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Poetenschulen

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Konrad Celtis hatte maßgeblichen Anteil an der Gründung der Nürnberger Poetenschule (Holzschnitt von Hans von Kulmbach, aus: Cvspinianvs Celti Vltimvm Vale [1508]). (Bayerische Staatsbibliothek, Rar. 585)
Zeichnung des Gymnasium Poeticum in Regensburg um 1550. (Historisches Museum der Stadt Regensburg, G 1956-38,2)
Gebäude der Poetenschule in München (ehem. auf der Nordseite des Frauenplatzes gelegen). Abb. aus: Anton Mayer, Die Domkirche zu Unserer Lieben Frau in München, München 1868, 180. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 1785 g)

von Wolfgang Mährle

Schulform des Humanismus, die im ausgehenden 15. Jahrhundert und im 16. Jahrhundert verbreitet war. Anders als die bisherigen Lateinschulen, die kirchliche Träger hatten, wurden Poetenschulen von den Städten finanziert. Sowohl das humanistische Bildungsprogramm als auch die Schülerschaft, die sich aus führenden gesellschaftlichen Schichten rekrutierte, verliehen ihnen einen elitären Charakter. Poetenschulen bestanden in einigen größeren Städten des heutigen Bayern. Die älteste entstand 1478 in München. An die Stelle der Poetenschulen traten im Laufe des 16. Jahrhunderts die Gymnasien.

Definition

Der Terminus "Poetenschule", der im ausgehenden 15. sowie im 16. Jahrhundert im südostdeutschen Raum verbreitet war, bezeichnete eine Lateinschule, die von einem humanistisch gebildeten Gelehrten ("Poeten") geleitet wurde und deren Lehrinhalte maßgeblich von den didaktischen Zielen des Humanismus, insbesondere der Sprachbildung, geprägt waren. Im Unterschied zu den herkömmlichen Lateinschulen bestanden Poetenschulen unabhängig von kirchlichen Einrichtungen. Ihre Finanzierung oblag jeweils dem Stadtrat bzw. kommunalen Ämtern.

Regionale Verbreitung

Poetenschulen existierten vor allem in größeren Städten. Sie lassen sich im Gebiet des heutigen Bayerns in vorreformatorischer Zeit in München (seit 1478) sowie in den Reichsstädten Nürnberg (1496-1509) und Regensburg (seit 1505) nachweisen. Darüber hinaus verfügten zu Beginn des 16. Jahrhunderts weitere altbayerische Kommunen (z. B. Burghausen, Landsberg am Lech) über Bildungseinrichtungen, die als Poetenschulen bezeichnet wurden; inwieweit diese Institutionen denjenigen in den größeren Städten vergleichbar waren, bedarf noch der näheren Untersuchung. Außerhalb Altbayerns waren Poetenschulen weniger verbreitet: In Franken stellte die Nürnberger Poetenschule die einzige humanistische Ratsschule dar. In Ostschwaben (heutiger bayer. Regierungsbezirk Schwaben) gab es keine derartigen Lehranstalten. Im späteren 16. Jahrhundert, von 1556 bis 1596, diente der Begriff Poetenschule der Benennung von zwei – nacheinander bestehenden – städtischen Bildungseinrichtungen in Landshut. Über eine Poetenschule verfügte seit 1529 auch das in unmittelbarer Nähe Altbayerns gelegene Salzburg.

Soziale Herkunft der Schüler und Lehrinhalte

Poetenschulen wiesen einen elitären Charakter auf. Dies zeigte sich zum einen an der sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft. Die Einrichtungen dienten vorrangig der Ausbildung von Kindern aus den führenden gesellschaftlichen Schichten. Zum anderen trug auch das humanistisch geprägte Lehrangebot der Poetenschulen, das zumeist nur unvollständig rekonstruiert werden kann, exklusive Züge. Die gehobenen Bildungsansprüche der modernen Ratsschulen lassen sich etwa daran erkennen, dass in einigen Institutionen neben der lateinischen auch die griechische Sprache unterrichtet wurde. Die Lehre in den Poetenschulen hatte universitätsvorbereitende Funktionen.

Konflikte mit bestehenden Schulen

Die Einrichtung und Förderung von humanistischen Bildungseinrichtungen durch städtische Magistrate führte vielfach zu Konflikten. Die Poetenschulen stellten eine Konkurrenz für bereits etablierte Lateinschulen dar. In der Reichsstadt Nürnberg entstanden etwa erhebliche Auseinandersetzungen zwischen den Lehrern und Schülern der 1496 gegründeten Poetenschule und der älteren Lateinschule bei St. Sebald. Zum Streit führten weniger Fragen des Lehrprogramms als vielmehr die Konkurrenz der beiden Bildungsinstitutionen um die zahlungskräftigen Schüler. Auch die Unabhängigkeit der Poetenschule von kirchlichen Einrichtungen spielte in den Konflikten in Nürnberg eine wichtige Rolle.

