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Nördlinger Messe

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Johannes Müller (1752-1824), Der Nördlinger Marktplatz, Aquarell von 1822. (Stadtarchiv Nördlingen, Graphische Sammlung)

von Wilfried Sponsel

Die 1219 erstmals erwähnte Nördlinger Messe war eine überregional bedeutende Fernhandelsmesse, deren Blütezeit im 14. und 15. Jahrhundert lag. Im 16. Jahrhundert verlor Nördlingen seine herausgehobene Stellung an Ulm. Nachdem auf der Messe bis ins 19. Jahrhundert hinein noch Gebrauchsgüter aus dem Nördlinger Umland gehandelt worden waren, entwickelte sie sich zu einem bis heute jährlich abgehaltenen Volksfest.

Entstehung und Bedeutung

Die Nördlinger Pfingstmesse wurde erstmals 1219 im sog. Großen Freiheitsbrief, einem Privileg Kaiser Friedrichs II. (reg. 1212-1250) für die Stadt Nürnberg, genannt. Darin wird unter anderem den Nürnberger Kaufleuten freigestellt, auf den Messen in Donauwörth und Nördlingen mit Nürnberger Münze zu zahlen. Die im Zusammenhang mit der späten staufischen Politik des 13. Jahrhunderts – Friedrich II. hatte Nördlingen 1215 aus der Oberhoheit des Bischofs von Regensburg für das Reich zurückerworben – entstandene Nördlinger Messe entwickelte sich im Spätmittelalter zu einer Fernhandelsmesse von überregionaler Bedeutung. In ihrer Blütezeit des 14. und 15. Jahrhunderts war sie neben Frankfurt am Main nicht nur die bedeutendste Fernhandelsmesse Süddeutschlands mit Börsencharakter und eigenem Messegericht, sondern auch Großmarkt für die heimischen Handwerker.

Ausschlaggebend für diese positive wirtschaftliche Entwicklung war die günstige verkehrsgeographische Lage der Reichsstadt Nördlingen. Die Stadt lag auf dem Weg einer großen Fernhandelsstraße von Osten nach Westen, die in Nördlingen von einem ebenfalls stark frequentierten Straßenzug in nord-südlicher Richtung gekreuzt wurde. Das Einzugsgebiet der Nördlinger Messe reichte somit bis in das Elsass und an den Mittelrhein, nach Polen, nach Linz und über die Alpenpässe hinaus.

Messeprivilegien König Wenzels (reg. 1376–1400) von 1398 und Kaiser Sigismunds (reg. 1411–1437) von 1434 gewährten bzw. bestätigten die Geleitsrechte und die Gerichtshoheit (Messegericht) über die Besucher der Messe, die jeweils am Samstag nach Pfingsten begann und vierzehn Tage dauerte. Dennoch hatte sich Nördlingens Messe immer wieder gegen Konkurrenz zu wehren: 1431/32 versuchte Nürnberg, eine 24 Tage dauernde Messe einzurichten. Obwohl das kaiserliche Gericht zu Basel das Vorgehen Nürnbergs verurteilte, unternahm Nürnberg 1477 erneut den Versuch, durch eine eigene Messe den Nördlinger Pfingsttermin und den Handel an sich zu ziehen. Nach mehrjährigem Streit vor dem Reichsgericht wurde die Auseinandersetzung zugunsten Nördlingens entschieden.

Der Messebetrieb

Gehandelt wurden Fernhandelsgüter und Luxusartikel wie Bücher, Glas, Spiegel, Gewürze und Musikinstrumente. Handels- und Geschäftsverbindungen bestanden mit Händlern und Kaufleuten in den Niederlanden, in Flandern und Brabant, aber auch nach Venedig und Genua. Die Nördlinger Messe war Umschlagplatz für Korn aus dem Ries, für Salz aus Bayern, für württembergischen Wein wie auch für Eisenwaren und Roheisenprodukte, insbesondere aus der Oberpfalz, aus Sulzbach, Amberg und vor allem aus Nürnberg. Für diese Orte und Regionen war Nördlingen der bedeutendste Stapel- und Umschlagsplatz im Südwesten. Daneben galt die Nördlinger Messe als Großmarkt für einheimische Handwerker wie Kürschner, Gerber und Weber (Leinwand-, Barchent-, Loden- und Tuchweber), die hier ihre Rohmaterialien einkauften bzw. ihre fertigen Produkte anboten. Angesichts dieses vielfältigen Angebots war der Messebetrieb nicht auf nur einen Platz beschränkt, sondern dehnte sich über weite Teile der heutigen Nördlinger Altstadt aus. Gehandelt wurde in Buden und auf den zahlreichen kleineren Marktplätzen sowie in einzelnen Gebäuden. Für die Tuchmesse beispielsweise waren zwei Stockwerke im Rathaus, im Tanz- und Brothaus, in der Fleischbank sowie in der 1829/30 abgerissenen Ratsherrentrinkstube reserviert. Indem für die Messezeit Tanzhaus, Fleischbank und Ratstrinkstube über die Straße hinweg mit Holzbrücken verbunden werden konnten, entstand eine überaus große Verkaufsfläche.

