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Wallfahrten, eucharistische

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Andachtsbild des Würzburger Kupferstechers Johann Balthasar Gutwein (1702-1785) zur Hl. Blutwallfahrt in Iphofen mit Darstellung der Hostienfrevellegende. Die Wallfahrtskirche ist erstmals 1329 bezeugt. Die nicht verifizierbare Jahreszahl 1296 legt nahe, dass die Legende als Reflex auf den Rintfleisch-Pogrom entstand, der 1298 auch Iphofen betraf. (Katholisches Pfarramt Iphofen)
Die Wallfahrt zum Heiligen Blut in Walldürn ist erstmals 1445 bezeugt. Die früheste Fassung der Legende stammt aus dem Jahr 1589: Im Zentrum des Kultes steht ein Korporale, das ein Priester bei der Messfeier mit Wein übergoss, worauf sich auf dem Stoff ein Abbild des gekreuzigten Christus sowie mehrere "Veronika-Gesichter" zeigten. Die älteste Abbildung des Tuchs zeigt das Titelblatt der gedruckten Wallfahrtslegende. Abb. aus: [Jodocus Hoffius], De sacrae waltdurensis peregrinations ortu et progressu, Würzburg 1589. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 H.eccl. 574)

von Manfred Eder

Nachdem sich im Hochmittelalter die eucharistische Frömmigkeit zunehmend intensiviert hatte (Viertes Laterankonzil 1215, Einführung des Fronleichnamsfestes 1264), entstanden zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert zahlreiche eucharistische Wallfahrtsorte, die sich den älteren Pilgerfahrten ins Hl. Land, zu den Gräbern und Reliquien von Aposteln, Märtyrern und weiteren Heiligen sowie zu wundertätigen Gnadenbildern (v. a. Marias) an die Seite stellten. Der Raum des heutigen Bayern bildete dabei einen besonderen Schwerpunkt. Die Entstehung der Wallfahrten wird fast immer auf ein Hostienwunder zurückgeführt, das sich bei versehentlicher oder vorsätzlicher Verunehrung der Hostie (selten Wein) ereignet haben soll. Einen der möglichen Topoi bildeten Hostienfrevel durch Juden. Typische Patrozinien der Wallfahrtskirchen waren Heilig Blut, St. Salvator, Zu Unserm Herrn oder Zum Heiligen Grab. Ab dem 16. Jahrhundert überlagerten vielfach marianische Kulte und wundertätige Salvatorbilder die bisherigen eucharistischen Wallfahrten; neue kamen kaum noch hinzu.

Grundlegendes

Eucharistische (Bestätigungs- und Straf-)Wunder und die daraus erwachsenden eucharistischen Wallfahrten stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entwicklung eucharistischer Frömmigkeit im Hoch- und Spätmittelalter. Sie sind als Reaktion auf Kontroversen bezüglich der Gegenwart Gottes im Altarsakrament (Zweiter Abendmahlsstreit im 11. Jahrhundert) sowie auf die Dogmatisierung der Transsubstantiationslehre (Viertes Laterankonzil 1215) zu sehen. Um eigene Zweifel auszuräumen und die Realpräsenz gegenüber Zweiflern (Irr-, Un- und Andersgläubigen) zu erweisen, wollte man sinnlich wahrnehmen, was im Sakrament verborgen und damit eben gerade nicht sinnlich wahrnehmbar ist, sondern "nie erscheinen 'kann'" (Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.). Das aus dieser Haltung resultierende Schauverlangen schuf sich Ausdruck im Hochheben und Zeigen der Hostie innerhalb der Eucharistiefeier (Elevation bei der Wandlung) und in der Entwicklung von Schaugefäßen für das eucharistische Brot (Monstranzen). Dies ermöglichte sowohl außerliturgische Tabernakelfrömmigkeit als auch eucharistische Prozessionen im Rahmen von Flurumgängen und insbesondere am 1264 eingeführten eucharistischen Hochfest Fronleichnam.

