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Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ), 1922-1933

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Ausflug der Arbeiterjugend, München 1911. (Archiv der Arbeiterjugendbewegung, AAJB 1/209)
Begrüßungfeier zum Deutschen Arbeiterjugendtag 1923. Abb. aus: Unser Weg. Bericht des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend über das Jahr 1923, Berlin 1924, vor 1. (Bayerische Staatsbibliothek, Cam. 602 x-1923)
Am 11./12. August 1923 fand der Deutsche Arbeiterjugendtag in Nürnberg statt. Das Foto zeigt die Republikfeier auf dem Luitpoldhain. Abb. aus: Unser Weg. Bericht des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend über das Jahr 1923, Berlin 1924, nach 16. (Bayerische Staatsbibliothek, Cam. 602 x-1923)
Sogenannte Morgenfeier - ein Jugendfest, das im "Schmausenbuck", einer Anhöhe am östlichen Stadtrand von Nürnberg am Morgen des 12. August 1923 während des Deutschen Arbeiterjugendtages stattfand. Abb. aus: Unser Weg. Bericht des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend über das Jahr 1923, Berlin 1924, nach 16. (Bayerische Staatsbibliothek, Cam. 602 x-1923)
Im Münchner Sozialistischen Arbeiter-Jugendverein fand 1924 zu Weihnachten eine Ausstellung mit selbstgefertigten Gegenständen statt. Abb. aus: Unser Weg. Bericht des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend über das Jahr 1923, Berlin 1924, nach 48. (Bayerische Staatsbibliothek, Cam. 602 x-1923)
Titelblatt des Mittelungsblattes "Jugendstimme" der Sozialistischen Arbeiter-Jugend Frankens. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bavar. 3191 a-1/3)
Theatergruppe der Sozialistischen Arbeiterjugend München-Ost, Aufnahme um 1929. (Archiv der Arbeiterjugendbewegung, AAJB 2/1505)
Spielzug der SAJ München-Süd. Auf die Rückseite der Postkarte schrieb Waldemar von Knoeringen (1906-1971) am 5. Februar 1933: "Liebe Genossin Häfner! Der heutige Tag läßt mir die Voraussicht, daß ich morgen noch nicht dienstfähig sein werde. Ich hoffe, von Ihnen Nachricht, ob Sie am Donnerstag um ein Uhr noch Zeit haben, zu erhalten. Mit Freiheit." (Archiv der Münchner Arbeiterbewegung)

von Günther Gerstenberg

Sozialdemokratisch orientierter Jugendverband von 14- bis 18-Jährigen (seit 1926 der 14- bis 20-Jährigen) mit eigener ausgeprägter Programmatik. Seine Hauptaufgabe sah er darin, die "Forderungen der Arbeiterjugend auf sozialem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet" zu vertreten und "seine Mitglieder im Geiste der sozialistischen Weltanschauung zu erziehen". 1933 wurde die SAJ verboten.

Vorgeschichte

Im Herbst 1904 entstanden in Mannheim und in Berlin die ersten selbständigen gewerkschaftsähnlichen Jugendorganisationen. Lehrlinge und junge Arbeiter litten noch mehr als Erwachsene unter den Drangsalierungen der Lehrherren, unter der langen Arbeitszeit, dem geringen Lohn und den ungesunden Wohnungen. Der parallel stattfindende Aufbruch des bürgerlichen "Wandervogels" war der Anlass, sich ebenfalls zusammenzuschließen und gemeinsam Verbesserungen zu fordern. 1914 gehörten etwa 100.000 Jugendliche den verschiedenen, mit lokalen Besonderheiten ausgestatteten Arbeiterjugendorganisationen an.

Zunächst verfolgte die Arbeiterjugend wirtschaftliche Ziele. Die "Lehrlingszüchterei" war besonders im Mittelstand eine beliebte Methode, Kosten einzusparen. Lehrlinge wurden in Massen aufgenommen, das Lehrgeld gerne angenommen. Sie wurden schlecht oder gar nicht ausgebildet, lediglich als billige Arbeitskräfte ausgenutzt, willkürlich schikaniert und schließlich am Ende der Lehrzeit wieder entlassen, um einen neuen Lehrling einzustellen. Der Arbeiter-Jugend ging es dagegen um eine gute Ausbildung, um Arbeitszeitverkürzung und um die Einschränkung des Züchtigungsrechts der Lehrherrn.

