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Einwohnerwehren, 1919-1921

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Standarte der Einwohnerwehr München, Bezirk 14, aus dem Jahre 1919 (Münchner Stadtmuseum).
Umzug der Einwohnerwehr im Mai 1919 mit Fahnen und Gewehren vor dem Kriegsministerium in München. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)
Landesschießen der bayerischen Einwohnerwehren am 26. September 1920. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)
Erinnerungscheibe an den Dienst in der Einwohnerwehr vom 13.-23. März 1920. Umschrift: Zur Erinnerung a. d. Aufgebot d. E. W. 13-23 März 1920. Mit Herz und Hand für Wehr und Land. Motiv: Auto-Patrouille auf Nachtfahrt durch Nymphenburg auf der südlichen Auffahrtsallee in Höhe der Brücke an der Menzingerstraße, 1920 (Münchner Stadtmuseum).
"Aufruf zur Einwohnerwehr", Plakat 1920. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)
Plakat "Die Einwohnerwehr" vom 13. März 1920. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)
Plakat der Einwohnerwehr Bad Aibling. (Privatbesitz)
Armbinde einer Einwohnerwehr; Stempel mit Aufschrift "Landesverband der Einwohnerwehren Bayerns". (Privatbesitz)
Rudolf Kanzler (1873-1956) und Mitglieder des Freikorps Chiemgau, um 1920. (Stadtarchiv Rosenheim, Bildnr. DB_671)

von Bruno Thoß

Selbstschutzverbände, in Bayern aus dem Konzept der Bürger- bzw. Volkswehren hervorgegangen. Federführend beim Aufbau war Rudolf Kanzler (1873-1956) auf Initiative der Regierung Hoffmann und unterstützt von Gustav von Kahr (1862-1934) und der Reichswehr. Die erste bayerische Einwohnerwehr entstand im Mai 1919 in Rosenheim mit der Umbildung des Freikorps Chiemgau. Die in einer landesweiten Organisation zusammengefassten Einwohnerwehren konnten den alliierten Entwaffnungsforderungen in Bayern ein Jahr länger (bis Juni 1921) trotzen als im Reich.

Gründung und Entwicklung auf Reichebene 1919/20

Nach der Niederschlagung des "Spartakusaufstands" im Januar 1919 richtete der Stab der Gardekavallerieschützendivision in Berlin erste Bürgerwehren ein. Da sie erfolgreich zur Stabilisierung der Lage beitrugen, wies das Reichswehrministerium am 22. März 1919 alle Generalkommandos an, die lokalen Bürgerwehren zu zentral gelenkten Einwohnerwehren auf Landesebene nach einheitlichem Muster auszugestalten und über eine Reichszentrale direkt der Reichswehrführung zu unterstellen. Sie sollten vorrangig Aufgaben des lokalen Ordnungsdienstes in Zusammenwirken mit der Polizei übernehmen, im überregionalen Notfall aber auch als stille Heeresreserve für die Unterstützung regulärer Militärverbände verfügbar sein.

Um die durch die Interalliierte Militär-Kontrollkommission überwachten Entwaffnungsgebote zu umgehen, wurden die Einwohnerwehren seit Sommer 1919 aus ihrer militärischen Unterstellung herausgelöst und unter ziviler Leitung in die Aufsicht der Länderinnenministerien überführt. Sie definierten sich als "freiwillige, unpolitische Selbstschutzverbände" und rekrutierten sich überwiegend aus örtlichen Honoratioren, Kriegervereinen, Schützengilden sowie Turn- und Sportvereinen, unterstützten aber weiterhin auch die Reichswehr im Innern wie in den Grenzkämpfen. Ihre Bewaffnung entstammte den Beständen der Reichswehr, finanziert wurden sie aus öffentlichen Mitteln und umfangreichen privaten Spenden, insbesondere der Unternehmerverbände und der Landbünde.

