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Bayerische Landesbauernkammer, 1920-1933

Aus Historisches Lexikon Bayerns

(Weitergeleitet von Bayerische Landesbauernkammer, 1920-1933)
Titelblatt des 1. Bandes der durch die bayerische Landesbauernkammer herausgegebenen Druckreihe "Die Produktions- und Absatzverhältnisse der bayerischen Landwirtschaft im Rahmen der deutschen und ausländischen Wirtschaftsverhältnisse", München u. a. 1931 ff.

von Claudia Friemberger (†)

Die bayerische Landesbauernkammer, die zeitgenössisch auch als Bauernparlament bezeichnet wurde, war das Spitzengremium der bayerischen Bauernkammern. Sie wurde per Gesetz vom 20. März 1920 eingerichtet und 1933 wieder aufgelöst. Diese berufsständische Interessenvertretung wurde von Vertretern der Bayerischen Volkspartei (BVP) als erster Schritt auf dem Weg zur Errichtung einer berufsständischen zweiten Kammer gesehen. Die Landesbauernkammer engagierte sich vor allem auf wirtschafts- und steuerpolitischem Gebiet. Während der gesamten Zeit ihres Bestehens war Michael Horlacher (1888-1957, BVP) ihr geschäftsführender Direktor. Präsident der Kammer war von 1920 bis 1925 Georg Heim (1865-1938, BVP) und von 1925 bis 1933 Karl Prieger (1864-1942, Bauernbund).

Vorgeschichte und Entstehung 1920

Das Gesetz über die Bayerischen Bauernkammern wurde am 20. März 1920 vom Bayerischen Landtag erlassen (Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Bayern, 24. März 1920). Forderungen nach einer landwirtschaftlichen Berufsvertretung waren schon lange vor der Revolution laut geworden, so von dem Zentrumspolitiker und Vorsitzenden des Christlichen Bauernvereins Georg Heim (1865-1938) 1907 in der Bayerischen Kammer der Abgeordneten. Auch vom Innenministerium in den Jahren 1909 und 1917 ausgearbeitete Entwürfe waren ohne konkrete Folgen geblieben.

Wurzeln der Landesbauernkammer

  • Landwirtschaftlicher Verein (gegründet 1810): Dieser war einerseits eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit dem Recht auf Selbstverwaltung, andererseits die offizielle Berufsvertretung der bayerischen Landwirtschaft mit halbamtlichem Charakter. Er wurde mit der konstituierenden Sitzung der Bauernkammer am 9. August 1920 zu einer freien Organisation, seine Tätigkeit als offizielle landwirtschaftliche Berufsvertretung war damit beendet.
  • Parlamentarischer Bauernrat (gegründet am 8. November 1918): Dieser wurde von der Regierung Kurt Eisners (1867-1919) nicht nur als Bestandteil des Provisorischen Nationalrats, sondern auch als offizielle landwirtschaftliche Berufsvertretung behandelt. Er wurde mit Amtsantritt der Bauernkammer aufgehoben.
  • Zweckverband landwirtschaftlicher Körperschaften (gegründet am 6. April 1919): Dieser wurde vom - der BVP nahestehenden - Bauernverein, der den Bauernrat nicht als Berufsvertretung anerkannte, gegründet. Er wurde nach der Schaffung der Bauernkammer aufgelöst.

Bezeichnung und verfassungspolitischer Hintergrund

Die Bezeichnung der neu geschaffenen Institution war im (Räte-)Ausschuß zum Entwurf eines Gesetzes über die land- und forstwirtschaftliche Berufsvertretung zunächst umstritten (Verhandlungen des Bayerischen Landtags, Sitzung am 18.03.1920, 564). Der Bayerische Bauernbund hatte als Benennung "Bauernräte" propagiert. Um aber den Eindruck der Kontinuität zwischen den revolutionären Bauernräten und der neu zu schaffenden Bauernvertretung zu vermeiden, fiel im Ausschuss vornehmlich mit den Stimmen der Bayerischen Volkspartei (BVP) die Entscheidung für die Bezeichnung Bauernkammer. Vertreter der BVP, insbesondere Georg Heim und Sebastian Schlittenbauer (1874-1936), sahen die Bauernkammer als einen Baustein für die Errichtung einer berufsständischen zweiten Kammer an. Schon während der Beratungen sowohl zur bayerischen als auch zur Weimarer Reichsverfassung hatte sich die BVP ergebnislos für die Errichtung eines Zweikammersystems eingesetzt. Die Forderungen nach einem Zweikammersystem, nach einem bayerischen Staatspräsidenten und hinsichtlich der Erleichterung von Volksbegehren werden einerseits als Versuch der Stärkung der bayerischen Staatspersönlichkeit (Bares-Rauen, Entwicklungsgeschichte, 178) und andererseits als Reserve gegenüber dem Parlamentarismus (Fenske, Konservativismus, 67) gedeutet. Zeitgenössisch wurde die Landesbauernkammer von ihren Mitgliedern auch als "Bauernparlament" bezeichnet.

