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Kastler Reform

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Kloster Kastl. Ausschnitt aus einer Ansicht im Reisealbum des Pfalzgrafen Ottheinrich (1502-1559) von 1536/37. (UB Würzburg, Delin. VI, fol. 2)
Die Klosterkirche St. Egidien mit der Klosteranlage in Nürnberg. Nach der Reformation wurde das Kloster zum städtischen Gymnasium. Die mittelalterliche Anlage, hier in einer Ansicht von Christoph Melchior Roth (gest. verm. 1798), brannte 1696 ab. (aus: Kurt Pilz, Die St. Egidienkirche in Nürnberg Nürnberg 1977, S. 18)

von Peter Maier

Älteste spätmittelalterliche benediktinische Reformbewegung im deutschsprachigen Raum. Einflüsse aus Böhmen führten ab 1380 zu einer Reform des oberpfälzischen Klosters Kastl unter Abt Otto Nortweiner (reg. 1378-1399, gest. 1400), gefördert durch den späteren deutschen König Rupprecht von der Pfalz (reg. 1400-1410 als König). Von Kastl ausgehend erfasste die Reformbewegung weitere Klöster vorwiegend in Altbayern, beginnend mit Reichenbach 1394/1410. Zentrale Dokumente der Kastler Reform sind die "Consuetudines" und der "Liber ordinarius", die vor allem im 15. Jahrhundert große Verbreitung erfuhren. Charakteristisch für die Kastler Reform ist der hohe Stellenwert von Bildung und Wissenschaft sowie die kritische Einstellung zur Tradition. Am längsten blieb die Kastler Reform im Kloster Füssen wirksam. Die vom Kloster Kastl ausgehende Reform ist die älteste der drei benediktinischen Reformbewegungen des deutschsprachigen Raumes im Spätmittelalter (folgend ab 1418 Melker Reform, ab 1430 Bursfelder Reform).

Ausgangspunkt: Kloster Kastl

Das Benediktinerkloster Kastl in der Oberpfalz wurde 1098 durch Berengar von Sulzbach (gest. 1125), Friedrich von Kastl-Habsberg (gest. 1103) und die Markgräfin Luitgard gegründet. Geistig und wirtschaftlich entfaltete sich dieses Kloster um die Mitte des 14. Jahrhunderts vorbildlich. Zusätzlich kamen von der neuen Universität Prag und aus den blühenden böhmischen Klöstern Raudnitz, Brevnov und Kladrau Ideen der Erneuerung.

Das Augustiner-Chorherrenstift im böhmischen Raudnitz wurde 1333 gegründet und 1340 durch eine Gruppe von Chorherren aus dem Kloster St. Peter in Pavia zu einem Reformzentrum ausgebaut. Auf Grundlage der Reformkonstitution "Ad decorem ecclesiae" Papst Benedikts XII. (reg. 1334-1342) von 1339 wurden für Raudnitz eigene "Consuetudines" erarbeitet, deren Grundlinien von Offenheit für Studium und Wissenschaft geprägt waren. Sie gewannen bald in Böhmen und im benachbarten Bayern an Einfluss.

Das 992 gegründete Brevnov hatte als ältestes Benediktinerkloster Böhmens einen gewissen Vorrang und war seit dem 11. Jahrhundert als Reformkloster ein geistiges Zentrum. Die Äbte übten einen Ehrenprimat und Reformrechte aus und besaßen ab 1392 auch das Visitationsrecht über die Benediktinerklöster Böhmens und Mährens.

Die Gründer des Benediktinerklosters Kladrau waren mit den Gründern der Klöster Kastl und Reichenbach verwandt. Zusätzlich bestanden zwischen den Konventen von Kastl und Kladrau von Anfang an engere Beziehungen, die 1324 durch einen Verbrüderungsvertrag gefestigt wurden. Neben Brevnov hatte Kladrau ab dem 13. Jahrhundert eine führende Rolle unter den böhmischen Benediktinerklöstern eingenommen. Im 14. Jahrhundert entwickelte es sich durch seine geistige und wirtschaftliche Dynamik ebenfalls zu einem benediktinischen Reformzentrum .