Existenzprobleme

In den meisten Städten, die Poetenschulen unterhielten, war die Existenz dieser Institutionen zumindest zeitweilig gefährdet. Dies hatte vor allem zwei Gründe: Erstens war die Förderung der modernen, vom Rat finanzierten Einrichtungen stark von politischen Strömungen innerhalb der Kommunen abhängig. Oft entschied das Engagement einiger weniger Personen über das (Weiter-)Bestehen einer Poetenschule. Zweitens stellte in manchen Städten die Konkurrenzsituation der schulischen Institutionen ein mittel- und langfristiges Problem für die Poetenschulen dar. In Kommunen, die ein differenziertes Bildungsangebot aufwiesen, gelang es den Poetenschulen nicht immer, die Exklusivität ihres humanistisch geprägten Lehrprogramms zu bewahren. Sobald in einer Stadt neben der Poetenschule auch andere Bildungseinrichtungen Lektionen "in arte humanitatis" anboten, minderte dies die Attraktivität der modernen Ratsschule erheblich.

Ende der Poetenschulen

Die Poetenschulen konnten sich in den einzelnen Kommunen unterschiedlich behaupten. Während etwa die Nürnberger Einrichtung bereits nach 13 Jahren der innerstädtischen Konkurrenz von vier Lateinschulen nicht mehr gewachsen war und geschlossen werden musste (1509), florierte die Münchner Poetenschule bis zur Gründung des Jesuitengymnasiums durch Herzog Albrecht V. (reg. 1550-1579) im Jahr 1559. Die 1505 gegründete Regensburger Poetenschule bildete die institutionelle Grundlage des späteren reichsstädtischen Gymnasiums.

Im 16. Jahrhundert setzten sich vor allem die Begriffe "Gymnasium", "Hohe Schule" und "Partikularschule" für universitätsvorbereitende schulische Institutionen durch, die im Gefolge der humanistischen Bildungsreformen entstanden.

Literatur

  • Rudolf Endres, Das Schulwesen in Franken im ausgehenden Mittelalter, in: Bernd Moeller/Hans Patze/Karl Stackmann (Hg.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1978 bis 1981, Göttingen 1983, 173-214 (hier 182-184).
  • Rudolf Endres, Das Schulwesen von ca. 1200 bis zur Reformation. Gesamtdarstellung, in: Max Liedtke (Hg.), Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. 1. Band: Geschichte der Schule in Bayern. Von den Anfängen bis 1800, Bad Heilbrunn/Oberbayern 1991, 141-188 (hier 163-165).
  • Walter Fürnrohr, Das Regensburger Gymnasium Poeticum, in: Max Liedtke (Hg.), Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. 1. Band: Geschichte der Schule in Bayern. Von den Anfängen bis 1800, Bad Heilbrunn/Oberbayern 1991, 456-465.
  • Reinhard Jakob, Spätmittelalterliche Schullandschaften in Franken und in Bayern 1250-1520. Ein Vergleich anhand ausgewählter Perspektiven und Beispiele, in: Helmut Flachenecker/Rolf Kießling (Hg.), Schullandschaften in Altbayern, Franken und Schwaben. Untersuchungen zur Ausbreitung und Typologie des Bildungswesens in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Beihefte der Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte B 26), München 2005, 157-182 (hier 167).
  • Wolfgang Mährle, Academia Norica. Wissenschaft und Bildung an der Nürnberger Hohen Schule in Altdorf (1575-1623), Stuttgart 2000 (hier: 46-48).
  • Karl Ernst Maier, Das Schulwesen von der Zeit der Reformation bis zur Aufklärung. Gesamtdarstellung, in: Max Liedtke (Hg.), Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. 1. Band: Geschichte der Schule in Bayern. Von den Anfängen bis 1800, Bad Heilbrunn/Oberbayern 1991, 349-383 (hier 356-357).
  • Alois Schmid, Das Gymnasium poeticum zu Regensburg im Zeitalter des Humanismus, in: Albertus-Magnus-Gymnasium Regensburg. Festschrift zum Schuljubiläum 1988, Regensburg 1988, 25-57.

Weiterführende Recherche

Empfohlene Zitierweise

Wolfgang Mährle, Poetenschulen, publiziert am 11.01.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Poetenschulen> (26.04.2024)