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Kaiserliche Landgerichte in Schwaben

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Karte der kaiserlichen Landgerichte in Schwaben (um 1450). (Gestaltung: Stefan Schnupp; Vorlage: Spindler/Diepolder, Bay. Geschichtsatlas, 24, u.a)

vonHans-Georg Hofacker (†)

Die kaiserlichen Landgerichte waren ein Charakteristikum des herzoglosen Reichsteils Schwaben. "Kaiserlich" wurden sie genannt, weil ihre Verfassung und ihr Verfahren auf der Privilegierung durch das Reichsoberhaupt beruhten. Ihre Zuständigkeit war nicht an die Grenzen eines bestimmten Territoriums gebunden. Sie entstanden entweder aus königlichen Gerichten auf Reichsgut (z. B. Hofgericht Rottweil) oder aus Grafengerichten vom Reich lehensabhängiger Grafschaften (z. B. Marstetten). Wie andere Landgerichte auch übten sie die Hochgerichtsbarkeit aus. Sie waren vor allem Grundstücks-, Acht- und Anleihe-Instanzen. Als besondere Förderer kaiserlicher Landgerichte gelten die Herrscher aus dem Haus Luxemburg im 14. und 15. Jahrhundert. Im Spätmittelalter nahm das Rottweiler Hofgericht die führende Position unter den kaiserlichen Landgerichten in Schwaben ein.

Die kaiserlichen Landgerichte in Schwaben im Überblick

Siegel der kaiserlichen Landgerichtes auf der Leutkircher Haid. Abb. aus: Johann Reinhard Wegelin, Historischer Bericht von der Kaiserl. und Reichs Land Vogtey in Schwaben wie auch dem frey Kayerl. Landgericht auf der Leutkircher Haid, und in der Pirß, o. O. 1755, vor 1. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Germ.sp. 158 x-1)

An erster Stelle nach Ansehen und Tätigkeitsumfang unter den kaiserlichen Landgerichten stand das Rottweiler Hofgericht, das im 15. Jahrhundert als oberstes Gericht des Reiches in Schwaben galt. Es erwuchs aus einer Reichsvogtei, die König Rudolf von Habsburg (reg. 1273-1291) wieder ans Reich gezogen hatte. Sein Tätigkeitsbereich erstreckte sich bis nach Köln und nach Thüringen; Sprengelgrenze zu Bayern war der Lech.

Von 1360 bis 1687 hatten die Grafen von Sulz das Amt des Hofrichters inne. Die Urteilssprecher kamen aus dem Rat der Reichsstadt Rottweil (Baden-Württemberg). Der Schwerpunkt seiner Jurisdiktion lag auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Bestätigung von Urkunden und Privilegien, Beurkundung von Gütererwerb und Güterübertragung, Eheverträgen, Nachlassregelungen, Vormundschaftssachen). Im Rahmen der streitigen Gerichtsbarkeit urteilte es über Geld- und Vermögenssachen aller Art und über die vermögensrechtlichen Folgen schwerer Straftaten wie Mord, Totschlag, Raub, Brandstiftung und Landfriedensbruch. Wer einem Urteil nicht Folge leistete, verfiel der Acht. Im 'Anleite'-Verfahren wurde das mobile und immobile Vermögen des Geächteten erfasst und eingezogen. Bei der Exekution des Urteils war das Gericht aber auf die Rechtshilfe der jeweiligen Obrigkeiten angewiesen. Im 15. Jahrhundert, der Blütezeit des Gerichts, übertrugen die Herrscher dem Hofgericht auch die kommissarische Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten und betrauten es mit dem Schutz über Klöster und Städte. Auf die Zunahme der vom Reichsoberhaupt gewährten Exemtionen von seiner Gerichtsbarkeit reagierte das Gericht mit der Aufstellung eines Katalogs von Ehaften, d. h. von Ausnahmetatbeständen. Befreiungen vom Hofgericht galten nicht bei Rechtsverweigerung und -verzögerung. In gewisser Weise war das Hofgericht den anderen 'kaiserlichen' Landgerichten in Schwaben übergeordnet. Im Rahmen seiner Ehaften konnte es überprüfen, ob deren Rechtsprechung örtliche und sachliche Kompetenzen überschritt oder ob Verfahrensverstöße vorlagen. In diesen Fällen konnte das Hofgericht die Urteile aufheben. Einen festen Rechtszug zum Hofgericht gab es aber nicht. Im 16. Jahrhundert setzte der Niedergang des Gerichts ein. Nach dem Schwabenkrieg (1499) schieden die Eidgenossen aus seinem Sprengel aus. Zum wichtigsten Konkurrenten entwickelte sich das 1494 eingerichtete Reichskammergericht, das Appellationsinstanz für das Hofgericht wurde. Im Bereich der streitigen Gerichtsbarkeit überschnitten sich die Kompetenzen beider Gerichte. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde im Reichstag und im Kurfürstenrat wiederholt über die Existenzberechtigung des Gerichts diskutiert, das fast nur noch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig war. 1784 stellte es seine Tätigkeit ein.

