht von Osten. (Foto: Klaus Leidorf 2007)
Effeltrich. Kirchenburg. Dorfseitige Ansicht von Osten. (Foto: Joachim Zeune 2008)
Hannberg. Kirchenburg. Luftansicht. (Foto: Klaus Leidorf 2007)
Hannberg. Kirchenburg. Ansicht von Südosten. (Foto: Roman von Götz)
Ostheim v. d. Rhön. Kirchenburg. Südseite mit Südwestturm. (Foto: Joachim Zeune 2006)
Ostheim v. d. Rhön. Kirchenburg. Westseite mit Nordwestturm, Zwinger und Gaden. (Foto: Joachim Zeune 2006)
Rügheim. Wehrkirche mit Spatenscharten. Die Fenster wurden später eingefügt. (Foto: Joachim Zeune 2001)

von Joachim Zeune

Im heutigen Bayern ab dem 14. Jahrhundert auftretende, wehrhafte Befestigungen von Kirchhöfen oder Kirchengebäuden. Die Hussiteneinfälle, der Erste Markgrafenkrieg (1449/50) und in der Folgezeit das Vordringen der Türken führten vor allem im nordöstlichen Bayern dazu, dass während des 15. Jahrhunderts zahlreiche Kirchen befestigt wurden. Sie dienten als Zufluchtsorte für die ländliche Bevölkerung samt ihrer Habe. In Oberbayern und Schwaben wurden nur vereinzelt Kirchen wehrhaft ausgebaut.

Definition

Unter einer Kirchenburg versteht man eine Kirche, deren Kirchhofummauerung wehrhaft ausgestaltet ist. Ist dagegen lediglich die Kirche befestigt, spricht man von einer Wehrkirche. Grundvoraussetzung für Wehrhaftigkeit ist, dass ein Baukörper neben hohen und festen Mauern auch Verteidigungseinrichtungen wie Wehrgänge, Schießscharten, Wurferker und verteidigungsfähige Türme, darunter auch Tortürme, besitzt.

Der Umstand, dass Kirchtürme aus statischen Gründen dicke Mauern und wenige, zudem schlitzartige Lichtöffnungen aufweisen und viele Kirchhöfe als bewusst verschlossene Areale durch höhere Ummauerungen umfriedet sind, hat dazu geführt, dass viele Autoren irrtümlich zahlreiche Kirchen als Wehrkirchen und viele Kirchhöfe als Kirchenburgen klassifiziert haben. Auch sind profane Obergeschosse keine hinreichenden Kriterien, solange sie keine Wehrelemente aufweisen.

Hinzuweisen ist noch auf dem Umstand, dass auch einige Klöster im Rahmen der Hussitenkriege zu Klosterburgen ausgebaut wurden (Kastl [Lkr. Amberg-Sulzbach], Michelfeld [Gde. Auerbach i.d.OPf., Lkr. Amberg-Sulzbach], Speinshart [Lkr. Neustadt a. d. Waldnaab]).

Forschungsstand

Obwohl einige zusammenfassende Monographien vorliegen, ist der Forschungsstand für Bayern unbefriedigend, da sich die moderne Burgenforschung wenig mit Wehrkirchen und Kirchenburgen befasst hat und so gut wie nie interdisziplinäre Forschungsansätze genutzt werden. Bauhistorische, kunsthistorische, historische, volkskundliche, theologische und mitunter auch archäologische Betrachtungsweisen sind unbedingt erforderlich. Vorrangige Aufgabe ist es, die zahlreichen Fehlinterpretationen und Datierungsirrtümer flächendeckend zu korrigieren.

Leider sind nur wenige Kirchenburgen und Wehrkirchen mit den Methoden der modernen Burgenforschung untersucht (Neukirchen b. Hl. Blut, Lkr. Cham; Effeltrich, Lkr. Forchheim; Ostheim vor der Rhön, Lkr. Rhön-Grabfeld; Gochsheim, Lkr. Schweinfurt), so dass nur sporadisch wirklich sichere Datierungen vorliegen.

