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Volksgerichte, 1918-1924

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Im Münchner Amtsgericht fanden unter anderem die Verhandlungen des Volksgerichtes gegen Anton Graf Arco (1897-1945) wegen der Ermordnung von Kurt Eisner (1867-1919) und der Prozess gegen Alois Lindner (1887-n.1943) wegen des Attentatsversuch auf Erhard Auer statt. Abb aus: Bayerischer Architekten- und Ingenieurverein [Hg.], München und seine Bauten, 468 (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bavar. 3234 g-1)
Justizpalast in Bayreuth. Auch im dortigen Gebäude fanden Volksgerichtsverhandlungen statt. (Foto von Bubo lizensiert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

von Franz J. Bauer

Von November 1918 bis Mai 1924 in Bayern bestehende Sonderjustiz zur beschleunigten Aburteilung bestimmter Straftaten. Die Volksgerichte unterschieden sich von den regulären Strafgerichten durch ein summarisches Verfahren und das Fehlen aller Rechtsmittel gegen ihre Entscheidungen. Eingesetzt von der revolutionären Regierung Eisner, übernommen und den veränderten politischen Umständen angepasst durch die bürgerlich-sozialdemokratische Regierung Hoffmann, dienten sie schließlich den von der Bayerischen Volkspartei (BVP) gestützten autoritär-rechtskonservativen Beamtenkabinetten von Kahr bis Knilling als Mittel einer politischen Justiz zur Durchsetzung des Konzepts von der 'Ordnungszelle Bayern'. Der letzte Fall, der von einem Volksgericht erledigt wurde, war das Hochverratsverfahren gegen Hitler und Ludendorff nach deren Putschversuch vom 8./9. November 1923.

Einsetzung von Volksgerichten durch die Regierung Eisner

Mit Verordnung vom 16. November 1918 schuf die Regierung Eisner zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, anknüpfend an die Tradition des alten, zur Bekämpfung von Aufruhr angelegten Standrechts, eine Sondergerichtsbarkeit für die beschleunigte Aburteilung und verschärfte Ahndung bestimmter schwerer Straftaten wie Mord, Totschlag, Raub, Plünderung, Notzucht und Brandstiftung. Das Eigentümliche der Volksgerichte gegenüber den regulären Strafgerichten bestand in dem summarischen, also stark verkürzten Verfahren, dem Fehlen von Berufung und Revision und der sofortigen Vollstreckbarkeit der Urteile. Ein Spezifikum, für welches die Befürworter den Bonus rechtspolitischer Modernität in Anspruch nahmen, war die 'volks'richterliche Komponente: Von den fünf Richtern eines Volksgerichts sollten nur zwei Berufs-, drei aber Laienrichter sein. Noch im Winter 1918/19 entstanden Volksgerichte in jedem Landgerichtsbezirk des rechtsrheinischen Bayern, während in der französisch besetzten Pfalz ihre Einrichtung unterblieb.

Funktionswandel der Volksgerichte zu Instrumenten politischer Justiz

Verhandlungssaal in der Kaserne der Infanterieschule Blutenburgstraße beim Prozess gegen die Teilnehmer des Hitler-Putsches am 3. März 1924. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-6625)

Nachdem zur Niederschlagung der Münchner Räterepublik neben den Volksgerichten vorübergehend auch militärische Standgerichte auf der Grundlage des bayerischen Kriegszustandsrechts eingeführt worden waren, stellte die Regierung Hoffmann mit dem Gesetz über die Einsetzung von Volksgerichten bei inneren Unruhen vom 12. Juli 1919 die Sondergerichtsbarkeit in Bayern auf eine rechtssystematisch einheitliche Grundlage. In dieser Form blieben die Volksgerichte bestehen und in Aktion bis Mai 1924, also weit über die kurzlebige revolutionäre Phase hinaus, in der sie entstanden und auf deren Bewältigung hin sie ausgerichtet waren. Sie dienten dabei als strafrechtliche Instrumente für die von der BVP getragene Politik der 'Ordnungszelle Bayern', die nach der putschartigen Beseitigung der Regierung Hoffmann im Frühjahr 1920 die mit der Novemberrevolution 1918 eingetretene politische Entwicklung revidieren sollte. Insgesamt wurden in Bayern von den Volksgerichten mehr als 31.000 Urteile gefällt. Die Volksgerichte waren dabei für zahlreiche problematische Entscheidungen - harte Strafen gegen die Anhänger der Räterepublik, Nachsicht gegenüber politischen Extremisten von rechts - verantwortlich, zuletzt mit dem Skandalurteil im Hitler-Ludendorff-Prozess.

Verfassungsrechtliche Bewertung

Die verfassungsrechtliche bzw. verfassungsgeschichtliche Würdigung des Phänomens kommt heute zu dem eindeutigen Schluss, dass das bayerische Volksgerichtsgesetz von 1919 mit der Weimarer Reichsverfassung nicht vereinbar war. Die bayerischen Volksgerichte waren mithin verfassungsrechtlich inakzeptable Ausnahmegerichte. Die von ihnen nach dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung gefällten Urteile müssen daher als nichtige, d.h. rechtsungültige Urteile bezeichnet werden.

Dokumente

Literatur

  • Otto Gritschneder, Das mißbrauchte bayerische Volksgericht, in: Lothar Gruchmann/Reinhard Weber/Otto Gritschneder (Bearb.), Der Hitler-Prozeß 1924. Wortlaut der Hauptverhandlung vor dem Volksgericht München I. Teil 1: 1.-4. Verhandlungstag (Hitler. Reden. Schriften. Anordnungen), München 1997, XVII-XLI.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Franz J. Bauer, Volksgerichte, 1918-1924, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Volksgerichte,_1918-1924> (19.03.2024)