Hostienwunder und Hostienfrevel

Zahlreiche und sehr verschiedenartige Hostien- und Corporalewunder, die keinerlei Historizität beanspruchen können, spiegeln die damals bei Klerus und Volk herrschenden, z. T. abergläubischen Eucharistievorstellungen (siehe Browe, Wunder; Eder, Gnad, 133-185; Eder, Kirchen 105-129). Ereigneten sich die Wunder bei einer Verunehrung, zog dies bei Bekanntwerden (nicht selten ebenfalls durch Wunder) stets eine öffentliche Sühne nach sich, unabhängig davon, ob es sich um eine unabsichtliche Verunehrung handelte oder aber um einen bewusst begangenen Hostienfrevel. Während die überregional bedeutsamen eucharistischen Wallfahrten mittlerweile eingehend untersucht wurden, harren die kleinen, oft bereits seit langem erloschenen Pilgerziele vielfach noch der gründlichen Erforschung, wobei die meist hagiographisch stark überformten Legendenberichte in jedem Fall einer historisch-kritischen Analyse bedürfen.

Wallfahrten, die auf unabsichtliche Verunehrung zurückgehen

Anlass Beispiele
Erbrechen Neukirchen bei hl. Blut, 1400?; Bogenberg, St. Salvator, 1413
Verlieren Regensburg, Salvatorkapelle am Judensteg, 1255
Auf-den-Boden-fallen Nördlingen, 1381; Mainburg, vor 1386; Beilngries, vor 1496
Aus-dem-Mund-nehmen von konsekrierten Hostien, um sie in der Wohnung zu verehren Augsburg, Hl. Kreuz, 1199; Einsbach bei Dachau, 1404
Aus-dem-Mund-nehmen von konsekrierten Hostien, um sie im Freien zu verehren Bettbrunn, 1125?
Verschütten von Wein Rothenburg ob der Tauber, 1266; Walldürn, 1330?

Wallfahrten aufgrund eines bewusst begangenen Hostienfrevels

Anlass Beispiele
Verwendung der konsekrierten Hostie(n) zu Zwecken der Zauberei und Magie Benningen, 1216; Stock bei Walderbach, 1280; Erding, 1417
Diebstahl mit anschließendem Verstreuen der Hostie(n) in der Kirche oder Wegwerfen bzw. Verbergen außerhalb der Kirche Donaustauf, 1388; Lauingen, 1404; Ecksberg, 1453; Regensburg, Salvatorkapelle an der Püttnergasse, 1476; Gundelfingen, 1510; Parkstein bei Weiden, 1642; Ittling, 1704
Verkauf an Juden Iphofen, 1298?; Röttingen, 1298?; Deggendorf, 1338; München, 1413; Passau, 1477

Nur Juden warf man die mehrteilige Form der mutwilligen Hostienschändung (erneute Passion Christi) mittels Dornen, Ahlen und anderer, den Leidenswerkzeugen (Arma) Christi entlehnter Werkzeuge vor, um einen Vorwand oder eine nachträgliche Rechtfertigung für Mord und Verfolgung zu haben.

Im Falle eines Hostienfrevels wurden die Verantwortlichen nach Bekanntwerden der Tat (nicht selten ebenfalls durch Wunder) in der Regel drakonisch bestraft. Bei einer Erhebung der Hostie(n) hatten oft nur höhere Kleriker (Bischöfe, Weihbischöfe, Äbte) oder Neupriester Erfolg.

Entstehung und Geschichte der eucharistischen Wallfahrten

Gehäuse des Wunderkorporale von Walldürn. Abb. aus: Karl Lohmeyer, Die Wallfahrtskirche zum Heiligen Blut in Walldürn [Deutsche Kunstführer 43], Augsburg 1929, Abb. 21. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Art. 167-43)

Aufgrund der geschilderten Entwicklung ist es kein Zufall, dass fast alle eucharistischen Gotteshäuser und Pilgerziele des heutigen Bayerns vom 13. bis zum 15. Jahrhundert entstanden sind. Bayern wies in dieser Epoche die Hälfte aller deutschen eucharistischen Wallfahrtsorte auf (Hartig, Gnadenstätten, 113). Die Patrozinien lauten "zum Hl. Blut", "St. Salvator", "zu unserem (lieben) Herrn" oder "zum hl. Grab".