An zweiter Stelle folgte das Landgericht auf Leutkircher Heide und in der Gepirs. Es entstand in der Mitte des 14. Jahrhunderts durch die Zusammenlegung eines Freiengerichts bei Leutkirch (Lkr. Ravensburg, Baden-Württemberg) mit dem von der Reichslandvogtei in Oberschwaben abhängigen Gericht in der Pirs. Sein Sprengel fiel mit dem der Reichslandvogtei zwischen Donau, Bodensee und Iller zusammen. Es beanspruchte die gleichen Kompetenzen wie das Rottweiler Gericht, dessen Vorrang es anerkannte. Das Landgericht tagte in fester Reihenfolge an den Gerichts- oder Malstätten Ravensburg, Wangen, Lindau (1453/62 ersetzt durch den im Kerngebiet der Reichslandvogtei liegenden Reichsflecken Altdorf (Weingarten) [Lkr. Ravensburg, Baden-Württemberg]) und Leutkirch (zu Beginn des 16. Jahrhunderts ersetzt durch Isny). Die Urteilssprecher kamen aus den Bürgerschaften dieser Reichsstädte, die Landrichter wurden vom Reichslandvogt eingesetzt. Bis zum Übergang der Landvogtei an Österreich (1486) waren sie Freie von Leutkircher Heide. Während das Rottweiler Gericht immer überterritorial blieb, zog Österreich das Leutkircher Gericht zur Herrschaftsintensivierung im südlichen Schwaben heran. Seit der Zeit Kaiser Maximilians I. (reg. 1486-1519, Kaiser seit 1508) leiteten die Habsburger ihre 'fürstliche Präeminenz' im 'Land zu Schwaben' vom Besitz dieses 'kaiserlichen' Landgerichts und der Reichslandvogtei in Oberschwaben her. Auf Betreiben König Ferdinands I. (reg. 1531-1564, Kaiser seit 1558) hob Kaiser Karl V. (reg. 1519-1556, als Kaiser 1530-1556) im Jahr 1544 alle Privilegien auf, aus denen Herren, Klöster und Städte ihren Anspruch auf Exemtion vom Landgericht ableiteten oder aus denen sich nach österreichischem Verständnis Beeinträchtigungen seiner Jurisdiktion ergaben. Der Sprengel des jetzt als 'kaiserliches Landgericht in Ober- und Niederschwaben' bezeichneten Gerichts wurde im Osten bis zum Lech, im Norden bis zur Südgrenze Württembergs und im Westen bis zum Schwarzwald ausgeweitet. Während die schwäbisch-österreichischen Herrschaften eximiert waren, wurde das Gericht zuständig für alle Streitigkeiten um Obrigkeit, Forst und Geleit der Reichslandvogtei. In diesen Fällen durfte die Appellation nicht an Reichsgerichte, sondern nur an österreichische Gerichte gehen, so an das 1530 in Innsbruck eingerichtete Kammergericht. Die Schwaben betrachteten dies als Einschränkung ihrer Reichsunmittelbarkeit. Auch nach 1648 bestand Österreich auf allen aus Landgericht und Reichslandvogtei herleitbaren und die 'fürstliche Präeminenz' Habsburgs im 'Land zu Schwaben' konstituierenden Rechte. Versuche der Schwaben, mit Unterstützung des Schwäbischen Kreises den Reichstag und den Reichshofrat in den Konflikt einzuschalten, scheiterten am Widerstand Österreichs: Das Reich sei nicht befugt über 'jura austriaca' (österreichische Rechte) zu entscheiden. 1694 verband der schwäbische Kreis erstmals die Landgerichtsfrage mit seinen Kriegsleistungen und forderte die Trennung des Gerichts von der Reichslandvogtei und beider von Österreich. Die Belastungen durch die großen Kriege seit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert zwangen Österreich, die Konfrontation abzuschwächen. Es gestattete die Appellation vom Landgericht an die Reichsgerichte und akzeptierte sogar die Aufhebung von Urteilen des Landgerichts durch den Reichshofrat. Aber auch die Schwaben rückten von ihrem harten Kurs ab. Während des Österreichischen Erbfolgekriegs (1740-1748) befürchteten Grafen, Prälaten und Herren, dass die Reichslandvogtei und das Landgericht im Fall der Trennung von Österreich an Bayern fallen könnten. Die traditionelle 'Präeminenz' Habsburgs wollte man nicht gegen eine wittelsbachische eintauschen.