Lag im 14. Jahrhundert die durchschnittliche Besucherzahl stets über 300, so kann man davon ausgehen, dass im 15. Jahrhundert bis zu 1.000 Besucher - das zusätzliche Personal nicht mitgerechnet - die Messe in der im Spätmittelalter etwa 5.500 bis 6.150 Einwohner zählenden Stadt besucht haben.

Die damalige Bedeutung der Nördlinger Pfingstmesse zeigt sich auch darin, dass im Jahr 1418 Kaiser Sigismund aufgrund des hohen Geldverkehrs der Messe eine Reichsmünzstätte in Nördlingen einrichtete, die bis 1571 Bestand hatte.

Messeordnungen wie die von 1468 gaben der äußeren Durchführung des Messehandels einen festen Rahmen. Im Vordergrund der Bestimmungen stand vor allem die Sicherheit der Stadt und ihrer Bürger während der Messezeit. Dazu gehörte auch die reibungslose Durchführung des Scharlachrennens, denn dieses war Teil eines attraktiven Rahmenprogramms der Nördlinger Messe. Das 1438 erstmals erwähnte Scharlachrennen war ein Pferdeflachrennen und zog eine ganze Reihe prominenter adeliger und bürgerlicher Pferdebesitzer an. In den Wirren des großen deutschen Bauernkrieges 1525 konnte das Scharlachrennen jedoch nicht mehr ausgetragen werden. Es erfuhr erst 1948 eine Renaissance, allerdings ohne Anbindung an die Pfingstmesse.

Bedeutungsverlust seit dem 16. Jahrhundert

Mit der Entdeckung der neuen Welt 1492 und der damit einhergehenden Verlagerung der europäischen Handelsinteressen verlor die Nördlinger Messe seit Anfang des 16. Jahrhunderts allmählich an Bedeutung. Mitverantwortlich für diese rückläufige Tendenz waren auch das Entstehen der Leipziger und der Zurzacher Messe, der großen Messen des schlesischen Produktionsgebietes, aber auch das sich zunehmend ausbreitende Verlagswesen. Da das Verlagswesen neue Produktions- und Vertriebsabläufe hervorbrachte, wurde letztlich die Messe in ihrer traditionellen Form in Frage gestellt. Zu den Gründen des Niedergangs gehört aber auch die Tatsache, dass Nördlingen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts seine Stellung als Umschlagplatz für Eisen an die Reichsstadt Ulm verlor. Der Verlust dieser wichtigen Verteilerfunktion im deutschen Südwesten war wohl ein entscheidender Faktor für den allmählichen Niedergang der Nördlinger Pfingstmesse. Der Rat der Stadt versuchte anscheinend, dem Rückgang mit der Einrichtung eines zweiten Messetermins in Form einer ebenfalls vierzehntätigen Herbstmesse (1521/22–1541) entgegenzuwirken, doch blieben diese Maßnahmen letztlich ohne Erfolg. Die Regionalisierung der Nördlinger Messe – oder, anders ausgedrückt, ihr Wandel von einer Fernhandelsmesse zur Handwerkermesse – war nicht mehr aufzuhalten. Dieser Prozess geschah vor dem Hintergrund eines wirtschaftlichen Strukturwandels seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Die Zentren des Wirtschaftslebens hatten sich in Richtung Frankfurt, Leipzig und Lyon sowie auf die Finanzzentren Augsburg und Nürnberg verlagert. Die Bezeichnung "Provinzialisierung" der Nördlinger Messe meint aber nicht ihren generellen Verfall, im Gegenteil: für die Gewerbe der Stadt und ihres Umlandes, aber auch für die Gewerbe benachbarter Städte blieb sie auch weiterhin ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Im 19. Jahrhundert verlor die Nördlinger Messe jedoch zunehmend auch diese Funktion einer Gebrauchsgütermesse für das Umland und wurde schließlich zu einem Jahrmarkt mit Warenangebot, der heute alljährlich für die Dauer von zehn Tagen Tausende von Menschen nach Nördlingen zieht.