In die meisten Hostienlegenden drangen im 16. Jahrhundert im Zuge einer neuen, auf die Verehrung wundertätiger Marienbilder gerichteten Frömmigkeit marianische Motive ein, ja manche Hostienwallfahrt wurde zur Gänze durch einen neuen Marienkult überlagert und abgelöst (z. B. Neukirchen bei hl. Blut). Andernorts lebten im Zuge gegenreformatorischer Wallfahrtserneuerung Hostienkultorte wieder auf, sofern Bilder oder Skulpturen - z. B. des Salvators oder des Fünfwundenheilands - eucharistische Verehrung ermöglichten (Bettbrunn, Iphofen). Die meisten eucharistischen Wallfahrten sind (zumindest als solche) erloschen oder - wie im Falle Deggendorfs (siehe unten) - eingestellt.

Nachstehend je ein Beispiel für eine auf unabsichtliche Verunehrung der Mahlgaben (Bettbrunn) und für eine auf einen bewusst begangenen Hostienfrevel (Deggendorf) zurückgehende Wallfahrt.

Die Wallfahrt nach Bettbrunn

Das Gnadenbild von Bettbrunn. (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Die früheste erhaltene Version der Hostienlegende zu St. Salvator in Bettbrunn (Lkr. Eichstätt, Markt Kösching) enthält ein um 1430 entstandenes Gedicht in 84 Versen. Demnach trug sich im Jahre 1125 folgendes zu: Ein Viehhirte hatte die Osterkommunion nach Verlassen der Kirche aus dem Mund genommen und in eine kleine, saubere Schachtel gelegt. Weil er berufsbedingt nur selten in die Kirche kam, nahm er die Hostie täglich mit auf die Weide und höhlte seinen Hirtenstab oben aus, um bei gutem Wetter die darauf gelegte Hostie kniend verehren zu können. Als aber einmal die Herde auseinanderlief, warf er seinen Stab nach dem Vieh in eine Hecke, ohne an die in der Höhlung liegende Hostie zu denken. Als er voller Schrecken das geweihte Brot wieder aufheben wollte, gelang es ihm nicht, und auch vor den Händen des herbeigeholten Pfarrers wich es zurück. Erst der Bischof von Regensburg konnte die Hostie vom Boden nehmen, nachdem die mitgezogenen Leute gelobt hatten, im Falle der erfolgreichen Erhebung durch den Diözesanherrn ein Kirchlein zu Ehren des Salvators zu errichten. Da dieses Kirchlein bald danach niederbrannte, sei es durch die jetzige steinerne Kirche ersetzt worden. In späteren Legendenfassungen wurde noch das gängige, auf die Legende um Antonius von Padua (gest. 1230) zurückgehende Motiv der eucharistischen Verehrung durch Tiere hinzugefügt: Demnach sei das Vieh, als die Hostie aus dem Hirtenstab fiel, sofort stillgestanden und auf die Vorderbeine gefallen, als wolle es Gott anbeten.

Die "wunderbare" Hostie, von der die Legende erzählt, war bereits zur Erbauungszeit der steinernen Kirche nicht mehr vorhanden und der Hostienkult durch die Verehrung einer 34 cm hohen Holzfigur des Salvators abgelöst. Die in diesem Zusammenhang verschiedentlich geäußerte Vermutung, die Skulptur sei bereits im Auftrag des Regensburger Oberhirten 1125 aus dem oberen Teil des Hirtenstabes geschnitzt worden, hält einer kunsthistorischen Überprüfung nicht stand, muß das Salvatorbild doch zweifellos dem 14. Jahrhundert zugeordnet werden. Auch das Geschehen, von dem die Hostienlegende handelt, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht dem Jahre 1125, sondern dem 13. oder 14. Jahrhundert zuzuweisen. Dies legen sowohl die Quellenlage bezüglich Bettbrunn als auch der theologie- und frömmigkeitsgeschichtliche Hintergrund nahe.