Aus diesen Faktoren entwickelte sich im Kloster Kastl ab etwa 1380 eine ideale benediktinische Lebensform, die vom Vogt des Klosters, Pfalzgraf Ruprecht III. (reg. 1400-1410 als deutscher König), intensiv gefördert wurde. Die Mönche Franz "aus Böhmen" und Johannes von Kastl (gest. nach 1426), beide in enger Verbindung mit der Universität in Prag, waren die Protagonisten dieser Reformbewegung. Franz von Kastl war 1390 in Rom und von dort zum benediktinischen Ursprungskloster Subiaco gereist, um dort monastische Fragen zu klären. Unter Abt Otto Nortweiner (reg. 1378-1399, gest. 1400) erfasste die Reformbewegung auch andere Klöster des bayerischen Raumes.

Die "Consuetudines" und der "Liber ordinarius"

Franz von Kastls Reise nach Rom und Subiaco 1390 hatte höchstwahrscheinlich auch besondere Bedeutung für die Entstehung der grundlegenden Texte der Kastler Reformbewegung. Man unterscheidet zwei Gattungen derartiger Reformtexte: "Consuetudines", die den Alltag und die Lebensform regeln, und den "Liber ordinarius", der die liturgischen Bräuche bestimmt. Für Kastl dürfte die erste Fassung der "Consuetudines" ca. 1390/91 fertig vorgelegen und der "Liber ordinarius" vorher vollendet gewesen sein (laut Prolog der "Consuetudines").

Das Konzil von Konstanz und das Äbtekapitel zu Petershausen (1417) bewirkten einen zweiten Schritt in der Entwicklung der Kastler Reformtexte (Einschübe kleinerer Textabschnitte). Die Arbeiten und Diskussionen des Konzils zu Basel (1431-1439) bewirkten auch eine gründliche Überarbeitung der Texte der Kastler Reform. Diese gereinigte und gestraffte Redaktion blieb dann maßgebend für das 15. Jahrhundert. Aus dem 15. Jahrhundert existiert auch eine große Zahl von Kurzfassungen dieser Kastler Reformtexte.

Inhalte und Ziele der Reform

Das geistige Konzept der Reform schuf der aus Böhmen stammende Benediktinermönch Franz von Kastl, der 1390 nach Rom und in das damals berühmte Reformkloster Subiaco gepilgert war. Ein eifriger Mitarbeiter am Reformwerk war Johannes von Kastl, dessen Regelkommentar (1410 abgeschlossen) eine weitreichende Wirkung hatte. Franz und Johannes von Kastl standen fest in der monastischen und kirchenrechtlichen Tradition ("Zurück zu den Quellen"), vertraten aber mit neuen Ideen humanistischer Geistesrichtung auch eine moderne und von vernünftigen Einsichten geprägte Linie. So wagten sie bei liturgischen Reformen auch massive Gebetskürzungen, was ihnen von benediktinischer Seite harte Kritik einbrachte ("Monachi Fuldensis Epistula ad desidiosos").

Die erste Fassung der "Consuetudines" entstand ca. 1390/91. Sie ist mit ihrer Betonung von Regeltreue, Eigenverantwortung und dem Verweis auf die zeitgenössischen päpstlichen Reformgesetze für damals als einzigartig zu bezeichnen. Zur Zeit des Konstanzer Konzils (1414-1418) wurden die "Consuetudines" nach vernünftigen Grundsätzen erweitert, dann aber im Zuge der Reformdiskussionen des Basler Konzils (1431-1439) gründlich gekürzt und "modernisiert". Diese gereinigte und gestraffte Redaktion sollte dann für den weiteren Verlauf der Kastler Reform maßgeblich bleiben. Diese kritische Einstellung zur Tradition ist bei anderen Reformbewegungen eher nicht zu finden und kann als besonderes Anliegen der Kastler Reform bezeichnet werden.