Literatur

  • Hektor Amman, Die Nördlinger Messe im Mittelalter, in: Heinrich Büttner/Otto Feger/Bruno Meyer (Hg.), Aus Verfassungs- und Landesgeschichte. Festschrift zum 70. Geburtstag von Theodor Mayer, dargebracht von seinen Freunden und Schülern. 2. Band: Geschichtliche Landesforschung. Wirtschaftsgeschichte. Hilfswissenschaften, Konstanz 1955, 283-315.
  • Rudolf Endres, Die Nürnberg-Nördlinger Wirtschaftsbeziehungen im Mittelalter bis zur Schlacht von Nördlingen (Schriften des Instituts für fränkische Landesforschung. Historische Reihe 11), Neustadt a. d. Aisch 1963.
  • Eva Gilch, Die Nördlinger Messe vom 18. Jahrhundert bis heute, in: Ruth Kilian/Eva Gilch, Märkte und Messen im Ries. Begleitheft zur Sonderausstellung des Rieser Bauernhofmuseums Maihingen vom 18. Mai bis 28. Oktober 1990 (Schriftenreihe der Museen des Bezirks Schwaben 4), Gessertshausen 1990, 18-22.
  • Rolf Kießling, Die Nördlinger Pfingstmesse im 15./16. Jahrhundert. Aufstieg und Strukturwandel eines süddeutschen Wirtschaftszentrums, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für Nördlingen und das Ries 29 (1999), 69-95.
  • Rolf Kießling, Die Stadt und ihr Land. Umlandpolitik, Bürgerbesitz und Wirtschaftsgefüge in Ostschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert (Städteforschung A/29), Köln/Wien 1989, 158-172.
  • Rolf Kießling, Von der Messestadt zum regionalen Wirtschaftszentrum - Nördlingen und die Rieser Märkte, in: Ruth Kilian/Eva Gilch, Märkte und Messen im Ries. Begleitheft zur Sonderausstellung des Rieser Bauernhofmuseums Maihingen vom 18. Mai bis 28. Oktober 1990 (Schriftenreihe der Museen des Bezirks Schwaben 4), Gessertshausen 1990, 14-17.
  • Eckart Schremmer, Handel und Gewerbe bis zum Beginn des Merkantilismus, in: Max Spindler (Begr.)/Andreas Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 3. Band, 2. Teil: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 3. Auflage 2001, 539-570, hier: 567-570.
  • Stephan Selzer, Von Nördlingen nach Thorn und von Brügge nach Danzig. Beispiele für Fernbeziehungen im spätmittelalterlichen Europa (mit Edition), in: Mragowskie Studia Humanistyczne. Czasopismo poswiecone historii i literaturze w regionie mragowskim 3 (2001), 106-117.
  • Heinrich Steinmeyer, Die Entstehung und Entwicklung der Nördlinger Pfingstmesse im Spätmittelalter mit einem Ausblick in das 19. Jahrhundert, Diss. masch. München 1960.
  • Marco Veronesi, Zollwesen, Gastrecht, Währungspolitik. Institutionelle Aspekte der Nördlinger Pfingstmesse im 15. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Historischen Vereins für Nördlingen und das Ries 31 (2006), 105-134.
  • Dietmar-Henning Voges, Werden und Wirken der Pfingstmesse, in: ders., Die Reichsstadt Nördlingen. 12 Kapitel aus ihrer Geschichte, München 1988, 47-69.
  • Dietmar-Henning Voges, Wirtschaftsstrukturen in Nördlingen im 19. Jahrhundert - Märkte, Messen, Straßen, in: Wulf-Dietrich Kavasch (Bearb.), Rieser Kulturtage. Eine Landschaft stellt sich vor, Nördlingen 2000, 369-390.
  • Gustav Wulz, Nördlinger auf den Linzer Messen, in: Archiv der Stadt Linz (Hg.), Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1961/62, Linz 1962, 493-501.

Quellen

  • Karl Puchner, Die Urkunden der Stadt Nördlingen. 4 Bände (Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte 2: Urkundenregesten 1; 2a: Urkunden und Regesten. Regesten staatlicher, städtischer und privater Archive 5, 9, 10), Augsburg 1952-1968.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Wilfried Sponsel, Nördlinger Messe, publiziert am 18.07.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Nördlinger_Messe> (28.03.2024)