Seit dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts nahm die Bedeutung des nur noch in Vermögenssachen tätigen Gerichts ständig ab. 1752 wurde es der vorderösterreichischen Regierung in Freiburg/Breisgau unterstellt. Seit 1776 befasste sich die Oberste Justizstelle in Wien mit einer von den Schwaben seit langem geforderten Reform des Gerichts. Sie plante die Abschaffung von Acht und Anleite, eine eindeutige Festlegung seiner Kompetenzen und die Beschleunigung der Verfahren. Im Appellationsstreit fiel Wien auf alte Positionen zurück: Der Rechtszug an Reichsgerichte sollte nur erlaubt sein, wenn der Streitfall keine österreichischen Rechte berührte. Umgesetzt wurden diese Pläne nie, auch weil man neue Konflikte mit den Schwaben vermeiden wollte. Im Jahr 1800 verzichtete Österreich auf die Neubesetzung der Landrichterstelle. Damit war das Ende des Gerichts gekommen.

Zu einer zweiten Gruppe gehören die kaiserlichen Landgerichte der reichslehnbaren Landgrafschaften zwischen dem westlichen Bodensee und dem Rhein (Heiligenberg [Bodenseekreis], Nellenburg [Lkr. Konstanz], Stühlingen [Lkr. Waldshut], Baar, Breisgau), die ursprünglich Freiengerichte waren. Zu ihren vom Reichsoberhaupt regelmäßig bestätigten Kompetenzen zählten die Blutgerichtsbarkeit, Wildbann, Geleit und Zoll. Ihre Sprengel reichten aber weit über den territorialen Kernbereich der jeweiligen Grafschaft hinaus.

Der folgende Überblick beschränkt sich auf die im heutigen Bayern liegenden kaiserlichen Landgerichte der Grafschaft Marstetten, der Grafschaft Oettingen und des Stifts Kempten.

Landgericht Marstetten

Siegel des kaiserlichen Landgerichtes Marstetten. Abb. aus: Franz Ludwig Baumann, Geschichte des Allgäus, Bd. 2, 124. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 4613 k-2)

1342 übernahmen die Wittelsbacher das Erbe der im Mannesstamm ausgestorbenen Grafen von Graisbach-Neuffen-Marstetten. Der Zusammenhang zwischen Grafschaft, Herrschaft und Landgericht Marstetten ist noch ungeklärt. Da das Landgericht schon 1294 mit der Gerichtsstätte Memmingen nachweisbar ist, kann es keine Neugründung Kaiser Ludwigs des Bayern (reg. 1314-1347, Kaiser seit 1328) sein. Sein Ansehen als kaiserliches Landgericht verdankt es aber dem auch hausmachtpolitisch motivierten Bestreben des Kaisers und seines Sohnes Herzog Stephan II. (reg. 1347-1375), die Landgerichte im südlichen Schwaben neu zu strukturieren. Mit der Tätigkeit Stephans als Reichslandvogt in Oberschwaben (1343-1347) versuchte man auch, die Zusammenlegung des Landgerichts auf Leutkircher Heide mit dem oberschwäbischen Pirsgericht zu verbinden. Zwischen dem Marstettener und dem Leutkircher Landgericht bestanden enge Verbindungen. Bis 1380 konnten Freie von Leutkircher Heide auch Richter in Marstetten sein; zeitweise waren beide Richterämter in Personalunion vereint.