Zeitlicher Rahmen

Kirchenburgen und Wehrkirchen lassen sich in Bayern derzeit nicht vor dem 14. Jahrhundert nachweisen. Zu den ältesten Kirchenburgen Bayerns gehört die in den späten 1350er Jahren entstandene Kirchenburg von Kinding (Lkr. Eichstätt).

In der Zeit der Hussiteneinfälle in den 1420er und 1430er Jahren setzte eine verstärkte Bautätigkeit an Kirchenburgen und Wehrkirchen ein. Im nordöstlichen Bayern folgte rasch der Erste Markgrafenkrieg von 1449/50, während zugleich mit dem Fall von Konstantinopel (1453) und dem Vordringen der Türken in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Türkenangst wuchs. Diese beiden Ereignisse lösten gemeinsam mit einer zunehmenden innenpolitischen Instabilität in Nordost- und Ostbayern ab ca. 1460 eine zweite große Bauwelle an Neubefestigungen von Kirchen und Kirchhöfen aus, die bis weit ins 16. Jahrhundert hinein andauerte. Die stark befestigte Kirchenburg Ostheim vor der Rhön diente den Anwohnern noch während des Kroateneinfalls von 1634 als Zufluchtsort und konnte von den Angreifern erst nach hartem Kampf erobert werden.

Über die Dendrochronologie (geowissenschaftliche Datierungsmethode) sicher datiert sind u. a. die Kirchenburgen von Ostheim vor der Rhön (erste Bauphase: 1417/18; zweite Bauphase: 1426-36, dann Ausbauten), Effeltrich und Hannberg (Lkr. Erlangen-Höchstädt) (1460er und 1470er Jahre).

Bestand

Der genaue Bestand an bayerischen Kirchenburgen und Wehrkirchen ist aufgrund der zahlreichen Fehlinterpretationen nicht bekannt. Angesichts der Bedrohung durch die Hussiten und Türken, weiterhin aufgrund der instabilen politischen Verhältnisse (Markgrafenkriege 1449/50 und 1552), sind Kirchenburgen und Wehrkirchen massiert in den nordöstlichen Randzonen Bayerns zu finden. Eine Vielzahl ist auch in den benachbarten Gebieten Thüringens und Sachsens anzutreffen. Speziell die sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts rasch in Mitteleuropa verbreitende Türkenangst sorgte dafür, dass entlang der niederösterreichischen Donau, in Kärnten, in der Steiermark und in Siebenbürgen Hunderte von Wehrkirchen und Kirchenburgen entstanden.

Innerhalb Bayerns dürfte Unterfranken die größte Kirchenburgen- und Wehrkirchendichte aufweisen, dicht gefolgt von Oberfranken, Mittelfranken und der Oberpfalz. Je weiter man sich westlich bzw. südwestlich bewegt, desto mehr dünnt diese Architekturgattung aus. In Oberbayern und Bayerisch-Schwaben existieren schließlich nur noch vereinzelt derartige Objekte (Niedersonthofen, Gde. Waltenhofen, Lkr. Oberallgäu; Prittriching, Lkr. Landsberg am Lech; Unterzeil, Gde. Dorfen, Lkr. Erding).

Planung und Finanzierung

Über die Planung und Finanzierung ist wenig bekannt. Auftraggeber der Bauten und entscheidende Genehmigungsinstanz waren zweifelsohne die Bistümer, die sicherlich auch den Bau mitfinanzierten. Hinzu kamen Gelder aus Stiftungen und Spenden, während der überwiegende Teil der Bauarbeiten wohl von den örtlichen Anwohnern unter Anleitung eines versierten Baumeisters geleistet wurde. Inwieweit die weltlichen Territorialherren hier involviert oder finanziell beteiligt waren, muss noch umfassend erforscht werden.

Funktion

Kirchenburgen bzw. Wehrkirchen gewährten der ländlichen und dörflichen Bevölkerung in unruhigen Zeiten, in denen Kriege das Land überzogen, Zuflucht. Da die Kriegsführung im 15. und 16. Jahrhundert hauptsächlich in Form von Raubüberfällen oder Plünderzügen kleinerer Truppen stattfand, boten Kirchenburgen und Wehrkirchen tatsächlich Schutz.