Die Alliierten verstanden die Wehren als unerlaubte Wehrersatzformationen. Ihre Forderung, sie bis 31. März 1920 vollständig aufzulösen, war mitentscheidend für die vorzeitige Auslösung des Kapp-Putsches. Nach dessen Scheitern verfügte der preußische Innenminister ihre Auflösung, der sich, abgesehen von Bayern, im Sommer 1920 Reich und Länder anschlossen.

Aufbau und Organisation in Bayern 1919/20

Mitte April 1919 nutzte Obergeometer Rudolf Kanzler (1873-1956) den Aufruf der nach Bamberg geflüchteten Regierung, um im Windschatten der gegen München vorgehenden bayerischen Freikorps erste lokale Selbstschutzverbände im Chiemgau zu bilden. Für die Zukunft noch erfolgreicher waren die Initiativen von Forstrat Georg Escherich (1870-1941) im Isengau. Er stützte sich von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit der Bayerischen Volkspartei (BVP), dem Christlichen Bauernverein und dem Reichswehrkommando in München. Zu den örtlichen Einwohnerwehren stießen nach der Niederschlagung der Räterepubliken zahlreiche beschäftigungslose Soldaten, die in paramilitärischen Organisationen unterzukommen suchten.

Mit der Bekanntmachung der bayerische Regierung vom 17. Mai 1919 über eine staatliche Förderung der landesweit zu organisierenden Selbstschutzverbände setzte sich Escherichs Weg einer Anlehnung an Staat und Politik durch. Um die Wehren unter staatlicher Aufsicht zu halten, suchte sie die Regierung an 11 staatliche Wehrkommissare in den Regierungsbezirken zu binden. Diese ehemaligen Berufsoffiziere konnten sich jedoch gegen die örtlichen Führungskräfte in den Wehren nicht durchsetzen. Die Mitglieder auf dem Lande wie in den Kleinstädten rekrutierten sich nahezu ausschließlich aus Gewerbetreibenden, Beamten und Angestellten sowie Bauern. Aber auch die Reichswehrführung plädierte seit Sommer 1919 für vorwiegend zivile Strukturen, da sonst eine frühzeitige Entwaffnung durch die Alliierten zu befürchten war.

Im September 1919 konnten die lokalen Wehren in einem Landesverband der Einwohnerwehren Bayerns zusammengefasst werden. An seiner Spitze standen Landesleiter Escherich und sein Stellvertreter Kanzler; die eigentliche organisatorische Führungsarbeit lag jedoch bei dem ehemaligen Berufsoffizier Hermann Kriebel (1876-1941) als Stabsleiter, der als ständiger Geschäftsführer in der Münchner Landesleitung schnell deren militärische Durchdringung erreichte und eng mit Hauptmann Ernst Röhm (1887-1934) kooperierte, der im Reichswehrgruppenkommando 4 bzw. im Stab der 7. Division für Waffendepots verantwortlich war.

Präsent in allen Regierungsbezirken bis auf Kreis- und Ortsebene, lag der eindeutige Mitgliederschwerpunkt in Oberbayern. Die Masse der 400.000 Wehrmänner war dabei in Ortswehren organisiert und nur am lokalen Selbstschutz interessiert. Für mobile überregionale Einsätze standen dagegen die voll militärisch geführten und ausgerüsteten "Landfahnen" in einer Stärke von ca. 30.000 Mann zur Verfügung. Zusätzlichen Zuzug erhielten die Einwohnerwehren nach Auflösung der Freikorps im Frühjahr 1920, als sich ihnen v. a. das Freikorps Oberland anschloss. Dies steigerte aber auch die innere Inhomogenität zwischen militanten Teilen und auf Selbstschutz ausgerichteter Mehrheit.

Finanziert wurden die bayerischen Wehren aus öffentlichen Mitteln einschließlich umfangreicher privater Fonds. Da sie aus geheimen Beständen der Reichswehr bewaffnet wurden, behielt die 7. Division, der die Verwaltung der Depots unterlag, erheblichen Einfluss. Um deren Geheimhaltung willen waren die Einwohnerwehren auch stark in die "Fememorde" an vermeintlichen oder tatsächlichen Informanten von Waffenlagern verstrickt. Als Verbandsorgan gab die Landesleitung das "Heimatland" in einer Auflage von 21.000 Exemplaren heraus.