Aufgaben der Landesbauernkammer (Gesetz über die Bauernkammern 1920, Artikel 5)

  • Schutz und Vertretung der landwirtschaftlichen Interessen in allen Fragen der Wirtschafts-, Handels- und Steuerpolitik
  • Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugung auf allen Gebieten
  • Mitwirkung bei den von der Staatsregierung für landwirtschaftliche Zwecke geschaffenen Einrichtungen
  • Mitwirkung in Fragen des ländlichen Wohnungs- und Schätzungswesens
  • Erhaltung und Förderung bestehender sowie Schaffung und Verwaltung neuer ständischer Einrichtungen zur Verbesserung der Lage des landwirtschaftlichen Berufsstandes
  • Förderung der wirtschaftlich zweckmäßigen Verwertung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse
  • Mitwirkung bei der Vermittlung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte
  • Ausbau und Förderung des landwirtschaftlichen Unterrichts-, Versuchs- und Forschungswesens
  • Mitwirkung bei der Sicherung der Volksernährung

Organisation und Wahlen

Die Bayerische Landesbauernkammer war reichsweit die einzige mit hierarchischem Unterbau. Dieser orientierte sich an der dreistufigen Gliederung der staatlichen Verwaltungsbehörden: Neben dem Spitzengremium gab es in den acht Regierungsbezirken je eine Kreisbauernkammer und insgesamt 207 Bezirksbauernkammern. Die Wahl der insgesamt 48 Mitglieder der Landesbauernkammer erfolgte durch die auf der Ebene der Regierungsbezirke ("Kreise") angesiedelten Kreisbauernkammern. Diese wählten pro Regierungsbezirk jeweils sechs Personen, von denen mindestens fünf ausübende Landwirte sein mussten - die Wahl erfolgte zunächst im Mehrheitswahlverfahren und ab 1930 im Verhältniswahlverfahren. Die 48-köpfige Landesbauernkammer, die 1920, 1925 und 1930 gewählt wurde, setzte sich in den 13 Jahren ihres Bestehens ausschließlich aus männlichen Mitgliedern zusammen.

Die Landesbauernkammer als Gremium

In den 13 Jahren ihres Bestehens tagte die Landesbauernkammer, die ihren Dienstsitz in München in der Kanalstraße 29 hatte, mit ihren 48 Mitgliedern in drei Wahlperioden insgesamt 40 Mal: 21 Mal in der ersten Wahlperiode 1920 bis 1925, 14 Mal in der zweiten Wahlperiode 1925 bis 1930 und fünf Mal in der durch die erzwungene Auflösung verkürzten dritten Wahlperiode 1930 bis 1933. Die erste Sitzung fand am 9. August 1920, die letzte am 24. September 1932 statt. Das Gremium tagte in der Regel öffentlich.

Stenographische Berichte über die Verhandlungen der Bayerischen Landesbauernkammer

Zu den Verhandlungen der Bayerischen Landesbauernkammer liegen Stenographische Berichte vor, die sich in ihrem äußeren Erscheinungsbild entsprechend dem Selbstverständnis der Kammer als "Bauernparlament" an den stenographischen Berichten des Bayerischen Landtags orientieren. Die Protokolle (BLO: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der Bayerischen Landesbauernkammer) liegen ebenso wie die Tätigkeitsberichte der Landesbauernkammer (BLO: Tätigkeitsberichte des geschäftsführenden Direktors der Landesbauernkammer, 1921-1932) digital vor.

Die Rechte der Landesbauernkammer

Die Zusammenarbeit zwischen den Bauernkammern und den staatlichen Behörden lief auf der jeweils gleichgeordneten Verwaltungsebene, das heißt, die Landesbauernkammer konnte sich als Spitzengremium mit ihren Anträgen an die Staatsministerien wenden. Die Staatsregierung war wiederum verpflichtet, diese Anträge zu behandeln. In den meisten anderen deutschen Ländern waren die Staatsregierungen hierzu nicht verpflichtet, ebensowenig mussten diese Regierungen die Kammern bei der Entscheidung wichtiger, die Landwirtschaft berührender Angelegenheiten anhören. In Bayern war dies hingegen der Fall. War die Staatsregierung für die Anträge der Landesbauernkammer nicht zuständig, musste sie diese dem Landtag vorlegen.