Der "neue Mensch"

Die Jugendlichen wollten mehr als die Volksschulausbildung der Kaiserzeit und staatliche Jugendfürsorge. Aufklärung und Bildung waren für sie auch Voraussetzung, um sich Selbstbewusstsein zu erwerben. Der "neue Mensch" sollte sich von bürgerlichen und kapitalistischen Einflüssen lösen und fähig werden, eine "neue Welt" zu bauen, in der Gewalt und Ausbeutung der Natur und des Menschen durch den Menschen unbekannt sind. (Parallel zu dieser Entwicklung emanzipierte sich auch die bürgerliche Jugend in der bündischen Jugend und in der freideutschen Bewegung.)

Generationenkonflikt

Für viele Jugendliche hatte die "alte Generation" versagt. Sie wollten mit einem völlig neuen Lebensstil der patriarchalisch-autoritären Tradition Paroli bieten. Klassenkampf, Lebensreform, Freidenkertum, Antimilitarismus, Vegetarismus, freie Sexualität und Gleichstellung von Mann und Frau, Diskussionen, Wanderungen, Spiel, Gesang und Tanz, Kampf gegen die bürgerliche Kultur, radikale Ablehnung von Nikotin, Alkohol und Schundliteratur wurden Bestandteile der Jugendkultur. Schon äußerlich zeigten sich Unterschiede: Die Jugend trug Fahrtenkittel, Sandalen, kniefreie Wanderhosen, Schillerkragen und Hängekleider; die gebräuchlichen Musikinstrumente waren Mundharmonika, Geige, Gitarre, Laute und Mandoline.

Der "Geist von Weimar": Reichsjugendtag 1920

Am 28. und 29. August 1920 fand in Weimar der Reichsjugendtag statt. Die Wahl des Ortes war programmatisch. Der schwärmerische "Geist von Weimar" sollte die 2.000 angereisten Jugendlichen auf Republik, Demokratie, Frieden, Völkerversöhnung und das klassische Erbe deutscher Kultur einschwören. Aus Bayern waren keine Jugendlichen vertreten. Die Tage von Weimar strahlten Aufbruchstimmung jedoch ins ganze Reich aus, auch nach Bayern.

Gründung der SAJ in Nürnberg 1922

Am 29. Oktober 1922 vereinigte sich der sozialdemokratisch orientierte "Verband der Arbeiterjugendvereine Deutschlands" in Nürnberg mit der USPD-nahen "Sozialistischen Proletarierjugend" zur "Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands" (SAJ) - analog zur Vereinigung von (M)SPD und USPD im selben Jahr.

Reichsjugendtag 1923 in Nürnberg

Am 11. und 12. August 1923 fand der Reichsjugendtag in Nürnberg statt. Die Wahl des Austragungsortes fiel bewusst auf Nürnberg als Arbeiterstadt und republikanisch-"rote" Insel in der "Ordnungszelle Bayern". Am 11. August, dem Verfassungstag, demonstrierten 50.000 Jugendliche, die trotz aller materiellen Not während der Hyperinflation aus dem ganzen Reich gekommen waren, auf verschlungenen Wegen auch aus den besetzten Gebieten im Rheinland. Am Straßenrand stehende Nationalsozialisten beschimpften und bedrohten die oft völlig überraschten Jugendlichen. Im Anschluss trafen sich 250.000 Teilnehmer im Luitpoldhain zu einer republikanischen Kundgebung und Verfassungsfeier und umringten anschließend den Dutzendteich mit Tausenden von Fackeln.

Niedergang nach 1923

Wirtschaftskrise, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Enttäuschungen über allzu schleppende Verbesserungen der Lage der arbeitenden Jugend sowie die latente Unzufriedenheit über die Zusammenarbeit der SAJ mit bürgerlich-republikanischen Jugendverbänden ließen die Mitgliederzahlen seit 1923 sinken. Dazu kam, dass die Bayerische Staatsregierung die SAJ überwachen ließ und die Behörden teilweise Schulräume als Gruppentreffs verweigerten.