Die Einwohnerwehren während des Kapp-Putsches im März 1920

Seit Anfang 1920 wandte sich der Landesverband der Einwohnerwehren Bayerns immer eindeutiger von der sozialdemokratisch geführten Landesregierung ab. Im gemeinsamen Kampf gegen die alliierten Entwaffnungsforderungen entstanden im Gegenzug enge Kontakte zur umsturzbereiten Rechten in Berlin. Deren Putschversuch im März nutzte die Landesleitung, um gemeinsam mit der Münchner Polizeiführung Druck auf die Landesregierung zur Verhängung des Kriegsrechts in den Händen des Landeskommandanten Arnold Ritter von Möhl (1867-1944) auszuüben. Da sich Ministerpräsident Johannes Hoffmann (1867-1930) mit seiner gegenteiligen Auffassung im Kabinett nicht durchsetzen konnte, trat er zurück. Mit Unterstützung der Einwohnerwehren konnte daraufhin ihr oberbayerischer Förderer Gustav Ritter von Kahr (BVP, 1862-1934) eine Rechtsregierung bilden, die Bayern zur rechten "Ordnungszelle" im Reich umzugestalten versprach.

Die Ausdehnung auf Reichsebene und nach Österreich 1920/21

Anders als die Reichsregierung verweigerte die Regierung Kahr (1920-1921) für ein weiteres Jahr die Auflösung der Wehrverbände. Die bayerische Landesleitung wurde damit zum Hoffnungsträger für die norddeutschen Wehren, die sich am 9. Mai 1920 in Regensburg in der "Organisation Escherich" (Orgesch) bayerischer Führung unterstellten. Escherich übernahm in Personalunion die Reichs- und Landesleitung der Orgesch.

Schon am 4. Mai 1920 hatte sein Stellvertreter zudem die "Organisation Kanzler" (Orka) gegründet, um den Aufbau österreichischer Heimwehren zu unterstützen. Um Reichs- und Landesregierung nicht außenpolitisch zu belasten, wurde nunmehr ein illegales Netzwerk zwischen Südbayern und den österreichischen Alpenländern geknüpft, um die dortigen Selbstschutzverbände finanziell sowie mit Waffen und Ausbildern zu unterstützen. Die zeitweilige Einheitsfrontfront aller Selbstschutzorganisationen unter bayerischer Führung brach 1921 jedoch wieder auseinander. Unter alliiertem Entwaffnungsdruck löste sich die Orgesch am 27. Juni endgültig auf. Dem Kreishauptmann der Oberpfalz, Sanitätsrat Otto Pittinger (1878-1926), gelang es zwar, Teile der Einwohnerwehren in seine Auffangorganisation "Bund Bayern und Reich" zu überführen. Eine den Einwohnerwehren vergleichbare Rolle in der bayerischen Innenpolitik verband sich damit jedoch nicht mehr.

Literatur

  • David Clay Large, The Politics of Law and Order: A History of the Bavarian Einwohnerwehr, 1918-1921, Philadelphia 1980.
  • Hans Fenske, Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918, Bad Homburg 1969.
  • Erwin Könnemann, Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände. Ihre Funktion beim Aufbau eines imperialistischen Militärsystems, Berlin (Ost) 1971.
  • Hans-Joachim Mauch, Nationalistische Wehrorganisationen in der Weimarer Republik. Zur Entwicklung und Ideologie des "Paramilitarismus", Frankfurt am Main 1982.
  • Horst Nußer, Konservative Wehrverbände in Bayern, Preußen und Österreich 1918-1933, München 2. Auflage 1990.
  • Bruno Thoß, Der Ludendorff-Kreis 1919-1923. München als Zentrum der mitteleuropäischen Gegenrevolution zwischen Revolution und Hitler-Putsch, München 1978.
  • Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung?, München 1985.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Bürgerwehren

Empfohlene Zitierweise

Bruno Thoß, Einwohnerwehren, 1919-1921, publiziert am 27.07.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Einwohnerwehren,_1919-1921> (19.03.2024)