Sehr gut greifbar wird diese Funktion bei der Kirchenburg Effeltrich nahe Forchheim, wo nach einem Überfall durch die Hussiten im Jahr 1430 Nürnberger Truppen während des Ersten Markgrafenkriegs 1449/50 gleich zweimal das Dorf plünderten. Daraufhin begann man in den 1460er Jahren mit dem Bau einer starken Kirchhofbefestigung. Ähnliches geschah im nahe gelegenen Hannberg.

Dem Bedürfnis nach einer gesicherten Unterbringung von Hab und Gut, wozu auf dem Land auch das Vieh zählte, kamen die sog. Gaden nach. Diese kleinen Häuser wurden in den Kirchhof gestellt und dienten örtlichen Familien als Unterkünfte in Gefahrenzeiten. Insbesondere in Unterfranken besitzen etliche Kirchenburgen noch solche Gaden (Geldersheim, Lkr. Schweinfurt; Gochsheim; Heustreu, Lkr. Rhön-Grabfeld; Mönchsondheim, Lkr. Kitzingen; Oberstreu, Lkr. Rhön-Grabfeld; Ostheim vor der Rhön). Innerhalb des Kirchhofs der Kirchenburg von Ostheim vor der Rhön standen im 17. Jahrhundert 72 solche Gaden.

Architektur

Kirchenburgen und Wehrkirchen folgten in ihren Befestigungsmaßnahmen den jeweils aktuellen Bauformen des zeitgenössischen Burgen- bzw. Wehrbaus.

Wehrkirchen sind zumeist sehr einfach befestigt, indem sie in den Obergeschossen der Kirchtürme Schießscharten aufweisen (Gebsattel, Lkr. Ansbach; Gerach, Lkr. Bamberg; Herrnsberg, Lkr. Roth; Rügheim, Lkr. Haßberge). Hier stößt man oft auf Schlüsselscharten (Schießscharten in Form eines kopfstehenden Schlüssellochs) für Hakenbüchsen. Am Turm der Kirche von Kellberg schützte ein Wurferker mit Schlüsselscharte den darunter befindlichen Eingang. Seltener ist das Kirchenschiff eigenbefestigt (Kalbensteinberg, Gde. Absberg, Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen).

Kirchenburgen können dagegen unterschiedliche Ausformungen erfahren. Bemerkenswert ist eine kleine Gruppe typologisch eng verwandter Kirchenburgen im Raum Nürnberg-Erlangen-Forchheim, die allesamt aus der Zeit zwischen 1460 und 1510 stammen (Hannberg, Effeltrich, Hetzles, Lkr. Forchheim, und Kraftshof, Stadt Nürnberg). Sie zeichnen sich durch turmbewehrte Kirchhöfe mit Wehrgängen und zahlreichen Schießscharten aus. Sie besaßen offenbar alle einst Doppelturmtore, d. h. von zwei Türmen flankierte Torbauten, und bezogen den Kirchturm in das Wehrkonzept ein. Zur Unterstreichung ihres Wehrcharakters bedienten sie sich im Mauerwerk häufig der Buckelquader, die ihnen ein "burgartiges" Aussehen verliehen. Die Kirchenburg von Prittriching bei Landsberg am Lech hat noch ihren Torturm aus der Zeit um 1550 bewahren können, der sich durch seine vier pittoresken Eckerker auszeichnet.

Beispiele: Kinding und Ostheim vor der Rhön

Die älteste momentan nachweisbare Kirchenburg Bayerns befindet sich in Kinding im Altmühltal. Sie lehnt sich an einen steilen Hang und besaß talseitig drei über die hohe Mauer gestellte Schalentürme (rückseitig offene Türme) mit kleinen Schlitzscharten, darunter einen zentralen Torturm. Mit ihren mauerbündigen Türmen folgte sie einem regionalen Trend, der um 1360 kaum voll flankierende Türme kannte.