Bettbrunn war ein wichtiges Wallfahrtsziel der Wittelsbacher. Sowohl Herzog Ferdinand von Bayern (1550-1608) als auch Herzog Maximilian I. (reg. 1597-1651, ab 1623 Kurfürst) und Kurfürst Max II. Emanuel (reg. 1679-1726) nahmen die Pilgerreise dorthin auf sich. Wie allenthalben markierte auch für Bettbrunn die Säkularisation einen tiefen Einschnitt, der die Zahl der Wallfahrer rapide zurückgehen ließ (1802: 32.000, 1803: 2.000). Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Salvatorwallfahrt neu belebt, um bis zur Gegenwart jährlich eine fünfstellige Zahl von einzeln oder in Zügen eintreffenden Pilgern anzuziehen.

Die "Deggendorfer Gnad"

Einblattdruck von ca. 1749 mit Entstehungslegende der "Deggendorfer Gnad". Textunterschriften und Bildgestaltung ähneln der Darstellung der 14 Tafeln, die 1710-1969 in der Kirche hingen. (Bayerische Staatsbibliothek, Einbl. VI,90)
Die ehemalige "Gnad"-Kirche (offiziell: Kirche zum Hl. Grab St. Peter und Paul, kurz: Grabkirche) befindet sich im Zentrum der Stadt Deggendorf. (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Die "Deggendorfer Gnad" war weltweit wohl die letzte noch existierende Wallfahrt ihrer Art und eine der wenigen Pilgerstätten Bayerns, die Zeit ihres Bestehens als eucharistische in strengem Sinne angesprochen werden konnten. Sie gründet auf einer den Juden von Deggendorf (Niederbayern) für das Jahr 1337 zur Last gelegten Hostienschändung.

Die Legende hat in der Version, die auf den ersten elf von 14 großformatigen, von 1710 bis 1968/69 im Presbyterium der Deggendorfer Kirche zum hl. Grab hängenden Tafelbildern zu finden ist, folgenden Wortlaut: "I. Das heiligste Sakrament wird von einer Christin nach öfterer gottesräuberi- / scher Comunion in ein Schnupftuch gethan und um ein Kleid an die Jüden vertauscht. II. Die heiligen Hostien werden von den Jüden mit einer spitzigen Schuh- / ahlen bis zur Vergießung des allerheiligsten Bluts gestochen. III. Die heiligen Hostien werden von den Jüden bis auf das heilige Blut mit Dornen / gekratzt und es erscheint unter solcher Marter ein kleines Kind. Ein solcher / Dorn ist noch zu sehen. IV. Das heilige Sakrament wird von den Jüden in einen geheizten Backofen / geschossen, bleibt aber, mehrmal die Gestalt eines Kindleins weisend, unverletzt. V. Die Jüden ergreifen unmenschlich mit ihren Händen die Hämmer und schla- / gen die heiligen Hostien auf einem Schmidambos, gottlob ohne sie verletzen / zu können. VI. Um die unmenschliche Übelthat sammt dem heiligen Sakrament zu vertu- / schen, wollen es die Jüden verschlucken, aber das wiederum erscheinende / kleine Kind wiedersetzt sich mit Händen u. Füssen. VII. Die heiligen Hostien werden in einen Brunnen geworfen, das / Wasser vergiftet. Es sterben viele Christen. VIII. Die Nachtwächter und andere Leut nehmen bei der Nacht einen unvergleich- / lich schönen Glanz gewahr und hören eine lamentirende Stimme. IX. Um die dem höchsten Gut angethane Iniurie zu rächen, schwören die Bürger mitsammt / den Vornehmsten des Raths vor dem Crucifixbild in Schaching einen schweren Eid. Der / edle Hartmann von Degenberg vom fürstlichen Schloß Natternberg kommt herbei. / Das Zeichen zum Angriff war der Glockenstreich von Sct. Martins Kirche. Die Jüden / widersetzten sich ernstlich und zündten an vielen Orten die Stadt an. X. Die Jüden werden vertrieben oder von den Christen erschlagen mit dem / Vorsatze, daß fürderhin die Stadt von ihnen befreit soll bleiben. XI. Die heiligen Hostien werden von einem neugeweihten Priester, so von Niederalteich ge- / bürtig, bei angestellter Procession, weil sie sich frei und aus eigener Gewalt aus / dem Wasser und in die Luft erschwungen, und in den Kelch niedergelassen, in / das Gotteshaus getragen."

