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Borstei, München

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Luftansicht der Borstei. (Postkarte, nicht datiert)
Wohnblock der Borstei, Gasspeicher, Städtisches Gaswerk; Kriegszerstörungen 1945. Fotograf: Johann Vorzellner. (Bayerische Staatsbibliothek, hoff-65702)
Blick in den Innenhof der Borstei, nach 1945. Fotograf: Johann Vorzellner. (Bayerische Staatsbibliothek, hoff-65707)
Büste von Bernhard Borst (1883-1963). Bildhauer: Richard Knecht. Fotografie von 1933. (Bayerische Staatsbibliothek, hoff-8757)

von Klaus Weschenfelder

Wohnquartier im Nordwesten Münchens, zwischen 1924 und 1929 von dem Bauunternehmer und Architekten Bernhard Borst (1883-1963) errichtet und seit 1929 nach ihm benannt.

Die Borstei in München - ein konservatives Siedlungsmodell

Die Borstei ist eine Siedlung mit 774 Wohnungen in 77 Häusern, die in den Jahren 1924 bis 1929 durch den Baumeister Bernhard Borst (1883-1963) an der Dachauer Straße in München errichtet wurde. Ihren Charakter als Mustersiedlung verdankt sie der konsequenten Anwendung traditioneller Bauformen, einer detailreichen Durchgestaltung der Fassaden und des Inneren der Häuser, der Anlage und der künstlerischen Ausschmückung von Gärten in den Innenhöfen und der bewussten Beeinflussung der Mieter durch den Bauherrn im Hinblick auf Einrichtungsfragen und auf Formen des Zusammenlebens im Mietwohnungsbau. Hohe Wohnqualität und betont individualistische Vorstellungen in gesellschaftlicher Hinsicht machen die Borstei zu einem einzigartigen konservativen Gegenmodell zu den Konzepten des "Neuen Bauens" in der Architektur der 1920er Jahre.

Von der Villa über das Reihenhaus zum Siedlungsbau

Bernhard Borst begann nach einer Maurerlehre und dem Besuch der Kgl. Baugewerkschule in München seine berufliche Laufbahn 1907 als Mitarbeiter in Architekturbüros und Baugesellschaften, wo er am Villenbau mitwirkte sowie Einfamilien- und Reihenhäuser entwarf. In dieser Zeit lernte er die Architekten August Exter (1858-1933) und Theodor Fischer (1862-1938) kennen, die ihn stark beeinflussten. Nach 1912 war Borst hauptsächlich als Bauunternehmer tätig. 1923 erwarb er einen großen Bauplatz an der Dachauer Straße. Die drückende Wohnungsnot in München nach dem Ersten Weltkrieg und das von der Stadt aufgelegte, mit zinsgünstigen Darlehen ausgestattete "Ordentliche Bauprogramm" nutzte Borst, um seine Siedlung zu verwirklichen. Es entstand eine geschlossene Wohnanlage, die einem klaren architektonischen Bekenntnis folgte. Sein Ziel war es, die kostengünstige Mietwohnung mit den Vorzügen des Einfamilienhauses zu verbinden.

Der Architekt als Erzieher und Mäzen

Von 1925 bis 1931 gab Borst auf eigene Kosten die Zeitschrift "Baukunst" heraus, die in Beiträgen angesehener Architekten die Vorzüge des traditionsgebundenen Bauens darstellte. In der Borstei setzte er diese Vorstellungen um: Der unregelmäßige Grundriß der Gesamtanlage sollte an eine organisch gewachsene Stadt erinnern; die Ziegelbauweise und die Verwendung von Nagelfluh, Putzflächen und Wandmalerei sind typische traditionelle Materialien und Dekorationsformen; die mit soliden Materialien ausgestatteten Wohnungen erhielten keine Balkone und Loggien, um die Privatsphäre ihrer Mieter zu schützen; Versorgungseinrichtungen wie Fernheizwerk und Wäscherei wurden errichtet, um Komfort zu erzielen und zugleich um Reibungspunkte bei der Benutzung von Gemeinschaftsanlagen zu vermeiden. In den Innenhöfen entstanden unter Mitwirkung des Gartenarchitekten Alwin Seifert (1880-1972) beschauliche Gärten mit Skulpturen und Brunnen, ein Spielplatz lag am Rande der Anlage. 1928 gab Borst sein Bauunternehmen auf, um sich allein seiner Siedlung zu widmen. Er trat für die Gemeinschaft der Siedlungsbewohner als Mäzen in kulturellen und sozialen Belangen auf. In bester erzieherischer Werkbundtradition veranstaltete Borst 1929 eine Musterausstellung und engagierte eine Kunsthistorikerin, um seine Mieter bei der Wohnungseinrichtung beraten zu können. Aus einem Preisausschreiben, das Borst im selben Jahr zur Gewinnung eines Namens für die Siedlung veranstaltete, ging die Bezeichnung "Borstei" hervor.

Konservatives Siedlungsmodell

In seiner Siedlung schuf Borst eine bürgerliche Kultiviertheit, eine an visuellen Reizen reiche Beschaulichkeit und eine von Individualität und Privatheit geprägte Form des Zusammenwohnens, die sich ausdrücklich unterschied vom genossenschaftlich orientierten "Sozialen Wohnungsbau" mit seinen modernen Bauformen (Zeilenbauweise, Flachdach, "soziales Grün"). Als er im Februar 1933 seinen Mietern das Aushängen von Hakenkreuzflaggen untersagte, um die Ästhetik der Hausfassaden nicht beeinträchtigt zu sehen, zog das heftige Angriffe der NSDAP im "Völkischen Beobachter" nach sich (28. Februar 1933).

Die Mieter der Borstei stammten von Anfang an aus der bürgerlichen Mittelschicht (Beamte, Geschäftsleute, freie Berufe, darunter auch Künstler). Die Siedlung wurde im Zweiten Weltkrieg nur geringfügig in Mitleidenschaft gezogen. Sie ist heute noch wegen ihrer Wohnqualität sehr geschätzt, was sich auch in einer geringen Fluktuation der Mieter ausdrückt. Die Borstei ist Eigentum einer Erbengemeinschaft und geht nach dem Tode des letzten Enkels von Bernhard Borst an die Stadt München über.

Literatur

  • Klaus Weschenfelder, Die Borstei in München. Ein konservatives Siedlungsmodell der Zwanziger Jahre (Miscellanea Bavarica Monacensia 99), München 1980.
  • Axel Winterstein, Borstei: Bernhard Borst - Leben für eine Idee, München 2005.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Klaus Weschenfelder, Borstei, München, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Borstei,_München> (29.03.2024)