1376 wurde das Landgericht mit der Herrschaft Weißenhorn an die Herren von Rechberg verpfändet, die es 1424 als Afterpfand an die Reichsstadt Memmingen weitergaben. Obwohl die Landrichter im Namen der Herzöge von Bayern urteilten, galt es immer als ein 'kaiserliches' Gericht. 1457 erlaubte Kaiser Friedrich III. (reg. 1440-1493, Kaiser seit 1452) einem Memminger Bürger, 'des Reichs Frey Landgericht' mit anderen 'nyder Freyen' innezuhaben und Recht zu sprechen. Nach 1458 scheint es seine Tätigkeit aber eingestellt zu haben. Wie andere kaiserliche Landgerichte war es vornehmlich auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig gewesen. In der streitigen Gerichtsbarkeit verfügte es über Acht und Anleite. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag östlich der mittleren Iller. 1475 löste Herzog Ludwig IX. der Reiche von Bayern-Landshut (reg. 1450-1479) Herrschaft und Stadt Weißenhorn und das Landgericht von den Herren von Rechberg aus und bat Kaiser Friedrich III. um die Bestätigung des von ihm reaktivierten Gerichts.

Herzog Georg der Reiche von Bayern-Landshut (reg. 1479-1503) verlegte das Gericht nach Weißenhorn, wo es seit 1481 unter dem Vorsitz des dortigen bayerischen Pflegers tätig wurde. Der Herzog stellte das an sich überterritoriale Gericht ganz in den Dienst seiner Herrschaftsexpansion nach Schwaben. Es beanspruchte nun einen Sprengel zwischen Donau, Lech, Alpen und Bodensee; Geleitrechte zwischen Iller und Lech und Wildbannrechte zwischen Iller, Roth und Günz wurden als Zubehör des Gerichts eingefordert. Unter Missachtung ihrer Exemtionsprivilegien wurden Reichsunmittelbare und ihre Untertanen vor das Gericht gezogen und mit der Acht belegt. Besonders davon betroffen war die Reichsstadt Biberach. Im nördlichen Oberschwaben forderte das Gericht vorgeblich bayerische Besitz- und Lehnstitel zurück, und selbst die Grafen von Württemberg beschwerten sich über seine Eingriffe in ihre grund- und gerichtsherrlichen Rechte. 1479 und 1482 verbot Kaiser Friedrich III. dem Gericht, gegen Reichsunmittelbare tätig zu werden. Diese Konflikte trugen entscheidend zur Entstehung des Schwäbischen Bundes bei. Auf Druck des Bundes und nach wiederholtem Eingreifen König Maximilians I. (reg. 1486-1519, Kaiser seit 1508) stellte das Gericht 1489, endgültig 1492, seine Tätigkeit ein. Im 16. Jahrhundert betrachtete sich das österreichische Landgericht in Schwaben als sein Rechtsnachfolger im Gebiet östlich der Iller.

Landgericht Oettingen

Im Gegensatz zur älteren Literatur, die das kaiserliche Landgericht der Grafen von Oettingen aus dem alten Riesgaugericht herleitete, betont die jüngere Forschung, dass das Landgericht wie auch die "jüngere Grafschaft" Oettingen erst nach 1250 mit der Übernahme staufischer Positionen im Riesgebiet durch die Oettinger entstanden. Mit dem Landgericht schufen sie sich einen großen, über den engeren territorialen Verdichtungsraum der Grafschaft hinausreichenden Jurisdiktions- und Regaliensprengel. Die "jüngere" Grafschaft Oettingen glich mit Landgericht, Wildbann und Geleit den südschwäbischen Landgrafschaften. 1310 bestätigte König Heinrich VII. (reg. 1308-1313, Kaiser seit 1312) das Gericht, das seitdem als kaiserliches Landgericht galt.