Für Kastl ist charakteristisch, dass schon in den ältesten Reformtexten "ratio et conscientia" (Vernunft und Eigenverantwortung) als Lebensprinzip im Kloster speziell angesprochen werden. Das 37. Kapitel "De corrigendis libris" bildet in der Geschichte der benediktinischen "Consuetudines" eine absolute Neuheit. Es betont die positive Einstellung der Kastler Reform zu Buch und Wissenschaft. Bücher und Studium dienen dem Heil der eigenen Seele und dem Heil der Mitmenschen. Als Fastenlektüre werden beispielsweise nur Bücher aus der Klosterbibliothek empfohlen, die den Leser innerlich bereichern und erbauen, keineswegs aber Bücher der Medizin, der Rechtswissenschaft, der Philosophie oder anderer "artes", die offenbar auch in der Bibliothek vorhanden waren. Diese Bestimmung aus dem 8. Kapitel der Kastler "Consuetudines" bringt wie kaum ein anderer Satz die positive Einstellung der Kastler Reformbewegung zu Wissenschaft und Askese zum Ausdruck. Über die in Kapitel 46 behandelte Rangordnung im Kloster heißt es, dass ein Doktor der Theologie oder der Rechte seinen Platz unmittelbar neben dem Prior habe, Magistri und Bakkalaurei, egal welcher Fakultät, neben den Senioren. Studierende Mönche sollten neben dem Dormitorium eigene Studierzellen haben.

Ausbreitung der Reform

Die erste Periode der Kastler Reformbewegung liegt zwischen 1390 und dem Konzil von Konstanz (1414-1418). 1394 begann die Einführung der Reform im Kloster Reichenbach. 1401 hatte Johannes von Kastl seinen Regelkommentar abgeschlossen. Johannes Trithemius (1462-1516) berichtete für das Jahr 1404, dass sich die Kastler Reform in Bayern ausbreite. 1405 wurde der Reformmönch Franz von Kastl als "berühmter Mann" bezeichnet. Um 1410 wurde über einen alten Kastler Reformmönch gesagt, dass er bisher bereits fünf Klöster reformiert habe. In Füssen führte Abt Georg Sandauer (1397-1410) die Kastler "Consuetudines" ein (älteste erhaltene Textfassung der Kastler "Consuetudines").

Die Reform wurde nicht in straffer Organisation durchgeführt, sondern durch die Übernahme der Reformgrundsätze. Die handelnden Personen waren durchwegs Autoritäten wie weltliche und geistliche Territorialherren, Vögte, Diözesanbischöfe und reformoffene Äbte. Das Reformgut wurde nicht nur innerhalb der Klöster der Kastler Observanz weitergeben, sondern wirkte über den monastischen Bereich hinaus, u. a. auch auf die Konzilien von Konstanz und Basel. Die nachhaltige Effizienz dürfte von den schriftlichen Brauchtexten ("Consuetudines") ausgegangen sein.

Zentren und Klöster der Kastler Reform

Direkt von Kastl aus wurden folgende Klöster reformiert:

  • Reichenbach (1394)
  • Füssen (1397/1410)
  • Weihenstephan (1418)
  • St. Gallen in der Schweiz (1439)
  • St. Emmeram in Regensburg (1452)

Aus all diesen Klöstern stammen wichtige Texte der Kastler Reform. Das Kloster in Reichenbach wurde selbst zu einem Reformzentrum, das die Kastler Reform in weitere Klöster verpflanzte, so z. B. in das Ägidiuskloster in Nürnberg. Letztes wiederum hatte enge Reformverbindungen mit dem Hl.-Geistkloster in Donauwörth und mit Füssen.