Die genaue Erforschung der Entstehungsgeschichte der "Deggendorfer Gnad" hat ein völlig anderes Bild der fraglichen Ereignisse ergeben, als es die Legende zeichnet: Die zeitgenössischen Quellen wissen ausnahmslos nur von einem Judenmord im Herbst 1338, der ganz offenkundig in der hohen Verschuldung der Bürger bei den Juden begründet und durch eine unmittelbar vorausgehende verheerende Heuschreckenplage, die wohl die Ernte vernichtet hatte, veranlasst worden war. Es handelte sich um eine überfallartige Aktion ohne vorhergehenden Prozess, die Ende September oder Anfang Oktober des Jahres stattfand, wahrscheinlich in direktem Zusammenhang mit dem Zahltag an Michaeli (29. September). Wie die Judenverfolgung in Röttingen ("Rintfleisch-Verfolgung") im April 1298 für den fränkischen Raum und in Pulkau im April 1338 für den niederösterreichischen, böhmischen und mährischen Raum löste auch der Deggendorfer Pogrom binnen kürzester Zeit eine Welle von Judenverfolgungen in ganz Niederbayern aus.

Erst nach 1370, also eine ganze Generation später, spricht eine bayerische Quelle von einem ausdrücklich als üble Nachrede (lat. infamia) bezeichneten Verdacht, Juden hätten Hostien geschändet und seien deshalb in weiten Teilen Bayerns und Österreichs ermordet worden. Mit dem "Gedicht von den Deggendorfer Hostien", wohl aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, erscheint dann unvermittelt eine voll ausgeformte, naiv-phantastische Legende, die wohl ein fahrender Sänger im Auftrag eines Deggendorfer Bürgers (vermutlich auf der Grundlage einer mündlich umlaufenden Erzählung) angefertigt hat. Aufgrund innerer Widersprüche, sachlicher Fehler und ihres aus Einzelelementen völlig schematisch und schablonenhaft konstruierten Aufbaus (Ostern 1337 als Datum der Hostienschändung) muss ihr jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen werden. Insbesondere fällt das geringe Maß an ortsspezifischen Zügen auf, wobei der einzige überhaupt in dieser und auch in der späteren Legendenversion genannte Personenname einen nicht existenten "Hartmann von Degenberg" bezeichnet.

Angesichts dieser Erkenntnisse entschloss sich die Regensburger Bistumsleitung im Januar 1992, die Wallfahrt einzustellen, führte doch jede Frage nach dem Anlass der "Gnad"-Tradition unweigerlich wieder zum jüdischen Hostienfrevel zurück. Auch die Feier selbst, die jährlich bis zu 140.000 Wallfahrer (1737) anzog und in deren Mittelpunkt bis 1990 die Verehrung der angeblichen "Mirakelhostien" stand, ließ sich nicht aus der Verknüpfung mit der judenfeindlichen Legende lösen. Der seit Jahrzehnten international geführten heftigen Diskussion um die Wallfahrt wurde dadurch ein Ende gesetzt (hierzu ausführlich Eder, Gnad, 657-698). Zur Erklärung richtete der Regensburger Bischof Manfred Müller am 25. März 1992 ein Hirtenwort an die katholischen Christen Deggendorfs (ein umfangreicher Auszug des Hirtenwortes ist bei Eder, Kirchen, 170f. abgedruckt). Als sichtbares Zeichen des Schuldbekenntnisses brachte man im Dezember 1993 eine Gedenktafel an der Grabkirche an. Darüber hinaus wurde im Stadtmuseum Deggendorf ein eigens der "Gnad" gewidmeter Raum eingerichtet, in dem mehrere der oben genannten Tafelbilder zu sehen sind.