Sein Sprengel wurde nach 1370 im oettingischen Lehensbuch verzeichnet und 1419 von König Sigismund (reg. 1410-1437) erneut bestätigt. Er umschloss das Ries und reichte im Norden bis nach Feuchtwangen (Lkr. Ansbach), im Westen bis Aalen (Baden-Württemberg). Grenze im Süden war die Donau zwischen Höchstädt a.d.Donau (Lkr. Dillingen/Donau) und Donauwörth (Lkr. Donau-Ries). Als Richter amtierten die Grafen oder von ihnen berufene Edelfreie; Urteilssprecher waren Ritter. 1399 erlaubte König Wenzel (reg. 1376-1400), das Gericht auch mit wappenfähigen Bürgern zu besetzen. Bis 1350 waren die wichtigsten Gerichtsorte der Goldberg bei Goldberghausen und das Kloster Kirchheim (beide Lkr. Ostalbkreis, Baden-Württemberg); weitere Malstätten waren der Leorn bei Deiningen und der Hünerlee bei Belzheim (beide Lkr. Donau-Ries), Hohenalfingen (Ostalbkreis, Baden-Württemberg), Weiltingen (Lkr. Ansbach) und Neresheim (Lkr. Ostalbkreis, Baden-Württemberg). Das Gericht war vornehmlich im Bereich der zivilen Gerichtsbarkeit tätig. Es richtete über strittige Dorfsachen, über Nutzungsrechte an Wasser, Weide und Weg, über Streitigkeiten um Zins, Gült, Erb und Eigen und über Schuldsachen. Als im 14. Jahrhundert die Strafgerichtsbarkeit zu einem wichtigen Herrschaftsmittel wurde, gliederten die Grafen die Landvogtei aus dem Landgericht aus. Der seit 1366 nachweisbare Landvogt urteilte über die vier "hohen Fälle" (Mord, Brand, Raub, Notzucht) und besaß die mittlere Strafkompetenz der fließenden Wunden, Friedbrüche und Flurfrevel. Sein Amtssprengel entsprach dem des Landgerichts. Eximiert von seiner Gerichtsbarkeit waren die Hochgerichtssprengel der engeren Grafschaft Öttingen und die Reichsstädte Nördlingen und Bopfingen, die auch vom Landgericht befreit waren. Bei Dörfern fremder Herren stand dem Landvogt die Jurisdiktion außerhalb Etters (Grenze des dörflichen [Nieder-]Gerichtssprengels) zu. Nicht mit dem Landgericht, sondern mit der Landvogtei gelang es, Gerichtskompetenzen fremder Herrschaften zu begrenzen und den Anspruch auf durchgehende Gerichtsbarkeit im Gesamtsprengel aufrecht zu erhalten. Seit dem frühen 15. Jahrhundert entschied das gräfliche Hofgericht auch Güterstreitigkeiten und Schuldklagen und stieg zur zentralen Justizbehörde auf.

Bei den Teilungen der Grafschaft Oettingen (1410, 1423) wurden Landvogtei und Hofgericht geteilt, nicht aber das Landgericht. Es trat immer mehr in den Hintergrund und stellte nach 1450 seine Tätigkeit ein. Sein 1419 privilegierter Sprengel wurde von den Grafen aber noch im 16. Jahrhundert als vornehmste Grundlage ihrer "Landsobrigkeit" betrachtet. Es gelang jedoch nicht, die Sprengelgrenze als Territorialgrenze zu etablieren. Von Norden rückten die fränkischen Hohenzollern vor; im Osten und Süden überschnitten sich die Sprengel der wittelsbachischer Landgerichte Graisbach und Höchstädt mit dem oettingischen Anspruchsbezirk.