Die spektakulärste Kirchenburg in Ostheim vor der Rhön ließ das Erzstift Mainz bereits infolge der allerersten Hussiteneinfälle in den späten 1410er Jahren zum Schutz der kurz zuvor errichteten Kirche Beatae Mariae Virginis (später St. Michael) und der Ortsbevölkerung errichten. Den quadratischen Kirchhof sicherten an allen vier Ecken hohe Türme, die man allerdings erst in den 1420er oder 1430er Jahren fertigstellte. Zwei waren vollflankierende Rundtürme, wohingegen die beiden anderen, viereckigen Ecktürme mauerbündig aufgeführt wurden. In den 1430er Jahren verstärkte man die Wehrhaftigkeit durch den Bau eines turmbewehrten umlaufenden, niedrigen Zwingers. Im 16. Jahrhundert fügte man zusätzlich Maulscharten (längsrechteckige Schießscharten) ein. Der Kirchhof war zumindest ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert weitgehend durch einst 70 aus Stein errichtete Gaden zugestellt, von denen sich etliche sehr gut erhalten haben.

Fortifikatorisch waren Kirchenburgen oft äußerst ungünstig platziert, da die Lage durch die Kirche vorbestimmt war. Sehr eindrucksvoll zeigt dies die Kirchenburg von Kinding, die von dem direkt hinter ihr aufsteigenden Hang sofort stark überhöht wird.

Literatur

  • Ludwig Baumann, Kirchenburgen mit Pflegschlössern, in: Beiträge zur Geschichte im Landkreis Cham 22 (2005), 115-122.
  • Bernhard Ernst, Burgenbau in der südöstlichen Oberpfalz: Wallanlagen und Burgen, befestigte Friedhöfe und Kirchenburgen, befestigte Schlösser und Ansitze, in: Archäologisches Nachrichtenblatt 7 (2002), 246-250.
  • Reinhard Hüßner, Befestigte Kirchhöfe und Kirchgaden im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Neue Erkenntnisse zu den Kirchenburgen im Landkreis Kitzingen, in: Herbert May (Hg.), Alles unter einem Dach. Häuser, Menschen, Dinge. Festschrift für Konrad Bedal zum 60. Geburtstag (Quellen und Materialien zur Hausforschung in Bayern 12), Petersberg 2004, 155-168.
  • Karl Kolb, Wehrkirchen und Kirchenburgen in Franken, Würzburg 2. Auflage 1977.
  • Hans Schaub, Die Wehrkirche zu Hannberg, Bamberg 2007.
  • Daniela Schedel, Nutzung historischer Bausubstanz - unterfränkische Kirchenburgen heute. Ein Projekt des Bezirks Unterfranken, Würzburg 2003.
  • Michael W. Weithmann, Wehrkirchen in Oberbayern. Eine typologische Übersicht, in: Schönere Heimat 81 (1992), 211-222.
  • Joachim Zeune, Die Kirchenburg Geburt Mariens in Hannberg, Regensburg 2005.
  • Joachim Zeune, Die Kirchenburg St. Michael in Ostheim v. d. Rhön. Unpublizierte Bauuntersuchung im Auftrag der Stadt Ostheim 2006.
  • Joachim Zeune, Fortified Churches and Churchyards in Bavaria: Some Critical Remarks, in: Europa Nostra Bulletin 60 (2006), 103-110.
  • Joachim Zeune, Neue Forschungen an fränkischen Kirchenburgen, in: Burgenforschung aus Sachsen 5/6 (1996), 226-239.
  • Joachim Zeune, St. Georg Effeltrich. Kirchenburg und katholische Pfarrkirche, Regensburg 2008.
  • Joachim W. Zeune, Chronologisch-typologische Überlegungen zu den fränkischen Kirchenburgen von Effeltrich, Hetzles, Hannberg und Kraftshof, in: Jahrbuch des Vereins für Christliche Kunst in München 15 (1985), 22-42, 211-218.
  • Edmund Zöller, Fränkische Wehrkirchenstraße. 5 Bände, Uffenheim 1992ff. (zum Teil mehrfach aufgelegt).

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Joachim Zeune, Kirchenburgen und Wehrkirchen, publiziert am 29.11.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kirchenburgen_und_Wehrkirchen (19.03.2024)