Literatur

  • Anton Bauer, Eucharistische Wallfahrten zu "Unserm Herrn", zum "Hl. Blut" und zum "St. Salvator" im alten Bistum Freising, in: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 23/2 (1963), 37-71.
  • Romuald Bauerreiß, Pie Jesu. Das Schmerzensmannbild und sein Einfluß auf die mittelalterliche Frömmigkeit, München 1931.
  • Peter Browe, Die Eucharistie im Mittelalter. Liturgiehistorische Forschungen in kulturwissenschaftlicher Absicht, hg. v. Hubertus Lutterbach/Thomas Flammer (Vergessene Theologen 1), Münster u. a. 2003.
  • Peter Browe, Die eucharistischen Wunder des Mittelalters (Breslauer Studien zur historischen Theologie. Neue Folge 4), Breslau 1938.
  • Wolfgang Brückner, Die Verehrung des Heiligen Blutes in Walldürn. Volkskundlich-soziologische Untersuchungen zum Strukturwandel barocken Wallfahrtens (Veröffentlichungen des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg 3), Aschaffenburg 1958.
  • Wolfgang Brückner, Liturgie und Legende. Zur theologischen Theorienbildung und zum historischen Verständnis von Eucharistie-Mirakeln, in: Jahrbuch für Volkskunde. Neue Folge 19 (1996), 139-168.
  • Alois Döring, Art. Bluthostien, in: Lexikon für Theologie und Kirche. 2. Band, Freiburg im Breisgau 3. Auflage 1994, 539.
  • Alois Döring, Art. Hostie/Hostienwunder, in: Theologische Realenzyklopädie. 15. Band, Berlin/New York 1986, 604-606.
  • Alois Döring, St. Salvator in Bettbrunn. Historisch-volkskundliche Untersuchung zur eucharistischen Wallfahrt, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 13 (1979), 35-234.
  • Manfred Eder, Art. Hostienfrevel, in: Lexikon für Theologie und Kirche. 5. Band, Freiburg im Breisgau 3. Auflage 1996, 290.
  • Manfred Eder, Die "Deggendorfer Gnad". Entstehung und Entwicklung einer Hostienwallfahrt im Kontext von Theologie und Geschichte (Deggendorf - Archäologie und Stadtgeschichte 3), Passau 1992 (Lit.).
  • Manfred Eder, Eucharistische Kirchen und Wallfahrten im Bistum Regensburg, in: Georg Schwaiger/Paul Mai (Hg.), Wallfahrten im Bistum Regensburg. Zur Tausendjahrfeier des Todes des hl. Bischofs Wolfgang (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 28), Regensburg 1994, 97-172.
  • Josef Endres, Hl. Blut in Iphofen. Mit einer Edition des Mirakelbuchs (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe 13: Neujahrsblätter 49), Würzburg 2007.
  • Michael Hartig, Die eucharistischen Gnaden-Stätten in Bayern, in: Pro Vita Mundi, Festschrift zum Euch. Weltkongreß 1960, München 1960, 97-113.
  • Walter Hartinger, Die Wallfahrt Neukirchen bei Heilig Blut. Volkskundliche Untersuchung einer Gnadenstätte an der bayerisch-böhmischen Grenze, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 5 (1971), 23-240.
  • Christine Mittlmeier, Publizistik im Dienste antijüdischer Polemik. Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Flugschriften und Flugblätter zu Hostienschändungen (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 56), Frankfurt am Main 2000.
  • Ulrich Wagner (Hg.), "Denn das Sterben des Menschen hört nie auf ..." Aspekte jüdischen Lebens in Vergangenheit und Gegenwart (Schriften des Stadtarchivs Würzburg 11), Würzburg 1997, 113-156 (Beiträge von Friedrich Lotter und Manfred Eder).

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Manfred Eder, Wallfahrten, eucharistische, publiziert am 22.02.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Wallfahrten,_eucharistische> (29.03.2024)