Landgericht Kempten

Seit dem 9. Jahrhundert entfaltete das Kloster Kempten seinen Herrschaftsanspruch in der auf königlicher Schenkung beruhenden "marca Campidonensis". Das aus dem Gericht der hohen Vogtei dieses Immunitätsbezirks erwachsene kaiserliche Landgericht der "Grafschaft" Kempten tagte in Leubas (Kempten), Stielings (Lkr. Oberallgäu) und vor dem Kloster. Die Äbte setzten die Landrichter und die Urteilssprecher ein. Seinem Ursprung nach war das Landgericht ein Freiengericht. Es besaß den Blutbann und richtete über Freiheit, Erb, Eigen und Achtsachen. Unter den kaiserlichen Landgerichten Schwabens nahm das Kemptener Gericht eine Sonderstellung ein. Es hat nie einen überterritorialen, über seinen engeren Sprengel hinausreichenden Geltungsanspruch erhoben. Im Inneren der 'Grafschaft' diente es im Verbund mit den anderen Klostergerichten - dem Vogtgericht, das ebenfalls Hochgericht war, und den aus dem Hofgericht des Abtes entstandenen Dorfgerichten - dazu, die Herrschaft zu intensivieren und einen einheitlichen Untertanenverbund zu schaffen. Mit diesen Gerichten sicherten sich die Äbte das höchstmögliche Maß an Gerichtsrechten über die Einwohner, mochten sie Freie, Freizinser oder Leibeigene sein. Als sich unter dem Druck der Herrschaft immer mehr Freie in die Leibeigenschaft ergeben mussten, verlor das Landgericht seinen Charakter als Freiengericht. Dieser Prozess war im 16. Jahrhundert abgeschlossen.

Das Gericht blieb subsidiäres Herrschaftsinstrument der Äbte. Seine hochgerichtlichen Kompetenzen wurden durch die Einbeziehung von Falschmünzerei, Bigamie, Eidbruch und Ketzerei erweitert und intensiviert. Es wurde auch Appellationsinstanz für die Dorfgerichte. Im niedergerichtlichen Bereich war es zuständig für Streitigkeiten zwischen Untertanen des Klosters und denen fremder Herren, wenn der Streitwert über einem halben Gulden Hauptgeld lag.

Die besondere Bedeutung des Landgerichts lag darin, dass es als Hochgericht für die in der 'Grafschaft' Kempten liegenden Adelsherrschaften zuständig war. So konnten die Äbte verhindern, dass die Inhaber der vom Stift lehnsabhängigen Herrschaften Grönenbach (Lkr. Unterallgäu), Rothenstein (Gde. Bad Grönenbach, Lkr. Unterallgäu) und Kalden (Gde. Altusried, Lkr. Oberallgäu) den Blutbann vom Reich erwerben konnten. Übergriffe des Marstettener Landgerichts konnten 1481 abgewehrt werden. Im 16. Jahrhundert wurden die Beziehungen zum österreichischen Landgericht in Schwaben vertraglich geregelt. Aufgelöst wurde das Gericht erst 1803 im Zuge der Aufhebung des Fürststifts Kempten.

Literatur

  • Hans Erich Feine, Die kaiserlichen Landgerichte in Schwaben im Spätmittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 66 (1948), 148-235.
  • Joachim Fischer, Das kaiserliche Landgericht Schwaben in der Neuzeit, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 43 (1984), 237-286.
  • Georg Grube, Die Verfassung des Rottweiler Hofgerichts (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 55), Stuttgart 1969.
  • Elisabeth Grünenwald, Das älteste Lehenbuch der Grafschaft Oettingen. 14. Jahrhundert bis 1477, Oettingen 1975.
  • Max Gut, Das ehemalige kaiserliche Landgericht auf der Leutkircher Heide und in der Pirs. Ein Beitrag zur deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte (Urkundliche Beiträge zur Geschichte des bürgerlichen Rechtsganges 2), Berlin 1907.
  • Joseph Hahn, Krumbach (Historischer Atlas von Bayern. Teil Schwaben 12), München 1982.
  • Joachim Jahn/Hans-Wolfgang Bayer (Hg.), Geschichte der Stadt Memmingen. 1. Band, Stuttgart 1997.
  • Ludwig Margraf, Die Landeshoheit im Fürststift Kempten, Diss. iur. München 1961.
  • Ludwig Mayr, Marstetten.Ein Beitrag zur Lösung eines geschichtlichen Rätsels, in: Memminger Geschichtsblätter 7/5 (1921), 33-36; 8/1-2 (1922),1-6; 10/1-2 (1924),1-15.
  • Meinrad Schaab, Landgrafschaft und Grafschaft im Südwesten des deutschen Sprachgebiets, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 132 (1984), 31-55.
  • Dietmar Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt: Landesobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 11), Köln/Wien 1975.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Hans-Georg Hofacker, Kaiserliche Landgerichte in Schwaben, publiziert am 21.01.2015; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kaiserliche_Landgerichte_in_Schwaben> (28.03.2024)