Autonome sozialistische Jugendbewegung oder Jugendverband der Partei?

Karl Bröger (1886-1944), neben Franz Osterroth (1900-1986) das profilierteste Mitglied des in Opposition zur SPD stehenden "Hofgeismar-Kreises", fasste im Gegensatz zur traditionellen sozialdemokratischen Einstellung von Max Westphal (1895-1942, SAJ-Vorsitzender 1922-1926) und Erich Ollenhauer (1901-1963) die SAJ in erster Linie als Jugendbewegung zur kulturellen Erneuerung der Gesellschaft auf. Dennoch änderte sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre das Klima in der SAJ. Unter dem Einfluss der SPD machten antiautoritäre Positionen und lebensreformerischer Habitus einem uniformierten und disziplinierten Auftreten Platz. Windjacken, blaue Blusen, rote Halstücher und rote Fahnen dominierten ab 1927 die von Fanfaren, Pfeifen und Trommeln begleiteten Aufmärsche der SAJ. Zugleich häuften sich die Konflikte mit den von der Partei eingesetzten Jugendleitern.

Konflikte zwischen SAJ und SPD

Der Vormarsch der Nationalsozialisten seit 1930 beschleunigte die Entfremdung zwischen SAJ und SPD. Die Jugendlichen, welche die Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen suchten, sahen sich immer wieder durch restriktive Vorschriften der SPD-Führung gegängelt, die, von einem bürgerlichen Erziehungsverständnis geprägt, auf Parteidisziplin beharrte. Es kam zu Parteiausschlüssen; viele Jugendliche aber verließen auch die SAJ und schlossen sich linkssozialistischen und kommunistischen Verbänden an, die ein radikaleres Vorgehen gegen die Nationalsozialisten versprachen.

Angriffe der Nationalsozialisten

Die SA beherrschte nicht nur die Straße; 1932 häuften sich Überfälle auf bayerische Jugendheime, so in Wendelstein (Lkr. Roth) und in Bad Windsheim. Am 18. Februar 1932 drangen 40 bis 50 Nationalsozialisten in das Heim der SAJ am Platnersberg (Nürnberg) ein und gingen mit Gummiknüppeln, Eisenstangen, Schlagringen und Stühlen auf zwölf anwesende Jugendliche los. Erst auf den Ruf "Polizei" verschwanden die Nationalsozialisten. Am 4. August 1932 kam es zu einem Brandanschlag auf das SAJ-Heim in der Münchner Dom-Pedro-Straße. Führende Sozialdemokraten beklagten in der Parteipresse, dass die bayerischen Behörden diese Übergriffe nur zögerlich oder gar nicht verfolgten. Dagegen untersagte die Bayerische Staatsregierung Jugendlichen und Kindern die Mitgliedschaft bei der SAJ und bei den "Kinderfreunden".

Das Ende 1933

Am 23. Februar 1933, wenige Tage vor dem Reichstagsbrand in Berlin, rief der SAJ-Vorsitzende Erich Ollenhauer die Jugendlichen auf, "nur auf dem Boden der Verfassung zu handeln". Am 11. März wurde die SAJ von den Nationalsozialisten verboten, ihre prominenten Mitglieder und Funktionäre wurden verfolgt und interniert.

Literatur

  • Erich Eberts, Arbeiterjugend 1904-1945. Sozialistische Erziehungsgemeinschaft - Politische Organisation (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Jugendbewegung 20), Frankfurt am Main 1980.
  • Bernd Kammerer/Reiner Prölß, Arbeiterjugendtag 1923-1983. Die Sozialistische Arbeiterjugend in Nürnberg, Nürnberg 1983.
  • Cornelius Schley, Die Sozialistische Arbeiterjugend Deutschlands (SAJ). Sozialistischer Jugendverband zwischen politischer Bildung und Freizeitarbeit (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Jugendbewegung 30), Frankfurt am Main 1987.
  • Johannes Schult, Aufbruch einer Jugend. Der Weg der deutschen Arbeiterjugendbewegung, Bonn 1956.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Günther Gerstenberg, Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ), 1922-1933, publiziert am 13.07.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Sozialistische_Arbeiterjugend_(SAJ),_1922-1933 (19.04.2024)