Andererseits waren die Bauernkammern aller drei Ebenen verpflichtet, zu ihren Sitzungen Vertreter der gleichgeordneten Staatsbehörden einzuladen. Die Behörden konnten Vertreter zu den Sitzungen entsenden, die auf ihr Verlangen jederzeit gehört werden mussten (Gesetz über die Bauernkammern 1925, Artikel 24 und 25).

Tätigkeit der Landesbauernkammer

Während sich die Bauernkammern der übrigen deutschen Länder stark auf die wirtschaftlich-technische Förderung der Landwirtschaft konzentrierten, lag der Schwerpunkt der Tätigkeit der Bayerischen Landesbauernkammer auf wirtschaftspolitischem Gebiet: Bis 1923 hatte die Landesbauernkammer die Zwangswirtschaft bekämpft. Ab 1928, als sich die freie Wirtschaft in bisher nicht gekanntem Maß als krisenanfällig erwiesen hatte, setzte sich die Landesbauernkammer für marktinterventionistische Maßnahmen ein.

Besonders intensiv engagierte sich das Gremium auf steuerpolitischem Gebiet. Hierbei gelang es sowohl bei der Beeinflussung der Steuergesetzgebung als auch beim Steuervollzug, Erleichterungen für Landwirte durchzusetzen, wobei sich das Augenmerk der Landesbauernkammer vor allem auf die Einkommensteuer richtete. So hatte die Landesbauernkammer zum Beispiel zum Einkommensteuergesetz 1925 zahlreiche Gutachten erstellt und sah dann in der Umsetzung zahlreiche ihrer langjährigen - vor allem sozialen - Forderungen verwirklicht (Ratjen, Die bayerischen Bauernkammern, 51).

Weniger erfolgreich setzte sich die Bayerische Landesbauernkammer für die Wiederherstellung des Zollschutzes ein. Die am 12. August 1925 vom Reichstag verabschiedete so genannte kleine Zollvorlage wurde nicht nur von der Bayerischen Landesbauernkammer, sondern auch von anderen Landwirtschaftskammern stark kritisiert, da die Industriezölle deutlich stärker als die Landwirtschaftszölle angehoben wurden (Ratjen, Die bayerischen Bauernkammern, 57-61).

Auf Kreis- und Bezirksebene gingen wichtige Impulse von der Bauernkammer insbesondere im landwirtschaftlichen Ausbildungswesen aus (Ratjen, Die bayerischen Bauernkammern, 185f).

Landesbauernkammer und Politik

Eine direkte politische Betätigung war durch die Stellung der Bauernkammern als öffentlich-rechtliche Berufsvertretung und die in Artikel 5 des Bauernkammern-Gesetzes formulierten Aufgaben nicht vorgesehen. Eine politische Parteinahme nach außen wurde dementsprechend vermieden. Ausgenommen hiervon waren sozialistische oder kommunistische Anträge im Landtag, welche die Enteignung der Bauern und Bodenreformen zum Ziel hatten und von der Landesbauernkammer stets kritisiert wurden.

Innerhalb der Landesbauernkammer spielten parteipolitische Auseinandersetzungen zunächst kaum eine Rolle. Für die Wahl 1920 hatten sich mit Ausnahme eines Wahlkreises alle landwirtschaftlichen Organisationen auf Einheitslisten verständigt. Georg Heim als Vertreter des Christlichen Bauernvereins, der stärksten Gruppe, wurde einstimmig zum Präsidenten der Landesbauernkammer gewählt. In der ersten Wahlperiode hatten die meisten Abstimmungen ein einstimmiges Ergebnis. Zunehmend entstanden aber, wie in den stenographischen Berichten der Bayerischen Landesbauernkammer sichtbar wird, politische Konflikte zwischen den einzelnen Gruppierungen (Kirchinger, Die Stenographischen Berichte, 271f.). Kurz vor den Neuwahlen 1925 bemühten sich die einzelnen Gruppierungen dann verstärkt darum, sich politisch zu profilieren.

Diese Gruppierungen waren: der Christliche Bauernverein, der Landbund, der Bauernbund und der Landwirtschaftliche Verein. Nach der Wahl 1925, aus welcher der Landbund als stärkste Gruppierung hervorgegangen war, setzte sich der Bauernbündler Karl Prieger (1864-1942) in einer Kampfabstimmung gegen Georg Heim durch und war bis zur Auflösung der Bauernkammer deren Präsident. Vorübergehend (bis Oktober 1926) war der Christliche Bauernverein als Folge dieser Auseinandersetzung nicht im Präsidium vertreten. Nachdem sich die Wogen wieder geglättet hatten, verlief die weitere Zusammenarbeit der einzelnen Gruppen erneut vergleichsweise harmonisch.