Eine exakte Liste aller von der Kastler Reform erfassten Klöster ist schwer zu erstellen, da nicht alle namentlich bekannt oder wissenschaftlich erfasst sind. Auch der Autor der "Epistula ad desidiosos" nennt weiterer Klöster, in denen die Kastler Reformer durch ihre "Modernisierungen" altehrwürdige monastische Traditionen zerstört hätten.

Das Ende der Kastler Reform

Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis 1524 gab es intensive Bemühungen um einen Zusammenschluss der Kastler, Melker und Bursfelder Reform-Observanzen, wobei die Vertreter der Kastler Reform ihre Position am zähesten bis zum Schluss durchhielten. Das Zeitalter der Reformation brachte letztlich alle drei Reformbewegungen zum Erlöschen.

Im St. Magnuskloster in Füssen scheint die Kastler Reformtradition am längsten gepflegt worden zu sein, denn hier wurde noch um 1630 ein Kastler Reformtext bearbeitet.

Das Kloster Kastl erlitt im 16. Jahrhundert wirtschaftlich und geistlich eine Phase des Niedergangs und wurde 1563 aufgehoben.

Reformzentren und reformierte Klöster
Reformzentrum Erneuertes Kloster Dauer der Observanz
Kastl Reichenbach 1394-ca. 1500
Sankt Mang in Füssen 1397/1410-1630
Abdinghof b. Paderborn 1410 ?
Ensdorf 1413-ca. 1500
Weihenstephan 1418-?
Michelsberg bei Bamberg 1420/30 u. 1450-1452
Prüll bei Regensburg 1425-?
Michelfeld 1436-1500 ?
Sankt Gallen 1439-1442
Prüfening 1442-1468
Weltenburg 1441-?
Veilsdorf 1446-1477
Sankt Emmeram in Regensburg 1452-1520
Reichenbach Weltenburg 1410/12-?
Mallersdorf 1413-1476
Sankt Emmeram in Regensburg 1417 ?
Sankt Ägidius in Nürnberg 1418-1521
Prüfening 1423-? und 1486-?
Frauenzell 1424-1529
Metten 1492-1519 ?
Biburg 1505-1510
Sankt Ägidius in Nürnberg Sankt Mang in Füssen 1430-1630
Heilig Kreuz in Donauwörth 1439/40-1521
Mönchröden 1446-1485
Münsterschwarzach 1450/60 ?
Neresheim 1481/1496 ?
Niederaltaich 1485 ?
Heilig Kreuz in Donauwörth Ottobeuren 1447 ?
Sankt Mang in Füssen 1458-1630
Plankstetten 1458- ?
Michelfeld Weißenohe 1438- ?
Michelsberg 1450-1452

Literatur

  • Petrus Becker, Ein Hersfelder Protest gegen Reformbestrebungen im späten Mittelalter (1400-1431), in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 34 (1972), 29-58.
  • Edeltraud Klueting, Monasteria semper reformanda. Kloster- und Ordensreform im Mittelalter, Münster 2005.
  • Peter Maier, Die Reform von Kastl, in: Ulrich Faust/Franz Quartal (Hg.), Die Reformverbände und Kongregationen der Benediktiner im deutschen Sprachraum (Germania benedictina I), Sankt Ottilien 1999, 225-269.
  • Peter Maier, Ursprung und Ausbreitung der Kastler Reformbewegung, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 102 (1991), 75-204.
  • Klaus Schreiner, Kastler Reformgrundsätze, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 86 (1986), 112-120.

Quellen

  • Peter Maier (Bearb.), Consuetudines Castellenses. 2 Bände (Corpus consuetudinum monasticarum 14), Siegburg 1996-1999.
  • Monachi Fuldensis epistula ad desidiosos, in: Kassius Hallinger (Bearb.), Consuetudinum saeculi X, XI, XII, monumenta non - cluniacensia (Corpus Consuetudinum Monasticarum 7/3), Siegburg 1984, 365-373.

Weiterführende Recherche

Empfohlene Zitierweise

Peter Maier, Kastler Reform, publiziert am 12.10.2009; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kastler_Reform> (29.03.2024)