Aus den Wahlen 1930 ging wiederum der Christliche Bauernverein als stärkste Gruppierung hervor. Präsident der Landesbauernkammer blieb aber dennoch der Bauernbündler Prieger (Ratjen, Die bayerischen Bauernkammern, 139-144).

Führende Persönlichkeiten
Name Partei Lebensdaten Bemerkung
Michael Horlacher BVP 1888-1957 1920-1933 geschäftsführender Direktor der Landesbauernkammer
Georg Heim BVP 1865-1938 1920-1925 Präsident der Landesbauernkammer
Karl Prieger Bayerischer Bauernbund 1864-1942 1925-1933 Präsident der Landesbauernkammer
Sebastian Schlittenbauer BVP 1874-1936 Generalsekretär des Bayerischen Christlichen Bauernvereins, nach Michael Horlacher der häufigste Redner vor dem Plenum der Landesbauernkammer

Auflösung 1933

Im Rahmen der Gleichschaltung der Länder mit dem Reich wurde am 27. April 1933 das "Gesetz über die Auflösung der Bauernkammern" erlassen, das die Bauernkammern auf allen drei Organisationsebenen mit sofortiger Wirkung abschaffte. Die bislang führenden Persönlichkeiten der Landesbauernkammer schieden daraufhin aus. Entgegen der Bestimmung des Artikel 1 des Gesetzes wurde die Bauernkammernorganisation nicht sofort aufgehoben, sondern bis zur Errichtung des Reichsnährstandes am 8. Dezember 1933 weitergeführt.

Die Situation nach 1945

Nach 1945 erließ Bayern aufgrund des Vetos der amerikanischen Besatzungsmacht im Gegensatz zu vielen anderen Ländern kein eigenes Landwirtschaftskammern-Gesetz. Am 7. September 1945 wurde der Bayerische Bauernverband gegründet, der sich als einheitliche bäuerliche Interessenorganisation verstand und im Rahmen des Vereinsrechts organisiert war. Am 3. Juni 1947 wurde zwar eine Bayerische Landesbauernkammer geschaffen, die als organisatorischer Überbau für die Fachausschüsse des Bauernverbandes, die jetzt ebenfalls wieder als Kammern bezeichnet wurden, dienen sollte. Diese neu geschaffene Landesbauernkammer blieb ein Bestandteil des vereinsrechtlich organisierten Bauernverbandes, wurde aber vom Gesamtverband der deutschen Landwirtschaftskammern voll anerkannt (vgl. hierzu ausführlich: Bauernkammern, 1920-1933).

Dokumente

Literatur

  • Ursula Bares-Rauen, Die Entwicklungsgeschichte des bayerischen Zweikammersystems und dessen Ausformung im Bayerischen Senat nach vierzigjähriger moderner bayerischer Verfassungsgeschichte, München 1990.
  • Hannsjörg Bergmann, Der Bayerische Bauernbund und der Bayerische Christliche Bauernverein 1919-1928 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 81), München 1986.
  • Hans Fenske, Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918, Bad Homburg 1969.
  • Claudia Friemberger, Sebastian Schlittenbauer und die Anfänge der Bayerischen Volkspartei (Forschungen zur Landes- und Regionalgeschichte 5), Sankt Ottilien 1998.
  • Alois Hundhammer, Die landwirtschaftliche Berufsvertretung in Bayern, München 1926.
  • Wolfgang Ratjen, Die bayerischen Bauernkammern von 1920 bis 1933 (Miscellanea Bavarica Monacensia 94), München 1981.
  • Ernst Sauer, Landwirtschaftliche Selbstverwaltung. Kommentar zur Landwirtschaftskammergesetzgebung der deutschen Bundesrepublik (Sammlung: Kommentare zu landwirtschaftlichen Gesetzen 7), Stollhamm 1957.
  • Alois Schlögl (Hg.), Bayerische Agrargeschichte. Die Entwicklung der Land- und Forstwirtschaft seit Beginn des 19. Jahrhunderts, München 1954.

Quellen

  • Otto Woerner (Hg.), Das bayerische Gesetz über die Bauernkammern vom 20. März 1920 nebst Wahlordnung in der neuen Fassung vom 14. Januar 1925 und Vollzugsvorschriften. Mit Einleitung, Erläuterungen und Sachverzeichnis, München 2. Auflage 1925.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Claudia Friemberger, Bayerische Landesbauernkammer, 1920-1933, publiziert am 09.04.2008; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerische_Landesbauernkammer,_1920-1933> (29.03.2024)